Claus-Peter Hutter. Foto: privat

In einem kürzlich vorgelegten Bericht warnt die Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) vor einem dramatischen Schwund der Arten. Claus-Peter Hutter, Präsident der Stiftung Naturelife-International, erklärt, was die Ursachen sind.

Stuttgart – In einem kürzlich vorgelegten Bericht warnt die Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature ( WWF) vor einem dramatischen Schwund der Arten. Claus-Peter Hutter, Präsident der Stiftung Naturelife-International, erklärt, was die Ursachen sind. -
Herr Hutter, der WWF spricht vom größten Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier. Wie ist Ihre Einschätzung: Ist es wirklich so dramatisch?
Die Menschheit hat es in der Tat fertiggebracht, innerhalb weniger Jahrzehnte viele Tier- und Pflanzenarten auszurotten oder deren Lebensräume so zu dezimieren, dass sie kurz vor der Ausrottung stehen. Es ist dramatisch, aber nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen im Umwelt- und Artenschutz kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil. Ein gutes Beispiel, wie viel man durch gezieltes Gegensteuern erreichen kann, haben wir direkt vor unserer Haustür: Noch in den späten 60er Jahren war der Neckar eine stinkende Brühe, die an den Schleusen meterhohe Schaumberge bildete. Heute – mehr als 50 Jahre später – präsentiert sich der Fluss glücklicherweise in einem anderen Bild: Durch zahlreiche Renaturierungsprojekte und den Bau von Kläranlagen hat sich die Wasserqualität merklich verbessert. Heute leben im Neckar wieder 27 von 38 Fischarten, die dort eigentlich zu Hause sein müssten. Mein Credo: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Was sind die Ursachen des beschleunigten Artensterbens?
Die sind vielfältig. Umweltverschmutzung, der rücksichtslose Raubbau an der Natur, der sich überall ausbreitende Mensch. Man muss sich das mal vorstellen: 1970 lebten 3,7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Heute sind es knapp acht Milliarden. Die Weltbevölkerung hat sich also in den vergangenen vier Jahrzehnten verdoppelt. Hinzu kommt nun noch der Klimawandel. Dieser wird den Druck auf die Tierarten und die Ökosysteme in den nächsten Jahren weiter erhöhen. Hier liegen die wahren Herausforderungen: Durch die Erderwärmung wird sich die Ernährungssituation in vielen Entwicklungsländern weiter verschärfen. Doch wie kann man gegenüber Menschen argumentieren, die in Not sind? Wie soll man ihnen klarmachen, dass sie die Ökosysteme, in dem sie leben, nicht ausbeuten sollen? Oder ihnen klarmachen, dass sie Tiere, die sie zur Ernährung brauchen, nicht jagen dürfen, weil die Art vom Aussterben bedroht ist? Durch unser Verhalten in den reichen Ländern werden die Opfer in den armen Ländern zu Tätern und dringen immer weiter in die letzten Wildnisgebiete vor.
Welche Auswirkungen hat das Artensterben auf uns Menschen?
Das wissen wir nicht. In der Gesamtheit kann das derzeit niemand abschätzen, denn längst sind noch nicht alle Wirkungs- und Rückkopplungsmechanismen bekannt. Es gibt da ein schönes Beispiel, das ich gern bemühe: Dass Schimmelpilze Brot ungenießbar machen, ist in unserer Überflussgesellschaft heute kein Drama mehr. Jahrhundertelang war es aber auch für die Menschen hierzulande ein Risikofaktor, nämlich für die, die hungern mussten. Und Brotschimmel ist auch heute noch problematisch für Menschen, die in Regionen leben, in denen es noch immer nicht genügend zu essen gibt. Wenn die Menschheit früher ein Mittel dagegen gehabt hätte, hätte sie Schimmelpilze ganz sicher ausgerottet – und damit unwissentlich auch den natürlichen Wirkstoff, aus dem der schottische Mediziner Alexander Fleming später Penicillin entwickeln konnte. Das Medikament, dessen antibakterielle Wirkung bis heute so segensreich für uns ist. Wenn man den Menschen damals gesagt hätte, dass Schimmel wichtig ist für die Menschheit, hätte das niemand geglaubt.
Skeptiker sagen, das Artensterben sei Teil der Evolution – und somit vollkommen natürlich.
Diese Menschen verkennen, dass die Brisanz in der dramatischen Beschleunigung liegt, in der das Artensterben sich vollzieht. Wenn die Entwicklung so rasant fortschreitet und etwa das Bienensterben weitergeht, dann sitzen auch hierzulande bald die Leute mit Pinseln in den Obstbäumen und bestäuben künstlich die Blüten – in China ist das übrigens schon Realität.
Experten kritisieren seit langem, dass charismatische Tierarten wie Pandas oder Elefanten besser geschützt werden, weil sie was hermachen – obwohl ihre ökologische Dienstleistung kleiner ist als die anderer vielleicht weniger sympathischer Arten?
Es liegt in der Natur der Sache, dass Tiere mit Kindchenschema uns mehr anrühren und besonders gut ankommen. Ich finde es auch nicht verwerflich, wenn Naturschutzorganisationen dieses Phänomen für sich nutzen. Denn eingesetzt wird das Geld ja in der Regel für den Erhalt eines bestimmten Lebensraums – beim Panda zum Beispiel zum Schutz der Bambuswälder. Und davon profitieren dann ja auch wieder viele andere Arten, die in demselben Ökosystem leben. Davon abgesehen, wehre ich mich strikt dagegen Tiere oder Pflanzen zu bewerten oder ihren Nutzen für den Menschen zu berechnen, um zu beurteilen, was geschützt werden muss und was nicht. Denn jenseits von Nutzenerwägungen ist jede Art faszinierend und Teil der Schöpfung. Schon allein deshalb sollte jede Art ein Existenzrecht auf dieser Erde haben.
Was raten Sie Menschen, die einen persönlichen Beitrag zum Artenschutz leisten wollen?
Damit kann jeder im eigenen Garten anfangen. Er sollte so angelegt sein, dass er möglichst vielen verschiedenen Tieren einen Lebensraum bietet. Verhalten Sie sich zudem klimafreundlich, indem Sie etwa möglichst oft öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Werfen Sie Stromfresser raus, und schaffen Sie sich energieeffiziente Haushaltsgeräte an. Kompensieren Sie CO2 – indem Sie etwa über www.globeclimate.com Wiederbewaldungsprojekte fördern. Unterstützen Sie Umweltschutzprojekte, und nehmen Sie Einfluss auf Wirtschaft und Politik, mit den Energieressourcen sinnvoll umzugehen und auf Nachhaltigkeit zu achten.