Waad al-Kateab mit ihrer Tochter. Foto: PicturePartners/Georg Strohbücker

Bei der Gala der Stuttgarter Hilfsorganisation Stelp spenden die Gäste mehr als eine halbe Million Euro – Die Filmemacherin Waad al-Kateab war mit ihrer Familie im Kursaal und berichtet von ihrem Leben im besetzten Aleppo.

Manchmal kann man nur weinen. Selbst wenn man geübt ist im Umgang mit Worten, ringt man vergeblich um sie. Wie sollen Worte auch ausdrücken, was man gerade auf der Leinwand im Cannstatter Kursaal gesehen hat. Da bleiben nur die Tränen. Klare Tränen, immerhin. Waad al-Kateab (31) hat über die fünf Jahre im belagerten Aleppo gesagt: „Manchmal weinen wir Blut!“ Einen Dokumentarfilm hat sie gedreht über diese Jahre, ihn ihrer Tochter gewidmet und „Für Sama“ genannt.

Erschütternde Szenen

Er war nominiert für einen Oscar, im Kursaal war bei der Gala der Hilfsorganisation Stelp gerade ein Ausschnitt zu sehen. Zwei Jungs bringen nach einem Raketenangriff ihren Bruder Mohamed in das Krankenhaus, das al-Kateabs Mann Hamsa aufgebaut hat und leitet, sie sind über und über mit Staub bedeckt. Mohamed ist vielleicht drei, vier Jahre alt. Er ist nicht mehr zu retten. Waad al-Kateab filmt, wie die Ärzte das Leichentuch über ihm zusammenschlagen; wie die weinenden Brüder ihn sanft auf die Stirn küssen; wie seine Mutter ihn sucht; wie sie ihn hochnimmt und nach Hause trägt; wie die Krankenpfleger ihr helfen wollen; wie sie sagt: „Es ist das Letzte, was ich für ihn tun kann!“ Ja, man versteht jetzt, wenn Waad al-Kateab sagt, sie habe Blut geweint.

Widersprüche inbegriffen

Sie ist da, an diesem Samstagabend, mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern. Die ältere ist am 1. Januar 2016 in Aleppo geboren. Die Eltern taufen sie Sama – arabisch für Himmel. „Wirst du mir je verzeihen?“, fragt ihre Mutter, während die Russen Aleppo in Grund und Boden bomben.

Es fließen die Tränen – und der Champagner. Die 300 Gäste trinken Gin Tonic und sehen auf der Leinwand durstige Kinder, die Gäste essen ein Vier-Gänge-Menü der Köche Fabian Wolf und Andreas Litke und sehen Bilder von hungernden Ukrainern, die Gäste löffeln Eis aus einer halben Kokosnuss und sehen, wie Kinder sterben. Cassandra Steen und die Orsons singen, und man hört Geschichten aus dem Krieg. Es ist ein schmaler Grat, auf dem diese Gala wandelt. Sie verursacht keine Kosten, alles ist gespendet, die Freiwilligen von Stelp schenken aus und bedienen. Alles dient dem Zweck, möglichst viel Geld zu sammeln, um die 14 Hilfsprojekte in zwölf Ländern zu unterstützen und auszubauen.

Bilder aus Aleppo

„Wir werden Bilder zeigen, die Sie verstören werden, die an die Grenzen des Ertragbaren gehen“, sagte Stelp-Mitgründer und Geschäftsführer Serkan Eren zur Begrüßung, „das heißt aber nicht, dass Sie den Abend nicht genießen sollen.“ Aber im Bewusstsein, dass alle hier im Saal „in der Geburtslotterie gewonnen haben“. Wobei – alle trifft es nicht. Boris, Stanislaw und Xenia kommen aus einem vom Krieg erschütterten Land. Die drei Ukrainer betreiben von Stelp unterstützte Hilfsprojekte, bauen Container, reparieren Dächer und verteilen Lebensmittel. Sie konnten einen Abend durchatmen, bevor es zurückgeht in die Hölle.

Waad al-Kateab hat fünf Jahre ausgeharrt in Aleppo. Mit ihrer Videokamera hat sie mehr als tausend Stunden gefilmt. Die Kamera war ihr Filter, die sie all dies ertragen ließ. Ihr Mann und sie waren die Stimme Aleppos – und Zeugen der Verbrechen Assads. Zur Rechenschaft gezogen wurde er bisher nicht. Seine Macht scheint gefestigt, die Welt schaut nicht mehr auf Syrien.

Ist Syrien vergessen?

Hat sich das denn alles gelohnt? „Ja“, findet Waad al-Kateab, sie ist sich sicher, „der Wandel kommt, wie er aussieht, weiß ich nicht, aber er kommt“. Sie bereut nichts, „es war der Preis, den wir zahlen mussten“. Sie weiß, „von außen wirkt es verrückt, dass wir geblieben sind, aber Aleppo war unsere Heimat, dort war unser Zuhause, es mag klein wirken, was wir hatten, aber für uns bedeutete es die Welt“. Nach einem Handel der UN mit den Russen konnten die Belagerten ins Exil, über die Türkei landeten die al-Kateabs in London. Von dort versuchen sie nun dafür zu sorgen, dass der Kampf der Syrer um ihre Freiheit nicht vergessen wird ob der vielen Krisen auf der Welt.

Tore schießen für einen guten Zweck

Zumindest in Stuttgart gelingt das. Als Szenen aus dem Film gezeigt werden, müssen etliche Gäste den Saal verlassen, so erschüttert sind sie. Der Film rüttelt auf, er öffnet Herzen und Geldbeutel. Etliche Spenden gehen ein, darunter von einem unbekannten Schenker über 100 000 Euro. Der Präsident des FC Augsburg, Markus Krapf, und Geschäftsführer Michael Ströll sind nach dem Kick beim VfB zur Gala gekommen, weil Dominik Hoffmann, einer ihrer leidenschaftlichsten Fans, Serkan Eren von einem Hilfsprojekt kennt. Sie spenden 19 700 Euro, weil der FCA 1907 gegründet wurde. Alex Wehrle, Vorstandsvorsitzender des VfB, und Weltmeister Sami Khedira legen einen drauf, für jedes erzielte Tor diese Saison wird der VfB 1000 Euro spenden. Ein signiertes Trikot von Zlatan Ibrahimovic wird für 5500 Euro versteigert. Boxhandschuhe, unterschrieben von den Klitschko-Brüdern, bringen 17 000 Euro. Dafür geht auch ein Maradona-Trikot weg. Am Ende spenden die Gäste 531 198 Euro. Wieder gibt es Tränen. Freudentränen.