Im Berlaymont-Gebäude von Brüssel residiert die EU-Kommission. Foto:  

Wie hoch die Steuersätze ausfallen und wie die Sozialversicherung konstruiert wird, diese Fragen fallen in die Kompetenz der nationalen Regierungen. Doch die Kommission nimmt indirekt Einfluss. Teils ist dies durchaus im Interesse der Wirtschaft.

Brüssel - Die EU begann 1957 als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Bis heute ist das Herzstück der Gemeinschaft der Binnenmarkt, der den Unternehmen die gleichen Absatzchancen in einem riesigen Markt mit 500 Millionen Verbrauchern bietet. Dennoch kommt immer wieder Kritik an der Europäischen Union aus der Wirtschaft. Was ist dran in den Bereichen Steuern und Sozialsystemen?

Nationalstaaten legen Steuersätze selbst fest

Brüssel erhebt keine Steuern und mischt sich auch nicht in die Frage ein, wie hoch die Steuersätze in den einzelnen Mitgliedsländern auszufallen haben. Lediglich bei der Mehrwertsteuer, die allerdings nicht die Wirtschaft zu tragen hat, sondern der Verbraucher, legt die EU einen Korridor fest.

Ertragssteuersätze, also die Prozente hinter der Einkommen- und Körperschaftsteuer, stehen im alleinigen Ermessen der Nationalregierungen. So kommt es, dass die Körperschaftsteuersätze, die etwa Aktiengesellschaften zu zahlen haben, weit auseinander liegen: Bulgarien verlangt mit 10,0 Prozent am wenigsten, gefolgt von Zypern (12,0 Prozent) und Irland (12,5 Prozent). Die Hochsteuerländer für Unternehmen liegen im alten Europa. Italien verlangt 27,5 Prozent, Deutschland 29,8, Spanien 30, Belgien 33 und Frankreich sogar 33,3 Prozent. Es wird in nächster Zeit mit einem Kommissions-Vorschlag zur Harmonisierung der Bemessungsgrundlage gerechnet.

In vielen Ländern der EU, auf OSZE-Ebene sowie im Kreis der 20 wichtigsten Industrieländer (G 20) gibt es zudem den Trend, Steuerschlupflöcher für Unternehmen zu schließen. In der Globalisierung und Digitalisierung ist es vielen Konzernen gerade aus der Hightech-Branche gelungen, Gewinne aus Hochsteuerländern in Steueroasen zu verschieben. Durch vielfältige Maßnahmen soll nun erreicht werden, dass Gewinne dort versteuert werden, wo sie anfallen und wo die Wertschöpfung stattfindet. An diesen Bestrebungen beteiligt sich auch die EU, etwa in dem künftig zwischen den Finanzbehörden der Mitgliedsstaaten die wichtigsten Steuerdaten von Banken und besonders großen Unternehmen ausgetauscht werden.

Deutsche Konzerne haben an dieser Front allerdings wenig zu befürchten. Ralph Brügelmann, Steuerexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), sagt: „Brüssel lehnt sich bei all diesen Maßnahmen gegen Steuervermeidung stark an das bereits bestehende deutsche Recht an.“ Seit 2013 recherchiert die EU-Kommission, ob Mitgliedsstaaten regelwidrig Sonderabsprachen über Ertragsteuern mit Unternehmen haben. Dazu hat sich die Kommission alle so genannten Steuervorbescheide (Englisch: tax rulings), wie die Absprachen heißen, aus den Mitgliedsstaaten kommen lassen. Die Prüfung dauert an. Die Absprachen an sich sind nicht problematisch. Sie können allerdings gegen EU-Vorschriften zu staatlichen Beihilfen verstoßen.

Aktuelles Beispiel dafür ist der Fall Apple in Irland, wo der am US-Konzern über Jahrzehnte so gut wie gar keine Steuern auf seine Milliardengewinne gezahlt hat. Der Fall Apple könnte nur der Anfang gewesen sein: Derzeit würden von der Kommission etwa sechs Steuerabsprachen der irischen Regierung mit multinationalen Konzernen geprüft, die ebenfalls Anfang der 1990er Jahre vereinbart worden seien, berichtete die irische „Sunday Business Post“ am Sonntag ohne Angabe von Quellen.

Brüssel hat wenig Einfluss auf die Sozialsysteme

Grundsätzlich liegt auch die Sozialpolitik außerhalb der Regelungskompetenz von Brüssel. Direkt mischt sich also die EU-Kommission nicht in die gesetzliche Alterssicherung, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ein. Eigentlich hält sich Brüssel also raus.

Doch es gibt auch hier eine Ausnahme. Die EU mischt sich ein, wenn der freie Markt von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften betroffen ist. Jochen Pimpertz, Experte für das Sozialsystem beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), nennt das Beispiel Betriebsrenten: „Wer im nationalen Rahmen den Arbeitgeber wechselt, merkt schnell, wie kompliziert es ist, wenn es um die Anwartschaften geht.“ Wer beruflich von einem EU-Land ins andere wechsle, merkt, dass es im Binnenmarkt noch einmal komplexer wird. Pimpertz: „Wenn Brüssel Regeln schafft, damit das Sammeln von Anwartschaften in unterschiedlichen Systemen einfacher wird, dann ist das grundsätzlich zu begrüßen.“ Die Regulierung schaffe einen rechtssicheren Rahmen für einen grenzenlosen Arbeitsmarkt in der EU.

Noch ist es Zukunftsmusik, doch die EU-Kommission könnte noch auf einem zweiten Weg Einfluss auf die sozialen Sicherungssysteme in den Mitgliedsstaaten nehmen: Über Empfehlungen, die die Kommission den Mitgliedern gibt, damit diese ihre Haushaltspolitik besser in den Griff bekommen und die Neuverschuldung abbauen. Dabei geht es vor allem um die Rente. IW-Experte Pimpertz befürchtet, dass die gesetzliche deutsche Rentenversicherung dabei unter Druck kommt. „Aus Brüssel könnte die Empfehlung kommen, in der deutschen Rentenversicherung stärker umzuverteilen, weil dies in anderen Ländern etwa in Skandinavien so ist.“ Allerdings werde dabei übersehen, dass es in Deutschland neben der gesetzlichen Rente noch die so genannte Alterssicherung gibt, also die Sozialhilfe für Alte, die Schutz gegen Altersarmut bietet.

Auch bei der Arbeitslosenversicherung gibt es Ideen aus Brüssel, die Deutschland alarmieren müssen: So tauchen immer wieder Pläne für eine europäische Arbeitslosenversicherung auf. Vorgeschlagen wird auch, dass Länder, die von besonders hoher Arbeitslosigkeit getroffen sind, von anderen unterstützt werden. Wirtschaftsforscher warnen: Damit verlören die nationalen Regierungen die Verantwortung, mit Arbeitsmarktreformen für mehr Jobs zu sorgen.