Ein interner Bericht zeigt, welches Chaos wegen der Steuerpanne in den Finanzämtern herrscht Foto: dpa

Für die Finanzbeamten ist es ein Albtraum: Bei einer Panne sind viele Arbeitnehmer von der Steuerklasse III in die höchste Steuerklasse I gerutscht. Das Bundeszentralamt für Steuern hat versucht, den Fehler zu korrigieren: Doch jetzt befinden sich viele der Betroffenen in Steuerklasse IV statt III.

Stuttgart - Es gibt einen Witz und der geht so: Morgens, 7 Uhr. Die Frau stellt dem Beamten das Frühstück vor die Nase, inklusive Zeitung, keiner sagt etwas. Drei Stunden später sitzt er immer noch am Tisch, liest die Zeitung, nickt ab und zu ein, schaut manchmal aus dem Fenster. Sagt die Frau: „Sag mal, Schatz, musst du heute gar nicht ins Büro fahren?“ Er springt erschrocken auf: „Mist, ich dachte, da wäre ich längst.“

An solche Sprüche haben Beamte sich gewöhnt und manchmal lachen sie auch darüber. Aber was die Finanzbeamten derzeit erleben, finden sie nicht mehr lustig: Eine Datenpanne, bei der fast 30 000 Arbeitnehmer unter anderem aus der familiengerechten Steuerklasse III in die höchste Steuerklasse I für Unverheiratete gerutscht sind, hat einen bürokratischen Albtraum ausgelöst. Das zeigt ein interner Bericht, der unserer Zeitung vorliegt. Darin beschreibt die Oberfinanzdirektion Karlsruhe für das baden-württembergische Wirtschaftsministerium das ganze Ausmaß der Panne. Die Behörde warnt vor Schadenersatzforderungen der betroffenen Bürger: „Hier stellt sich die Frage, ob und wie diese an die Verantwortlichen weitergeleitet werden.“

Ein Schaden kann den Betroffenen etwa entstehen, weil ihr Konto durch die Panne ohne ihr Verschulden ins Minus gerutscht ist. „Viele sind jetzt gerade im Urlaub und merken davon gar nichts“, sagt etwa ein Betroffener.

Hintergrund ist eine Softwarepanne bei der Bundeszentrale für Steuern in Bonn. Bei einer Programmanpassung (Experten sprechen von einem Release) sind zwischen dem 24. und dem 29. Juni insgesamt 28 787 Arbeitnehmer aus anderen Steuerklassen in Steuerklasse I gerutscht – rückwirkend zum 1. Januar. Das bedeutet für die Betroffenen teilweise wesentlich höhere Steuerabzüge.

Steuerlich betrachtet sind die Betroffenen ledig

„Insgesamt ist der Fehler den betroffenen Steuerbürgern nur schwer zu vermitteln“, heißt es in dem Schreiben. Denn einige Bürger haben deswegen im Juli kein Gehalt bekommen, sondern waren mit einer Steuernachzahlung konfrontiert.

Steuerlich gesehen sind die Betroffnen plötzlich nicht mehr verheiratet, sondern ledig. „Können Sie mir vielleicht sagen, mit wem meine Frau jetzt verheirat ist, wenn ich es nicht mehr bin“, fragt ein Betroffener einen Finanzbeamten. Bei diesen haben in den vergangenen Tagen viele wütende Menschen angerufen, obwohl die Leute vor Ort eigentlich auch nichts dafür können. Im Gegenteil: Sie leiden selbst unter dem Problem, weil sie nicht nur den ganzen Frust abbekommen, sondern nun auch noch einen erheblichen Mehraufwand leisten müssen.

In einigen Fällen haben die Beamten ab dem 29. Juni angefangen, den Softwarefehler zu korrigieren. Unglücklicherweise hat aber das Bundeszentralamt für Steuern am 28. und 29. Juli offensichtlich eigenständig auch wieder eine sogenannte „Datenbereinigung“ vorgenommen und erst danach, nämlich am 31. Juli, die Finanzämter informiert. Das geht aus dem Bericht hervor.

Die Datenbereinigung hat die Situation teilweise jedoch nur noch verschlimmert. Denn laut dem Bericht befindet sich ein Teil der Betroffenen nun rückwirkend zum 1. Januar in Steuerklasse IV anstatt in Steuerklasse III.

Ein schwacher Trost: „Dies betrifft allerdings nicht alle 28 787 Fälle“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums unserer Zeitung. Nach Angaben von Finanzbeamten sind von der Bereinigung auch solche Fälle betroffen, die diese zuvor von Hand korrigiert hatten.

Beamten angewiesen, bereits korrigierte Fälle erneut zu kontrollieren

In einer Mail der Oberfinanzdirektion an die Finanzämter, die den Stuttgarter Nachrichten vorliegt, werden die Beamten angewiesen, die bereits korrigierten Fälle aufs Neue zu kontrollieren. „Es wird darauf hingewiesen, dass Korrekturen, die nach dem 29.06.2015 von Sachbearbeitern an den betroffenen Fällen durchgeführt wurden, durch die Datenbereinigung unter Umständen wieder überschrieben wurden“, heißt es da. „Die Finanzämter werden gebeten, die zum Fehler gemeldeten Fälle anhand der Wiedervorlage erneut zu prüfen.“

Die Oberfinanzdirektion beschreibt den technischen Fehler als „sehr ärgerlich, da die automatische Änderung der Steuerklasse verdeckt erfolgt und die Finanzämter die betreffenenden Fälle erst erkennen und korrigieren können, wenn der Steuerpflichtige das Finanzamt kontaktiert.“ Die Behörde rechnet also mit weiteren Beschwerden. Und zwar erstens, weil noch nicht alle Betroffenen ihre Juli-Abrechnung bereits zur Kenntnis genommen haben.

Zweitens ist bei den Gehaltsabrechnungen vom August schon wieder mit empfindlichen Abzügen zu rechnen, weil ein Teil der Betroffenen durch die Datenbereinigung Ende Juli fälschlicherweise in die Steuerklasse IV statt in die günstige Steuerklasse III gerutscht sind.

Wer im Falle von Schadenersatzforderungen haftet, wollte das Bundesfinanzministerium unserer Zeitung nicht mitteilen. „Mögliche Schadenersatzforderungen können nur in konkreten Einzelfällen beurteilt werden“, sagte ein Sprecher.