Für Rita (2.v.l.) war der Besuch beim Ministerpräsidenten doppelt toll. Sie hatte nämlich Geburtstag. Foto: StM/Rüdiger Ott

Die Sternsinger von Sankt Michael haben am Montag Winfried Kretschmann in der Villa Reitzenstein besucht. Für eines der Kinder war der Besuch gleich doppelt aufregend.

Sillenbuch - Der Ministerpräsident nimmt es routiniert. „Wir sind die Sillenbucher und hätten eine Frage. Könnten Sie uns die Einladungskarten signieren?“, hat ihn gerade eben die Frau mit dem Schal gefragt. „Mach ich“, sagt Winfried Kretschmann, nickt fast unmerklich, zückt den Füller und setzt seine Unterschrift auf das oberste Stück Karton. Erst als Petra Burghard-Umfahrer darauf hinweist, dass in dem Stapel noch neun weitere Karten sind, scheint er für den Bruchteil einer Sekunde nicht so recht zu wissen, was er tun soll. Ein Mitarbeiter steht neben ihm und tippt mit dem Finger auf die Armbanduhr. „Wir haben oben auch Autogrammkarten“, sagt der Mitarbeiter. Der Terminplan ist eng. Draußen stehen schon zwei dunkle Limousinen bereit, die eine für den Landeschef, die andere für die Begleiter.

Es ist Montag, und der Ministerpräsident hat mehrere Sternsingergruppen aus ganz Baden-Württemberg zu sich in die Villa Reitzenstein geladen. Bei dem alljährlichen Empfang sind dieses Mal auch Kinder der katholischen Gemeinde Sankt Michael aus Sillenbuch dabei. Nicht nur für sie ist es das erste Mal, auch für Kretschmann ist es eine Premiere.

Kretschmann als engagierter Katholik

Schwester Luise Ziegler nutzt den Moment abseits des Protokolls: „Wenn ich Ihnen das noch sagen darf, ich freue mich so, dass unser erster grüner Ministerpräsident ein so engagierter Katholik ist.“ Kretschmann lächelt ein wenig gequält, geht zum Fensterbrett, breitet den Stapel vor sich aus und signiert eine Einladung nach der anderen. Der Umhang, den ihm die Kinder aus Nürtingen für den Fototermin kurz zuvor über die Schulter gelegt haben, rutscht ihm über die Hand.

Es ist ja für den guten Zweck. Sternsinger wandern wenigstens seit dem 16. Jahrhundert von Haus zu Haus. Meist sind es Kinder und Jugendliche, die sich in Gewänder hüllen, Lieder singen und mit einem Stück Kreide die Segensbitte über den Türsturz schreiben. Die besteht aus dem Kürzel C + M + B, eingerahmt von der jeweiligen Jahreszahl. Die Buchstaben sollen als Kürzel für den Spruch „Christus mansionem benedicat“ stehen, was so viel heißt wie „Christus segne dieses Haus“. Es könnten damit aber ebenso Kaspar, Melchior und Balthasar, also die Heiligen Drei Könige, gemeint sein. Jedenfalls ist es mancherorts noch heute Brauch, die Abkürzung K + M + B auf die Eingangstür zu kritzeln.

Platz für acht Kinder

Für die Kinder ist das nicht so wichtig. Dass die Kostüme passen, schon. Es ist zwei Stunden vor dem Empfang in der Villa Reitzenstein, und die Sternsinger von Sankt Michael haben sich im Gemeindezentrum an der Kleinhohenheimer Straße getroffen. Eigentlich sind es um die 20 Kinder, die singend durch die Straßen Sillenbuchs ziehen, aber nur acht dürfen heute mit. Für mehr ist nicht genug Platz. Außerdem sind die Erwachsenen Sylvia Wörner und Schwester Luise samt Gitarre dabei. Auch Petra Burghard-Umfahrer will mit. Sie hat keine Einladung. „Ich werde mich reinmogeln“, sagt sie.

Ihre beiden Töchter schminken sich derweil gegenseitig. Beide stehen vor dem Spiegel in der Damentoilette. „Das ist schwarze Theaterschminke“, sagt Anna und betupft Lenas Gesicht mit einem Spülschwamm, den sie hin und wieder in die Schale mit Farbe drückt. Ihr Gesicht ist schon geschwärzt, die weißen Zähne blitzen. Heute wird es also zwei Mohre geben. Mit dabei sind auch Rita, Anne, Emelie und Carlotta. Luisa trägt den Stern. Und Chiara hält die Spendendose in der rechten Hand.

Einige Sternsinger hatten eine weite Anreise.Ott 500.000 Sternsinger

Denn stets hat eines der Kinder beim Sternsingen eine Geldbüchse dabei und bittet um eine Spende. Seit 1959 organisiert der „Bund der deutschen katholischen Jugend“ das Dreikönigssingen in ganz Deutschland. 2011 etwa waren 500 000 Sternsinger aus mehr als 11 000 katholischen Gemeinden unterwegs und sammelten insgesamt 41,8 Millionen Euro. Damit ist das Dreikönigssingen weltweit die größte Aktion, bei der sich Kinder für Gleichaltrige einsetzen. Mal ist das Geld für Straßenkinder in Südamerika gedacht, mal für Aids-Waisen in Afrika. Wie viel Geld es in diesem Jahr sein wird, steht noch nicht fest.

Wie alt Rita heute geworden ist, schon. In der Straßenbahn, irgendwo zwischen Ruhbank und Geroksruhe, wird ihr elfter Geburtstag gefeiert. Im Kanon singen die Kinder „Viel Glück und viel Segen“, auf dass jeder Musiklehrer vor Neid erblassen würde. Auch einige Fahrgäste recken die Köpfe. An der Haltestelle Payerstraße heißt es aussteigen. Entlang der Richard-Wagner-Straße marschieren die Sillenbucher in Richtung Staatsministerium.

Minutiös geplantes Programm

Wenig später folgt ein minutiös durchgeplantes Programm. Vor dem großen Fenster im Runden Saal steht Kretschmann, hält eine Rede und lobt die Kinder. Ein wenig Weihrauch täte diesem Haus ganz gut, meint er. Da macht aber die Feuerwehr nicht mit. Von Gemälden schauen die früheren Ministerpräsidenten Gebhard Müller und Kurt Georg Kiesinger herab. Auch andere halten Reden. Kinder sprechen über ihre Sammelaktion, die Ludwigsburger Sternsinger rappen ein Lied. Meist stehen die kleinen Gäste aber im Bogen rechts neben dem Landeschef, links stehen die Fotografen und Kameraleute. Immer wieder klacken die Verschlüsse. Der Landeschef übergibt einen Spendenscheck mit 600 Euro. Noch mehr Blitze flammen auf.

Hernach, beim Würstle-Essen im Speisesaal, werden Servietten geklaut. Auf denen ist das Logo Baden-Württembergs aufgedruckt. Die Idee, die Logos auch aus einigen Tellern herauszubrechen, verwerfen die Kinder aber wieder. „ Kretschmann zu besuchen, war cool“, sagt Carlotta. Ihr Bruder jedenfalls sei „voll neidisch, dass ich den Ministerpräsidenten sehen durfte“.