Eva Gabrielsson Foto: dpa

Stieg Larssons Witwe Eva Gabrielsson skizziert ihre Rolle bei der Millennium-Trilogie.

Stockholm - Der Schwede Stieg Larsson hinterließ bei seinem Tod im Jahr 2004 die ersten drei von zehn geplanten Büchern. Die Krimi-Trilogie "Verblendung", "Verdammung", "Vergebung" wurde ein Millionenerfolg. Larssons Lebenspartnerin Eva Gabrielsson betont im Gespräch mit unserer Zeitung ihre Beteiligung.

Frau Gabrielsson, nachdem Sie sehr lange geschwiegen haben, kündigen Sie jetzt ein Buch an. Stimmt es, dass Sie eine Biografie über Stieg Larsson verfasst haben?

Nein, in "Das Jahr nach Stieg" geht es darum, wie es für mich war, als Stieg starb. Wie man durch einen solchen Verlust, einen solchen Schock jemand völlig anderes wird. Es geht um die Suche nach Auswegen. Aber natürlich geht es in gesonderten Kapiteln auch um die Entstehung der Krimis und den Erbstreit mit Stiegs Familie.

Warum haben Sie so lange jede öffentliche Äußerung vermieden?

Ich wollte nicht, ich konnte nicht. Ich war vor allem wie gelähmt. Als das erste Buch im Sommer 2005 herauskam, war Stieg gerade erst acht Monate tot. Irgendwann später löste sich etwas in mir. Ich merkte, dass es an der Zeit war, dass jemand Stieg und seine Krimis erklären, ja verteidigen muss. In Schweden ist viel von dieser politischen Kraft, die seine Bücher haben, in den Hintergrund gedrängt worden. Für viele sind das nur noch unterhaltsame Action-Geschichten, mit einem Erbstreit als Zugabe für die Klatschblätter.

Es wurde heftig spekuliert, ob Sie die Bücher zusammen mit Larsson geschrieben haben. Also: Sind Sie Co-Autorin?

Stieg konnte sehr gut schreiben, alles andere ist gelogen. Und dieser Freund, der nun ein Buch veröffentlicht hat, war kein Freund, vieles gibt er als persönliche Informationen aus, obwohl er sie lediglich aus den Medien hat. Über meine Rolle gibt es keine eindeutige Antwort. Eigentlich möchte ich gar nichts dazu sagen. Weil jede Antwort gewiss wieder falsch ausgelegt wird. In einem Kapitel meines Buches geht es um die Entstehung der Bücher. Dort habe ich den nötigen Raum für die Zwischentöne.

Bisher hieß es, Sie hätten nur Korrektur gelesen, sich um den Platz auf dem Sofa gezankt, auf dem Stieg oft schreibend mit seinem Laptop saß, und ein wenig mit ihm diskutiert. Brauchen Sie dafür ein ganzes Buchkapitel?

Ich habe nicht nur Korrektur gelesen, das ist ein Missverständnis. Sie müssen verstehen, dass Stieg und ich 32 Jahre zusammen gelebt haben. Wir waren ein eingespieltes Team. Wir unterschieden nie zwischen "Stieg" und "Eva", das war in allen Lebensbereichen einfach nur ein "Wir", das alles umfasste: unseren Sprachgebrauch, unsere Werte, unsere Beobachtungen, alles.

Also auch die Arbeit an den Krimis?

Ich war aktiv beteiligt. Wenn ich heute in den Büchern lese, kann ich manchmal nur schwer unterscheiden, was ausschließlich von Stieg war und was ausschließlich von mir, das betrifft den Stil und den Inhalt. Es war eindeutig Stiegs Buch, aber es ging uns nie darum, wer von uns beiden was beigetragen hat. Das war nicht wichtig. Wir hatten ja keinen Schimmer, wie erfolgreich die Bücher sein würden. Und wir ahnten nicht, dass Stieg bald sterben würde.

Larssons stand auf den Rache-Listen der Nazi-Organisationen ganz oben

Wie sah die gemeinsame Arbeit an den Büchern konkret aus?

Wir hatten nie ausführliche Verlaufspläne oder Skizzen für das ganze Buch, auch wenn es dann sehr vielschichtig und verwickelt wurde. Der Handlungsverlauf entstand völlig spontan: Wir nahmen einfach Sachen hinzu, die aus unserem Alltag, aus Zeitungen, dem Weltgeschehen an sich kamen. Das sind ja jeweils 600 Seiten, das kann man nicht alles planen. Wir ließen uns von Ereignissen treiben, die uns Energie zum Weitermachen gaben. Stieg war ein sehr selbstsicherer Mann. Zehn Teile werde die Reihe mindestens haben, sagte er schon von Anfang an.

Stieg Larssons Vater sagt, wenn Sie Mitverfasserin gewesen wären, hätte Ihr Name in dicken Buchstaben auf dem Umschlag gestanden. Warum traten Sie nicht als Co-Autorin auf?

Der einzige Grund, warum ich nicht mit auf dem Buchumschlag stehe, ist, dass Stieg und ich unsere Namen prinzipiell nicht zusammen genannt sehen wollten. Es war einfach zu riskant. Wir hielten uns akribisch an die Trennung. Egal ob Formulare oder Unterschriften auf Verträgen. Deshalb war auch nicht an Heirat zu denken, nie und nimmer! Nur mein Name stand an der Wohnungstür, alle Rechnungen gingen an mich. Stiegs Leben wurde von Rechtsextremen bedroht. Er stand auf bestimmten Rache-Listen ganz weit oben, weil er die (schwedischen) Nazi-Organisationen und deren Strukturen im Detail beschrieb. Wenn das Telefon klingelte, hatte ich oft Angst, dass es die Polizei ist, die mir sagt, dass Stieg zu Schaden gekommen ist. Stiegs Bild und unsere Adresse wurden in einer Zeitschrift des Weißen Arischen Widerstands veröffentlicht. Wir hatten permanent große Angst.

Gab es konkrete Angriffe?

Nein, aber das war Zufall. Mehrere Male waren die in unserem Haus, aber sie wussten nicht, wo Stieg genau wohnte, bei dem knappen Dutzend Mietwohnungen. Mich gab es nicht im Zusammenhang mit ihm. Rechtsextreme nahmen damals an, dass Stieg homosexuell war. Immer wieder hatten sie unterschiedliche Männer als seine Partner in Verdacht. Wer weiß, hätten wir nicht so viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen, gäbe es heute die drei Bücher gar nicht. Die Nazi-Szene war sehr militant in Schweden, es gab einige Morde.

Hätten Sie die Kapazität, in einer anderen Situation, ohne Erbstreit und Ihre Trauer, die Millennium-Serie fortzuschreiben? Viele Fans würden sich sicher sehr freuen.

Die Kapazität hätte ich mit Sicherheit, aber ob ich will, ist eine andere Frage. Noch einmal so viel Zeit in etwas investieren, bei dem andere Personen einem alles wegnehmen? Die Frage steht nicht zur Debatte, das sind unnötige Spekulationen.

Sie sprechen von Stieg Larssons Vater und Bruder, die das gesamte Erbe erhalten haben. Wie eng kannten die drei Männer sich?

Was soll ich sagen, damit es nicht wieder falsch ausgelegt wird? Die Wahrheit ist, sie kannten sich überhaupt nicht. Sie hatten fast keinen Kontakt. Keine gemeinsamen Weihnachtsfeste, keine gegenseitigen Besuche, jahrzehntelang. Stieg gratulierte seinem Vater regelmäßig telefonisch zum Geburtstag, wir schickten Weihnachtsgeschenke, es gibt ja Anstandsregeln. Aber es existierte eigentlich keine Bindung, keine emotionale, nicht mal eine intellektuelle. Keine gemeinsamen Interessen, keine Sympathie. Ich kann sagen, selbst ich hatte kein schlechteres Verhältnis zu ihnen als Stieg.

Das Macbook mit dem vierten Teil ist verschwunden

Woher kam diese Entfremdung?

Sie waren einfach sehr unterschiedliche Menschen. Stieg verbrachte seine prägenden Kindheitsjahre bei seinen Großeltern mütterlicherseits, sie waren stets seine Bezugspersonen. Auch nachdem er, als er neun Jahre alt war, zu Vater und Bruder umzog, blieben die Großeltern in seinem Kopf weit wichtiger. Er zog mit 17 bei seinem Vater aus, in diesen acht Jahren waren sie einander kein Stück nähergekommen. Dann war es zu spät. Dann lernte er mich kennen, und wir zogen nach Stockholm, sehr weit weg von unserer nordschwedischen Heimat. Wir waren dann zwar regelmäßig im Norden, aber immer nur in meinem Heimatort. Wir fuhren nie hoch, um Vater oder Bruder zu treffen, obwohl es auf dem Weg gelegen hätte.

Bisher sind drei Krimis erschienen, alle sind weltweit Bestseller geworden. Es heißt, es gebe einen vierten Teil, den Sie versteckt halten, quasi als Pfand gegen Larssons Vater und Bruder. Man konnte lesen, dass die Larssons Ihnen sogar mit einem Rausschmiss aus Ihrer und Stiegs Wohnung gedroht haben, falls Sie dieses vierte Manuskript nicht herausrücken. Existiert es überhaupt?

Ja, es gibt tatsächlich einen vierten Teil mit Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist. Er ist in Stiegs verschwundenen Macbook gespeichert. Es gibt darüber eine rechtliche Auseinandersetzung, müssen Sie verstehen. Wo der Laptop jetzt ist, weiß ich nicht. Dieser vierte Teil ist nicht ganz fertig, aber zweihundert Seiten davon existieren, glaube ich.

Haben Sie eine Vermutung, wo dieses Macbook sein könnte?

Es gab eine große Auseinandersetzung darum. Ich kann nur sagen, ich weiß nicht, wo es ist.

Was passiert im vierten Teil?

Das kann ich Ihnen leider nicht verraten. Ich weiß ungefähr, was passiert, aber wenn ich mich dazu äußere, verschärft das wieder den Streit mit den Erben.

Die Schauspielerin Noomi Rapace, die in den drei Verfilmungen furios Lisbeth Salander spielt, hat sich öffentlich geweigert, Larssons Vater und Bruder zu treffen. Sie sagte, es sei "ekelhaft, was Geldgier aus Menschen machen kann". Was halten sie davon?

Ich finde, dass sie das gut ausgedrückt hat. Nach seinem Tod wurde ich von Stiegs Vater und Bruder behandelt, als ob ich nicht mehr existierte, besonders deutlich, als die Bücher anfingen, sich zu verkaufen. Mit einer Ausnahme: Als sie später vermuteten, ich hielte einen vierten Teil versteckt, boten sie an, mir die andere Hälfte unserer Eigentumswohnung, die Stieg bezahlt hatte, zu schenken.

Einen Teil von Stiegs Leben zurückbekommen

Was fordern Sie von Stieg Larssons Vater?

Mir ging es nie um das viele Geld. Ich möchte Stiegs schriftliche Hinterlassenschaften verwalten. Dazu gehören die Krimi-Manuskripte, aber er hat auch viele andere gute Sachen geschrieben. Für diese Arbeit möchte ich ein Gehalt. Ich hatte Stiegs Vater und Bruder vorgeschlagen, dass sie einen bestimmten Prozentsatz, nicht viel mehr als ein Prozent der Erträge, für mich festlegen können. Sie lehnten sofort strikt ab. Ich möchte einfach einen Teil meines Lebens mit Stieg zurückhaben und seine Hinterlassenschaft so entwickeln, wie er das gewollt hätte.

Eine sensible Nachlasspflege trauen Sie der Familie Larsson nicht zu?

Von Stiegs Gedanken und Werten hat sein Vater keine Ahnung. Die Familie kann die Millennium-Krimis gar nicht vertreten. Inzwischen sollen Vater und Bruder seit einem halben Jahr mit Hollywood verhandeln, weil die alle drei Bücher noch mal verfilmen wollen. Die US-Produzenten, habe ich gelesen, schrecken zurück, weil sie die Rechtslage unübersichtlich finden.

In einer schwedischen Zeitung hieß es, Larssons Vater habe gesagt, Quentin Tarantino wolle die Krimis mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmen. Stimmt das?

Ich weiß von alledem nichts. Ich habe mit all dem ja nichts zu tun. Mich gibt es nicht mehr.

Die Verhandlungen zwischen Ihren Anwälten laufen noch?

Die Verhandlungen laufen noch, das stimmt. Aber ich glaube inzwischen an nichts mehr. Es sind über fünf - verstehen Sie -, fünf Jahre vergangen, seit Stieg gestorben ist.

Fühlen sie sich selbst manchmal ein bisschen wie eine Lisbeth Salander, die ohne Blomkvist auskommen muss?

Millennium ist aus Stiegs und meinem Leben entstanden. Es ist sein Bestandteil. Ich will zu diesem Vergleich nur sagen: Die Larssons hat niemand gezwungen, das Erbe anzunehmen.