Der Neubau der WGV in Stuttgart mit sanierter Alter Wache Foto: Leif Piechowski

Die Landeshauptstadt greift mit einer Klage die Gewerbesteuer-Entscheidung des Finanzamtes Ravensburg an. Die Behörde hatte 2004 genehmigt, dass die WGV-Holding AG allein in Ravensburg zahlt. Experten im Stuttgarter Rathaus halten das für unzulässig und fordern die Umverteilung.

Stuttgart - Im Steuerstreit zwischen Stuttgart und dem Finanzamt Ravensburg steht nach 20 Monaten Pause der erste Gerichtstermin an. Die Landeshauptstadt fordert vom Finanzamt eine grundlegende Änderung der Gewerbesteuerzuteilung der WGV Versicherungs-Holding AG. Deren Sitz war 2004 von Stuttgart nach Ravensburg verlegt worden. Die Landeshauptstadt sieht sich dadurch um rund 80 Millionen Euro geprellt.

Die Finanzgerichte im Land setzten bei Streitigkeiten grundsätzlich zunächst einen Erörterungstermin an. Bei der nicht öffentlichen Zusammenkunft an diesem Freitag solle „eine gütliche Einigung geprüft werden“, sagt die Richterin und Pressesprecherin Petra Karl.

Angesichts der Summe will sich allerdings keine der Streitparteien gütig zeigen. „Wir liegen diametral auseinander, Stuttgart will praktisch hundert Prozent der Steuer“, sagt Ravenburgs OB Daniel Rapp (CDU). Ein Urteil im Sinne Stuttgarts würde Ravensburg in den Offenbarungseid treiben, der Schuldenstand würde von 28 auf 90 Millionen Euro katapultiert. „Dann wären wir eine ganz klamme Kommune, die politische Gestaltungsmöglichkeit wäre bei null“, sagt Rapp. Selbst der Landkreis Ravensburg müsste darben. Nach zwei Jahren würden Hilfen nach dem Finanzausgleichsgesetz des Landes nach Oberschwaben fließen. Zu spät, findet Rapp: „Wenn der schlimmste Fall einträte, bräuchten wir eine Vorschussregelung.“

Stuttgart klagt zwar gegen die Finanzbehörde, Rapp ist als Vertreter der betroffenen Kommune am Freitag aber beigeladen. Das Regierungspräsidium Tübingen hat Ravensburg eine Risikovorsorge aufgegeben, schließlich sei der „Totalverlust“ möglich. Knapp zehn Millionen sind inzwischen angespart. Der Fall, sagt der promovierte Jurist Rapp, sei „von hoher Komplexität und von der Summe her einmalig in Deutschland“. Einen Schlichtungsversuch hat der 42-Jährige, der seine Doktorarbeit über Mediation im Verwaltungsrecht schrieb, unternommen. Der Vorschlag, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich über einen neuen Verteilungsschlüssel für die Zukunft zu einigen, kam in Stuttgart aber nicht an. Die Landeshauptstadt sieht sich auch nach ihrem im Januar 2013 abgewiesenen Einspruch gegen die Steueraufteilung im Recht. „Die Mitarbeiter der Holding sind hier und arbeiten hier, also müsste auch die Steuer der AG hier veranlagt werden “, sagt Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Er wolle sich am Freitag einen eigenen Eindruck verschaffen. Verhandlungsspielraum sieht er keinen: „Ich habe eine Vermögensfürsorgepflicht für die Stadt!“

Eine Einigung haben die Streitparteien immerhin erzielt. „Wir betrachten jetzt nur das Jahr 2008“, sagt Volker Schaible, der Leiter der Stadtkämmerei. Das sei das Jahr mit dem geringsten Messbetrag und damit den niedrigsten Gerichtskosten. In der Sache gehe es gleichwohl um die Bescheide bis zurück ins Jahr 2004. „Da verjährt nichts“, sagt Schaible. Er zeigt sich trotz „komplexer Rechtseinschätzung“ zuversichtlich: „Auch der Bund will nicht, dass das Ergebnis eines Unternehmens irgendwohin transferiert wird“. .In Ravensburg unterhalte die Versicherungs AG, auf die das in Stuttgart erwirtschaftete Ergebnis übertragen werde, nur ein Sekretariat und ein Besprechungszimmer.

Der Württembergische Gemeinde-Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit war am 13. April 1921 im kleinen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses von Kommunen gegründete worden. Inzwischen ist er ein Konzern. Den Stammsitz an der Tübinger Straße hat das Unternehmen, das hier für diverse seiner Gesellschaften Gewerbesteuer bezahlt, in den letzten Jahren kräftig ausgebaut. „Rund die Hälfte der Neubauten nutzen wir selbst“, sagt Vorstandsvorsitzender Hans-Joachim Haug. Der Rest sei vermietet, diene aber als Reserve, denn man wachse und schaffe pro Jahr rund zwei Dutzend neue Arbeitsplätze.

Ein Vorstandskollege und ein Steuerberater werden die Erörterung am Freitag beobachten. „Wir glauben, dass wir alles richtig gemacht haben“, sagt WGV-Chef Haug. Rückstellungen für den Fall des Falles seien keine gebildet worden. Sollte das Finanzamt Ravensburg gegen Stuttgart verlieren, müsste die WGV den in Stuttgart rund 20 Prozent höher liegenden Hebesatz nachentrichten. Das wären rund zehn Millionen Euro. Haug rechnet nicht mit einer schnellen Entscheidung. Bis die letzte Instanz gesprochen habe, würden wohl sieben bis acht Jahre ins Land gehen.