In den meisten Pflegeheimen müssen Selbstzahler höhere Investitionskosten zahlen als Sozialhilfeempfänger. Foto: dpa/Oliver Berg

In vielen Pflegeheimen gelten unterschiedliche Preise für die Bewohner. Selbstzahler haben teils deutlich höhere Kosten als Sozialhilfeempfänger – und das bei gleichen Leistungen. Das ärgert die Betroffenen.

Stuttgart - Wer als Selbstzahler im Pflegeheim wohnt, hat viel richtig gemacht. Er oder sie hat zum Beispiel höchstwahrscheinlich zeitlebens etwas zurückgelegt, um im Alter niemandem auf der Tasche zu liegen. Er oder sie kann deshalb die Differenz zwischen den Heimkosten und dem, was die Pflegeversicherung zahlt, aus eigener Kraft aufbringen. Leider wird solch vorbildliches Verhalten nicht immer honoriert. Selbstzahler sind unter Umständen arm dran. Betreiber vieler Heime, die mit steigenden Betriebskosten zu kämpfen haben und manchmal auch mit gesteigerten Renditeerwartungen ihrer Geldgeber, halten sich an ihnen schadlos. Und niemand hindert sie. Auch jene Sozialpolitiker nicht, die aktuell wortreich über explodierende Eigenanteile von Pflegebedürftigen klagen.

Hebel der Betreiber sind die Investitionskosten (IK), die jedes Pflegeheim auf seine Bewohner umlegt. Pflegebedürftige müssen sich so an Finanzierung, Bau und Ausstattung des Heims beteiligen. Die IK sind fester Bestandteil der monatlichen Abrechnung, die jeder Bewohner vom Heim erhält – neben der Vergütung für die im Heim geleistete Pflege, den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie der Ausbildungsumlage (siehe Hintergrund). Letztere sind allesamt Posten, deren Höhe im Unterschied zu den IK grundsätzlich mit den Pflegekassen ausgehandelt wird.

Betroffene sind auf sich allein gestellt

Das Problem für Selbstzahler: Während die Sozialhilfeträger die IK für Heimbewohner, die mangels eigener Finanzmittel Sozialhilfe beziehen, mit den Heimbetreibern aushandeln und somit drücken können, sind die Selbstzahler auf sich gestellt. Für sie verhandelt niemand, folglich gibt es für sie auch keinen Rabatt. Im Ergebnis zahlen sie oft deutlich höhere Investitionskosten als die Bezieher von Sozialhilfe – und das bei ansonsten vollkommen gleichen Leistungen. In 80 Prozent aller Pflegeheime besteht dieses Problem, sagen Insider. Es sind Häuser, die vom Land Baden-Württemberg keine Investitionsförderung erhalten haben. In geförderten Einrichtungen gelten dagegen einheitliche Sätze für Sozialhilfeempfänger und Selbstzahler.

Über dieses Abrechnungsdetail zu Lasten von Selbstzahlern, das öffentlich kaum bekannt ist und viele Fragen aufwirft, ärgert sich Sabine D. (Name geändert) schon lange. Ihre betagte Mutter wohnt seit 2017 in einem zwei Jahre zuvor errichteten Pflegeheim im Rems-Murr-Kreis. Als die Leitung im vergangenen April ankündigte, sie werde zum 1. Juni die Investitionskosten für Selbstzahler von 25,36 Euro auf 29,87 Euro pro Tag erhöhen, platzte Sabine D. der Kragen. Angesichts des satten Aufschlags von rund 18 Prozent kontaktierte sie die Heimleitung und bat um eine Erklärung. Man sagte ihr, alles sei behördlich geprüft und rechtens, zeigte ein paar Unterlagen zur IK-Kalkulation, das war‘s.

Sabine D. prüfte ihre Rechte und fand heraus, dass sie ganz auf sich gestellt ist. Alle von ihr angesprochenen Stellen erklärten sich für nicht zuständig. Zwar müssen alle Pflegeheime in Baden-Württemberg dem Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS) in Stuttgart anzeigen, wie sie die Investitionskosten kalkulieren. Ein Mandat, die Angaben zu überprüfen und gegebenenfalls einzuschreiten, hat die Behörde aber nur, wenn die Einrichtung vom Land gefördert wurde. Da das Land jedoch seine Unterstützung für vollstationäre Pflegeplätze bereits 2010 eingestellt hat, gibt es – neben den früher schon nicht geförderten Einrichtungen – auch für alle seither errichteten Heime diesbezüglich keine Überprüfung mehr. Das gilt auch für das Heim, in dem die Mutter von Sabine D. wohnt.

Eigenanteile steigen rasant

Frau D. bleibt also nur, das Pflegeheim wegen möglicherweise überhöhter und unsachgemäßer Investitionskosten zu verklagen. Sie behält sich das vor, wobei sie für diesen Fall nicht ausschließen kann, dass ihre Mutter das im Heim zu spüren bekäme. Fürs Erste zahlt sie einfach nicht. Noch nimmt der Heimbetreiber das hin. Warum er das tut? Darüber kann Sabine D. nur spekulieren. Der Betreiber hat ihr gegenüber darauf verwiesen, die gesetzlichen Abschreibungsfristen für Pflegeheime wären von 40,8 auf 33,3 Jahre verkürzt worden. Er habe die IK dem anpassen und die Umlage erhöhen müssen. Der KVJS bestätigt auf Anfrage unserer Zeitung zwar, dass es eine entsprechende Neufassung der Abschreibungsregeln gegeben habe. Diese gelte aber nur für neue Häuser und nicht für Bestandsheime.

Viele Selbstzahler in Baden-Württemberg sind in der gleichen Situation wie Sabine D. Ihr Eigenanteil – also das, was sie für den Heimplatz aus eigener Tasche zahlen müssen – steigt seit Jahren rasant, weil die Pflegeversicherung nur einen fixen Teil der stetig steigenden Gesamtheimkosten übernimmt. Im Fall der Mutter von Sabine D., die in Pflegegrad 4 eingestuft ist, zahlt die Pflegekasse 1775 Euro monatlich. Bei Gesamtkosten für den Heimplatz von rund 5154 Euro, wovon allein gut 900 Euro auf die Investitionskosten entfallen, bedeutet das einen Eigenanteil von fast 3400 Euro im Monat (siehe Hintergrund). Das sind die Zahlen hinter der derzeit oft zu hörenden Feststellung, dass Heimpflege arm macht.

Der Geschäftsführer eines Pflegeheims, der nicht genannt werden möchte, spricht gegenüber unserer Zeitung Klartext in Sachen Investitionskosten. „Der Sozialhilfeempfänger isst das gleiche Brot, benutzt die gleichen Räume und bekommt die gleichen Pflegeprodukte wie der Selbstzahler, aber wir bekommen für ihn weniger Geld. Das müssen wir uns von den Selbstzahlern zurückholen“, erklärt er.

Heime wegen steigender Kosten unter Druck

In seinem Haus, das vor fast 20 Jahren eröffnet wurde, betragen die IK für Sozialhilfeempfänger seither unverändert rund zehn Euro am Tag. Die örtliche Sozialbehörde habe eine Erhöhung stets abgelehnt, der KVJS ebenfalls, so der Geschäftsführer. Selbstzahler dagegen müssen inzwischen einen doppelt so hohen IK-Satz von mehr als 20 Euro berappen. „Ich erhöhe für Selbstzahler nur dann, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Das ist leider immer öfter der Fall, weil der Lohn für die Pflegekräfte jedes Jahr steigt“, so der Pflegemanager.

Er bestätigt damit den von manchen Experten gehegten Verdacht, dass die Investitionskosten auch dazu genutzt werden, Finanzlöcher zu stopfen, die anderswo im Heim entstehen. Dabei ist das verboten. Stefan Sell, Volkswirt und Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, spricht von einer „betriebswirtschaftlich zwangsläufigen Querfinanzierung“. Angesichts gedeckelter Zahlungen aus der Pflegeversicherung bleibe vielen Heimen gar keine andere Wahl. „Wenn sich am System nichts ändert, müssen höhere Kosten etwa infolge steigender Löhne der Pflegekräfte zu 100 Prozent von den Heimbewohnern getragen werden“, sagt Sell.

Die Selbstzahler seien davon in besonderer Weise betroffen. Etwa ein Drittel der Bewohner seien auf Sozialhilfe angewiesen, für sie verhandelten die Sozialbehörden über die Investitionskosten. Die zwei Drittel Selbstzahler dagegen seien auf sich alleine gestellt und würden entsprechend zur Kasse gebeten, erklärt Sell. Er wolle aber nicht von einem Missbrauch bei der Bemessung der IK sprechen, sondern von „Gestaltungsspielräumen“ der Heimbetreiber. Vor allem private Anbieter nutzten etwa die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, wenn der Heimbetreiber das Immobiliengeschäft auslagert und dann überhöhte Mieten an die Immobiliengesellschaft zahlen muss.

Sell nennt es in diesem Zusammenhang sträflich, dass viele Länder, auch Baden-Württemberg, aus der Investitionsförderung von Pflegeheimen ausgestiegen sind. Die Länder hätten im Rahmen der Daseinsvorsorge die Pflicht, zu einer ausreichenden Versorgung mit Heimplätzen beizutragen.