Ein Online-Foto zeigt angeblich den flüchtigen Stier Jerry. Foto: Screenshot 24sata.hr

Die tagelange Hatz nach Stier Jerry zieht Kroatien in seinen Bann. Medien vergleichen den Freiheitsdrang des Wiederkäuers mit der Landesflucht vieler Kroaten in die Fremde.

Belgrad/Split - Selbst aus der Luft wird Kroatiens prominentester Schlachthausflüchtling mittlerweile gejagt. Genau um zwölf mittags stieg am Dienstag eine Infrarot-Drohne unweit der Küstenstadt Trogir über den Bergen und Olivenhainen des dalmatinischen Weilers Rudine auf. Er werde den flüchtigen Stier Jerry in dem unzugänglichen Gelände damit „sehr schnell lokalisieren“ können, verkündete Ivan Bozic, der Besitzer des 650 Kilogramms schweren Bullen hoffnungsfroh. Die Mehrheit der Menschen in Kroatien dürfte hingegen weiter dem entflohenen Paarhufer die Daumen drücken.

Seit Tagen zieht die Hatz nach dem am Freitag dem Schlachthof in Kastel Stari entronnenen Wiederkäuers den Adria-Staat in seinen Bann. „Gerechtigkeit für Jerry!“ oder „Halt durch Jerry“ lauten die ermutigenden Botschaften der Facebookgruppe „Unterstützung für Stier Jerry“. Andere fühlen sich durch die Flucht des wendigen Stiers vor seinen Schlächtern zur generellen Kritik an den Zuständen im Küstenstaat bemüßigt. Die kroatische Polizei solle lieber Kriminelle und Parlamentsabgeordnete statt „unseren Jerry jagen“, so tönt ein empörter Stier- und Tierfreund. Ein enormes Marketingpotenzial wittern hingegen die Leute, die für den Schlachthausflüchtling eine eigene Realityshow fordern oder ihn als Namensgeber für neue Punk-Bands und – wie sie interessanterweise meinen – auch Porno-Filme vorschlagen.

Wenn Jerry gefasst wird, darf er am Leben bleiben

Ohne Namen und Hörner war das kapitale Vieh am vergangenen Freitag in den Schlachthof von Kastel Stari eingeliefert worden. Wie sich der Stier gegen 17 Uhr aus der Schlachtbox befreien und dem tödlichen Bolzenschuss entrinnen konnte, ist ein Rätsel. Sein Freiheitsdrang und tagelanges Katz-und-Maus-Spiel mit seinen Häschern in den nahe liegenden Bergen haben dem wendigen Bullen vermutlich auch einen beschaulichen Lebensabend beschert. Auch wenn der Stier wieder gefangen werde, solle er am Leben bleiben, versichert Eigentümer Ivan jetzt öffentlich: „Jerry soll leben. Denn wir alle sind Jerry.“

Statt zu Wurst und Filets verarbeitet in der Vitrine zu liegen, kann sich Jerry zur Freude seiner Fans noch immer seines Lebens erfreuen. Jerry tue dasselbe was der „bessere, produktivere und tapfere Teil Kroatiens“ schon seit Jahren tue – er renne davon, konstatiert der Kommentator des Webportals index.hr und vergleicht den Freiheitsdrang des Stiers gar mit dem Emigrationsdrang seiner Landsleute in die Fremde. Denn wie Jerry seien diese nicht nur auf der Suche nach einem besseren und angenehmeren Leben, sondern auf der Suche nach einem Ort, „wo sie nicht tagtäglich das Fell über die Ohren gezogen bekommen, von Dummheiten erschlagen und durch immer neue Steuern seziert werden“.