Die bhz-Mitarbeiter Patrick Stickel, Kevin Herzog und Sabrina Janics helfen im Tafelladen an der Hohnerstraße. Foto: Georg Friedel

Die Zahl der Menschen, die sich einen normalen Lebensmittel-Einkauf nicht mehr leisten können, steigt. Der Andrang bringt Probleme mit sich.

Wie sehr das soziale Gefüge hierzulande derzeit ins Kippen gerät, zeigt sich vor den Stuttgarter Tafelläden. Die Schlangen dort werden länger und länger. „Im Vergleich zum Vorjahr haben wir etwa doppelt so viele Kunden“, sagt Hilli Pressel. Die stellvertretende Projektleiterin des Vereins „Schwäbischen Tafel Stuttgart“ führt die Gründe für den steilen Anstieg nicht nur auf die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise zurück, sondern auch darauf, dass immer mehr Geflüchtete bei den Tafeln einkaufen.

Ultimativer Stresstest für den kleinen Laden

Ähnlich war die Situation zuletzt auch bei der relativ kleinen Tafel des bhz (früher Behindertenzentrum) in Stuttgart-Feuerbach. In diesem Frühjahr reihten sich in die Schlange vor dem weißen Gebäude im Gewerbegebiet Feuerbach-Ost an der Hohnerstraße 21 auch die Geflüchteten aus der Ukraine ein. Sie waren in einem nahen Hotel einquartiert worden und nutzten die nur wenige 100 Meter entfernte Einkaufsmöglichkeit bei der dortigen Tafel für Bedürftige. Für den kleinen bhz-Tafelladen, der mit höchstens 40 bis 50 Quadratmeter Verkaufsfläche nicht auf massenhaften Andrang ausgelegt ist, war dies der ultimative Stresstest.

Momentan sei die Situation wieder handhabbar, sagt die Tafel-Leiterin Monika Borchwald. Durchschnittlich 100 Kunden nutzen die Tafel Feuerbach täglich. Für die Zukunft kündigt bhz-Werkhaus-Leiterin Petra Mack an, dass man nach einer größeren Immobilie für den Tafelbetrieb im Stuttgarter Norden Ausschau halte. Damit wolle man seitens des bhz als Träger des Projektes künftig den Beschäftigten und Ehrenamtlichen als auch den Kunden der Tafel mehr Platz bieten und so für Entspannung sorgen.

Inklusiver Ansatz

Als sich in den 1990er-Jahren die Tafel-Bewegung ausbreitete, entwickelten die bhz-Verantwortlichen eine geniale Idee. Sie übernahmen das Konzept, noch gut genießbare Lebensmittel vor einem frühzeitigen Ende in der Mülltonne zu retten. Gleichzeitig verknüpften sie das Ganze mit einem inklusiven Ansatz. Sie schufen damit für Menschen mit Behinderungen in dem bhz-Tafelladen langfristige Arbeitsplätze.

Doch die massiv gestiegenen Kosten werden auch für die Tafeln zu einem wachsenden Problem. „Viele Händler und Lebensmittelketten kalkulieren jetzt ganz genau. Vor allem beim Obst und Gemüse wird weniger gespendet“, sagt Borchwald. Insgesamt ist die Spendenbereitschaft in Stuttgart aber nach wie vor sehr groß: „Rund 40 Tonnen Lebensmittel kommen für die vier Tafelläden des Vereins täglich zusammen“, sagt Hilli Pressel. Nicht selten würden ganze Paletten von einem Produkt geliefert: „Aber ein komplettes Angebot und einen Warenfluss wie im Supermarkt gab es bei uns noch nie.“ Gleichzeitig sei Stuttgart auch „Verteilertafel“ und beliefere rund 30 Tafeln in der Region.

Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung

Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen. Gerät also das Tafel-Modell folglich durch die wachsende Armut ins Rutschen? Werkhaus-Leiterin Mack wagt da keine Prognose. „Wir wissen derzeit nicht, wohin sich das noch entwickeln wird“, sagt sie. „Fakt ist, dass wir vor einer Riesenherausforderung stehen.“ Letztendlich sind die Tafeln auch nur Reflektoren der Gesamt-Entwicklung. Sie bilden die wachsende Armut in der Gesellschaft ab. „Hier spiegelt sich im Kleinen das wider, was hierzulande im Großen auf gesellschaftlicher Ebene stattfindet“, erklärt Mack.