Vor allem Obst und Gemüse müssen im Tafelladen schon rationiert werden. Foto: Archiv/Simon Granville

Weil Lebensmittel teurer geworden sind, gibt es weniger Lieferungen für den Tafelladen. Dabei stehen die starken Preiserhöhungen noch bevor. Weggeworfen wird aber noch genauso viel, berichten die Lebensmittelretter von Foodsharing.

Stuttgart - Manche Lebensmittel müssen in den Stuttgarter Tafelläden schon rationiert werden. Von Tomaten gibt es pro Haushalt zum Beispiel nur noch eine abgewogene Menge, damit nicht gleich alles ausverkauft ist. Das gilt je nach Angebotslage auch für anderes Gemüse, Obst oder Milchprodukte. „Für uns bleibt weniger übrig“, sagt Ingrid Poppe. Die Projektleiterin vom Verein Schwäbische Tafel kann den Rückgang genau beziffern: Um 15 Prozent sind die Warenanlieferungen gesunken, seit die Preise für Lebensmittel steigen. Und die meisten Nahrungsmittelhersteller haben für dieses Frühjahr weitere Erhöhungen angekündigt. Weggeworfen wird dennoch weiterhin viel Ware.

 

Mehr Diskussionen über das Angebot an Lebensmitteln

In den Tafelläden habe die Dynamik zugenommen, berichtet Ingrid Poppe. Die Kundschaft würde früher kommen, um nicht leer auszugehen, und es würde mehr Diskussionen geben, wie viel eingekauft werden darf. „Man merkt die Überlebensangst“, sagt sie, „das ist traurig.“ Die Angebotsverknappung erklärt die Projektleiterin mit einer Sparsamkeit seitens der Supermärkte: Bei steigenden Lebensmittelpreisen würde der Handel knapper kalkulieren und nicht mehr so viel Überschuss produzieren. Außerdem seien die Marktleiter bereit, die Produkte länger im Verkauf zu halten. Deshalb bleibe für die Tafelläden weniger übrig, Obst und Gemüse auch „in einer bisschen schlechteren Qualität“, sagt sie.

Die Besucher der Vesperkirche fragen nach zusätzlichem Obst

Der Vesperkirche machen die angezogenen Preise ebenfalls zu schaffen. Zwar kommen genauso viele Besucher wie im vergangenen Jahr, berichtet Pfarrerin Gabriele Ehrmann. Mehr ältere Menschen sind allerdings ihrem Eindruck nach darunter, weil ihnen das Geld fehle und der soziale Kontakt. Außerdem sei auf Obst „ein richtiger Run“, sagt sie. „Darf ich noch einen zweiten Apfel haben“, würden viele fragen, ist ihr aufgefallen. Darüber hinaus wollte die Cateringfirma wegen der Inflation und der gestiegenen Energiekosten um einiges aufschlagen. Am Ende wurde eine Erhöhung um fünf Prozent vereinbart – bei den bisherigen Ausgaben von 180 000 Euro für die Essen entspricht das immerhin 9000 Euro, die zusätzlich über Spenden finanziert werden müssen. „Wir hoffen, dass es am Ende aufgeht“, sagt die Pfarrerin.

Eine Häufung von Lebensmitteldiebstählen

Zu der Entwicklung passt, dass die Polizei seit Anfang November fünf Lebensmitteldiebstähle meldete. Meist werden in solchen Fällen Schnapsflaschen gestohlen, im jüngsten Fall waren es jedoch Schokolade und Kekse. Dass es „zuletzt eine Häufung“ gegeben habe, sieht das Polizeipräsidium jedoch nicht als generelle Zunahme, die Zahlen würden sich vielmehr auf Vorjahresniveau bewegen, heißt es. Für den Verbraucher bewegen sich die Preiserhöhungen bislang in einem überschaubaren Rahmen. Bei einem Vergleich von aktuellen Preisen mit einem Kassenzettel vom Mai 2018 ragt der Sechserkarton Eier mit einer Steigerungsrate von 20 Prozent heraus. Jeweils um zehn Cent aufgeschlagen wurde bei feinem Zucker oder dem Becher Schmand. Bananen, Topinambur und Zwiebeln kosten gleich, Butter und Karotten sind aktuell sogar um 20 Cent günstiger.

Die Preiserhöhungen kommen erst noch

Von den Handelsriesen wie Rewe oder den Discountern gibt es zur Preisentwicklung keine Auskunft. „Vereinzelt sind Waren teurer geworden, aber nicht alles auf einmal“, sagt Nikolaos Tsiris, der Geschäftsführer der Stuttgarter Naturgut-Biosupermärkte. Bei Obst und Gemüse gebe es saisonale Schwankungen, teurer wurden Sorten mit geringerer Ernte wie eben Äpfel oder solche mit langen Transportwegen. Bei den meisten Produkten haben sich jedoch noch nichts geändert. Von den Kunden gebe es bislang auch keine Beschwerden. Aber ein Hersteller hat jetzt angekündigt, die Preise im April zu erhöhen, Kaffee ist schon im Dezember teurer geworden. „Wir werden von der Entwicklung nicht verschont werden“, sagt Nikolaos Tsiris, der nun nach und nach mit Aufschlägen rechnet. Wie die Händler die zusätzlichen Kosten kompensieren sollen, ist ihm dabei noch ein Rätsel.

Kein Ende der Lebensmittelverschwendung in Sicht

Obwohl Lebensmittel wertvoller werden, gibt es für die Vereinsmitglieder von Foodsharing nicht weniger zu retten. „Fairteiler wurde gut gefüllt mit Obst und Gemüse“, lautet ein Eintrag zur Verteilstation im Stuttgarter Osten, Weizenbrötchen, Baguettes und süße Stückchen können im Westen abgeholt werden. Weil sich in Stuttgart mehr Menschen für die ökologische Bewegung gegen Lebensmittelverschwendung engagierten, kämen mehr Waren zusammen. „Ein Ende ist hier nicht in Sicht“, teilt einer der Botschafter mit. Abgesehen von den üblichen saisonalen Änderungen in den Sortimenten registrierten die Lebensmittelretter keine Veränderungen. Im Ein- und Verkaufsverhalten von Handel und Gastronomie habe bislang kein Umdenken stattgefunden. „Bananen aus Übersee werden immer noch in rauen Mengen vor dem Müll gerettet“, nennt er als Beispiel.