Die „Dienerautobahn“ ist die Kehrseite barocker Pracht: Der Schlossverwalter Stephan Hurst kann in dem Gang, der für die Diener bestimmt war, kaum stehen. Foto: factum/Simon Granville

Menschen hinter den Kulissen: Heute stellen wir Stephan Hurst vor, der die Verwaltung des Ludwigsburger Residenzschlosses leitet.

Ludwigsburg - Vielleicht Versailles?“ antwortet Stephan Hurst, Leiter der Schlossverwaltung, fragt man ihn, was ihn denn jenseits des Residenzschlosses Ludwigsburg beruflich noch reizen könnte – um sich dann lachend zu korrigieren: „Bestenfalls Versailles. Aber eigentlich auch das nicht – es gibt in Europa nicht viele Schlossanlagen, die sich mit dieser hier messen können. Und die in der täglichen Bewahrung und Nutzung so spannend und so herausfordernd sind.“

Seit September 2013 leitet Stephan Hurst die Verwaltung des Residenzschlosses. Und nicht nur diese: Verantwortlich ist er außerdem für Schloss Solitude, für Schloss Favorite, für die Grabkapelle auf dem Württemberg, für die bekanntesten Stauferburgen des Landes – Hohenstaufen und Burg Wäscherschloss bei Wäschenbeuren sowie für das Kloster Lorch.

Vielseitiger Beruf

„Mehr als zwei Tage pro Woche bin ich selten im Schloss“, gibt er zu, die Tätigkeit hält ihn in Bewegung. Als Schnittstelle versteht er sich, als Anlaufstelle für eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeiten, Projekte, Herausforderungen.

Personalmanagement und Immobilienmanagement hat Stephan Hurst studiert, im Gespräch jedoch wird schnell klar, wie viele andere Tätigkeiten er daneben und darüber hinaus beherrschen muss: Marketing, Veranstaltungsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, die Begleitung von Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten. Interdisziplinäres Wissen und vernetzende Kompetenz gehören ganz offensichtlich zum Profil seiner Stabsstelle. Viel Zeit kostet ihn, so erzählt er, das Implementieren neuer Veranstaltungen wie das ‚Electrique Baroque‘ – das in diesem Jahr wegen des Coronavirus’ allerdings ausfallen muss. „Da muss man intensiv diskutieren und abwägen: Welche Veranstaltungen passen zu uns, welche nicht, was können wir in den historischen Räumen veranstalten, was nicht, welche Erwartungshaltungen haben wir, hat der Veranstalter, hat die Zielgruppe. Es ist nicht so, dass es schwierig ist, die vielen Besucher für das Schloss zu begeistern, schwierig ist es, ihnen möglichst viele interessante Zugänge zu eröffnen“, erklärt der Schlossverwalter.

Mehr als eine historisches Bauwerk

Fünf Jahre war Stephan Hurst Leiter der Schlossverwaltung im Residenzschloss Rastatt, bevor er 2013 nach Ludwigsburg kam. „Lange überlegen musste ich nicht“, erinnert er sich: „Schloss Ludwigsburg ist in vielfacher Hinsicht eine wundervolle und spannende Herausforderung.“ Als barockes Ensemble zähle die Schlossanlage zu den größten Europas, aber nur ganz wenige andere Objekte seien in so gutem Zustand und so authentisch erhalten.

„Schloss Ludwigsburg verfügt über eine ungeheure Menge an Kostbarkeiten, an Kunstobjekten, an originaler Baustruktur, an architektonischen Highlights – und alles ist eingebettet in ein weithin gestaltetes und noch immer erkennbares Landschaftskonzept, das Stadt und Schloss, die Parks, die Alleen und die nahe liegenden Lustschlösser miteinander verbindet“, sagt Hurst. Und dann beginnt er damit, aufzuzählen, und man spürt die Begeisterung für „sein“ Residenzschloss, das ihm ganz offensichtlich mehr ist als nur ein historisches Bauobjekt, das zufällig auch ein Arbeitsplatz ist.

Inoffizielle Wege für Diener

„Gehen Sie nur mit offenen Augen durch unsere Räume, durch die Ahnengalerie, durch den Spiegelsaal, hier gibt es eines der in Europa ganz seltenen originalen barocken Theater, wir haben ein Modemuseum, ein Keramikmuseum, eine Barockgalerie, wir erschließen unseren Besuchern über unsere Themenführungen viel mehr als nur historische Kenntnisse, wir vermitteln barocke Lebenswelten, wir zeigen die offiziellen und die die inoffiziellen Wege, zeigen die ungeheure Prachtentfaltung und blicken gleichzeitig hinter die Fassade und auf den Alltag des 18. Jahrhunderts, in die Dienergemächer, in die Küchen, in die Ankleideräume.“

Blick in die Vergangenheit

Und wie zum Beweis wird man von Stephan Hurst steil treppauf an einen seiner Lieblingsplätze im Schloss geführt: Einen Versorgungsgang direkt unter dem Dach, den er schmunzelnd die „Dienerautobahn“ nennt. Die befindet sich über der heutigen Bildergalerie, die den Westlichen Kavalierbau mit dem Neuen Corps de Logis verbindet, und die – analog zur Ahnengalerie im Osten – den Schlosshof schließt. Begeistert dreht Stephan Hurst erzählend die Zeit zurück: Vor dem inneren Auge des Besuchers entsteht das Bild einer großen Schar von Dienern, die, weil sie die Beletage natürlich nicht nutzen durften, hier oben, ein Stockwerk über der Herrschaft, in langen Reihen dienst- und eilfertig über den Gang huschen, Essen in die Räume des Neuen Corps de logis transportieren, Kerzen, Geschirr, Getränke, Gegenstände des täglichen Gebrauchs.

Aus den runden Fenstern in Bodennähe sieht man hinunter in den Schlosshof, hinaus zur Schlosswache, über die Alleen hin zur Stadt, hinauf zum Holzmarkt und bis an die Stadtkirchen am Marktplatz. „Steht die Sonne tief, fällt das Licht glitzernd in den Gang“, ergänzt der Schlossverwalter, „dann könnte man meinen, die Zeit stehe still.“