Vermissenswert: Formulare für die analoge Steuererklärung. Foto: dpa

Das Internet gilt als die größte technische Revolution seit der Erfindung des Rads. Angeblich ist digital bald alles in rasender Geschwindigkeit möglich. Nur eines sicher nicht: die elektronische Steuererklärung. Ein Leidensbericht.

Stuttgart - Technischer Fortschritt? Die meisten Fortschrittsgläubigen verstehen darunter eine Steigerung der Produktivität. Neue Technik erlaube eine rationellere Arbeitsweise, heißt es, man spart Kosten und Zeit. Das Internet zum Beispiel. Der Glaube an die innovative, Heil bringende Kraft des Netzes nimmt zuweilen religiöse Züge an. Das Internet gilt gemeinhin als Inbegriff für den technischen Fortschritt. Mindestens so revolutionär wie die Erfindung des Rads. Der Dampfmaschine. Des Automobils. Oder die Erfindung des deutschen Finanzamts.

Elster ohne Flügel

Wer an einem Sonntagnachmittag mithilfe des Internets seine Steuererklärung ausfüllen und auf digitalem Wege absenden will, erkennt selbst als glühendster Fortschrittsoptimist irgendwann, dass der Begriff „Fortschritt“ vielleicht etwas anderes meint: nämlich so viel wie „fortschreiten“. Fortgehen. Abhauen. Dorthin, wo Elster noch ein Vogel und nicht die Abkürzung für Elektronische Steuererklärung ist.

Zurück zum Anfang: Sonntagskaffee, frisch gebrüht. Laptop aufgeklappt und die Elster-Seite aufgerufen. Man hat eine Stunde eingeplant, mehr dürfte das Eintragen der wenigen Daten nicht dauern. Ist ja nicht viel, was man eingeben kann. Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit, ein paar Versicherungen. Dafür keine Mieteinnahmen, keine Auslandskonten, keinerlei Einnahmen aus Kapitalvermögen.

Ausgefüllt und eingetütet

Das vorletzte Mal, als man das noch schriftlich per Post einreichen konnte, waren die Vordrucke in einer halben Stunde ausgefüllt und eingetütet. Letztes Jahr reichte man erstmals die Daten via Internet ein und benötigte rund vier Stunden und einen Sack voll Nerven.

Und dieses Mal? Braucht man allein eine Stunde, um das notwendige persönliche und längst vorhandene Zertifikat zu aktivieren. Angeblich verfügt der noch recht neue Apple-Rechner nicht über alle Voraussetzungen für das Elster-System. Quatsch. Man lädt den Browser neu herunter, also das Programm, das die Seiten im Netz darstellt.

Aufpoppende Fehlermeldungen

Fehlanzeige. Alles von vorn. Man fährt den Rechner herunter, Neustart, googelt Namen von Steuerberatern, die man anderntags anrufen will. Wieder nix. Nach einer Stunde dann: Es geht doch. Ein Wunder. Der grüne Balken signalisiert baldigen Vollzug. Alles gut? Von wegen. Denn nach jeder Eingabe und dem Versuch des Weiterblätterns poppt folgende Fehlermeldung auf: „Fehler: Netzwerk-Zeitüberschreitung. Der Server unter www.elster.de braucht zu lange, um eine Antwort zu senden. Die Website könnte vorübergehend nicht erreichbar sein, versuchen Sie es bitte später nochmals.“ Super. Mit einer Tasse Kaffee kommt man hier nicht weiter. Psychopharmaka wären jetzt okay. Drogen. Oder wenigstens Alkohol. Mit dem Korkenzieher in der Faust kämpft man weiter, Seite für Seite, Fehlermeldung für Fehlermeldung. Die Hölle.

Fix und fertig

Schließlich . . . ist man fertig. Fix und fertig. Um ein Uhr in der Nacht. Für das digitale Eintragen und Abschicken der zwei Dutzend Eurobeträge an das Finanzamt brauchte man genau siebeneinhalb Stunden Zeit! Das ist das Vierzehnfache der Zeit, die man vor zwei Jahren benötigte, als man sich noch auf Papier erklärte. Hätte man die Daten in Stein gemeißelt . . . drei Wochen später kommt ein Brief von der zuständigen Finanzbehörde mit der Bitte um Zusendung einiger Kopien. Und das bitte sehr: postalisch. Danke, Internet. Und tschüss, Fortschritt.