Lin Verleger, Gerd Ritter, Marie-Christin Sommer, Milan Gather unud Anna-Lena Hitzfeld (von links) besingen ironisch das Leid von Hesses „Steppenwolf“ Foto: Alex Wunsch

Hermann Hesse hat in seinem Roman „Der Steppenwolf“ einen Mann beschrieben, der am Leben leidet. Das Junge Ensemble Stuttgart leuchtet seine Seele mit vielfältigsten theatralischen Mitteln aus – und macht sich immer ein bisschen lustig über allzu viel Weltschmerz.

Stuttgart - Zwei Stunden Schmerzen hat er wieder gehabt. Der Kopf ist es, der Harry Haller zu schaffen macht. Da hilft das beste Pulver nichts, denn Harrys Hirn ist auf Leiden eingestellt. „Zufriedenheit ist keine Speise für mich“, sagt der Mann, der „durch die Hölle“ gegangen ist und mit Selbstmord liebäugelt. Haller ist ein einsamer Wolf, als Steppenwolf bezeichnete Hermann Hesse seine Romanfigur, die ihm selbst ähnlich war. 1927 erschien „Der Steppenwolf“, worin der Autor das Leid und Selbstmitleid jenes Mannes ausbreitet, der „auf dumme Art gescheit ist“.

Gleich fünffach taucht Haller auf der Bühne des Jungen Ensembles Stuttgart (Jes) auf, in der ersten Premiere der laufenden Spielzeit. Der „Steppenwolf“ ist ein heikles Unterfangen, denn so gern Romane von Theatern auf die Bühne gebracht werden, sie taugen nur bedingt dafür. Die Regisseurin und Intendantin Brigitte Dethier scheint die Schullektüre aber vor allem gewählt zu haben, um Werbung für ihre Disziplin zu machen. Dem Publikum, womöglich zum ersten Mal in einer Vorstellung, führt sie vor, wie witzig und geistreich im Theater das erzählt werden kann, was in der Literatur die Sprache übernimmt.

Die verhasst Welt explodiert – in einem eingeblendeten Computerspiel

Sparsam möbliert ist die durch Technik belebte Bühne. Hier wird eine gezeichnete Tür projiziert, dort fliegt Haller in einer Videoprojektion durchs All oder schreitet durch Gänge, die zu immer neuen Türen führen. Er verliert sich in einem raffiniert ausgeleuchteten Spiegelkabinett, in dem er Traumgestalten und sich selbst begegnet, dann wieder ist er gefangen in einem eingeblendeten Computerspiel, in dem die abscheuliche Welt dramatisch explodiert.

Drei Schauspieler, ein Tänzer und eine Musikerin drücken auf unterschiedliche Weise den Seelenzustand Harry Hallers aus, der „nicht heimisch wird in der zutiefst verhassten Welt“ und wehleidig am Rand des Lebens steht. Lustig und beredt zugleich ist die Szene, als er zum Abendessen eingeladen ist und sämtliche Tischgeräusche der ihm widerwärtigen Bürgerlichkeit vom Band eingespielt werden, während die Schauspieler dumpf am Tisch hocken.

Beeindruckend ist vor allem Lin Verleger, ein junger Tänzer, der zwischen den Szenen eine Mischung aus Modern Dance und Breakdance präsentiert und neurotisch zuckend Hallers Zerrissenheit prägnant zum Ausdruck bringt. Während Milan Gather, Anna-Lena Hitzfeld und Gerd Ritter kurzfristig in Silberfummel schlüpfen, singt Marie-Christin Sommer zu lässigem Beat einen frechen Schmachtsong auf „Maria“, eine Prostituierte, die laut Haller „gelernt hat, ein bisschen dumm und vergnügt zu sein“.

So bewahrt die Theaterfassung ironische Distanz zum selbstmitleidigen Schöngeist und markiert, wie arrogant und selbstgerecht Hallers Weltschmerz ist. Da wimmern seine Alter Egos jämmerlich und steigern das Weinen zu Wolfsgeheul. Brigitte Dethier findet für Hallers kokette Schwermut viele heutige Bilder, die zugleich Zustände eines jeden Menschen in jungen Jahren spiegeln. In kritischer Selbstbeschau filmt Anna-Lena Hitzfeld mit der Handkamera ihr Gesicht. Die eingeblendeten Ego Shooter machen dagegen bewusst, dass sich die Gefühle des Titelhelden heute in dumpfen Ballerspielen Luft machen würden. Letztlich steckt eben in jedem von uns ein Stück Harry Haller.

Heutige Bilder für die kokette Schwermut

Nach einer turbulenten Odyssee durch die Hölle, nach Drogenexzessen, Sex und teuflischem Gelächter kehrt Haller ins Leben zurück, zwar nicht als neuer Mensch, aber doch ein wenig geläutert und bereit, endlich zu akzeptieren, dass „das Leben keine heroische Dichtung, sondern eine bürgerliche gute Stube“ ist.