Stefan Faiß im Gespräch Foto: Wagner

Stefan Faiß - Grüner, Rechtsprofessor und für S21: Er sagt, Land könne Verträge nicht kündigen.

Stuttgart - Stefan Faiß ist ein Exot. Er war Kreisvorstand der Grünen in Esslingen – und ist für Stuttgart 21. Der Rechtsprofessor hat außerdem die Gruppe „Juristen für S21“ gegründet. Er erklärt, warum er eine Volksabstimmung für rechtlich bedenklich hält.

Herr Faiß, darf ein Grüner für Stuttgart 21 sein?

Ich spreche für mich und nicht für meine Partei. Zu einem großen Teil vertrete ich die Ideen der Grünen. Aber eben nicht bei Stuttgart 21. Wie übrigens gut ein Viertel aller Grünen-Mitglieder. So allein bin ich gar nicht.

Aber Ihren Kreisvorsitz haben Sie abgegeben.

Ja. Ich habe bei den Grünen immer geschätzt, dass wir nie Opposition um der Opposition willen gemacht haben, sondern immer konstruktiv waren. Das ist meines Erachtens ein Markenzeichen grüner Politik.

Und das ist bei Stuttgart 21 nicht mehr der Fall?

Bei uns im Kreis Esslingen war dieses Projekt nie ein großes Thema. Erst als Leute aus Stuttgart zu unserem Kreisverband gewechselt sind, haben diese das zum Thema gemacht. Ich wollte dann eine Infoveranstaltung organisieren, mit Gegnern und Befürwortern. Da war man dagegen. Mir wurde beschieden, wenn das rauskommt, dass wir mit Leuten von der Bahn reden, stehen wir schlecht da. So konnte ich das nicht mittragen. Deshalb bin ich von meinem Kreisvorstandsposten zurückgetreten.

Und warten gespannt, was Ihnen K21 und eine alternative Neubaustrecke im Neckar- und Filstal bescheren?

Ich war kürzlich auf einer Infoveranstaltung in Reichenbach, da versprachen Vertreter meiner Partei, es wird keine vier Gleise im Filstal geben. Ich sage aber: Die Strecke kann man so nicht belassen. Das ist klar. Ich glaube nicht, dass es eine realisierbare Alternative gibt: Stuttgart 21 ist das einzige Projekt mit Aussicht auf Erfolg.

Und was ist mit der Volksabstimmung? Immerhin ist die zentral für den Koalitionsvertrag von Grün-Rot.

Die Grünen wollten keinen Volksentscheid nach Artikel 60 der Landesverfassung. Die wollten eine Art unverbindliche Befragung durchführen bei der gesamten Bevölkerung. Das halte ich für verfassungswidrig. Das ist eine typische Frage an meine Studenten: Wie wäre es, eine unverbindliche Befragung durchzuführen, die die Regierung  aber von vornherein für verbindlich erklärt? Die absolut herrschende Meinung ist: Wenn die Verfassung eine solche Möglichkeit nicht vorsieht, kann man sie nicht dadurch umgehen, indem man sagt: Wir halten uns daran! Das ist unzulässig.

Die Volksabstimmung ist also nicht zulässig?

Ein gangbarer Weg wäre: Die Landesregierung macht ein Ausstiegsgesetz. Die Mehrheit des Landtags lehnt es ab, was ja auch der Überzeugung der Mehrheit entspräche. Und ein Drittel der Abgeordneten sagt: Wir wünschen uns eine Volksabstimmung. Denn es gibt ja in der Tat einen Konflikt zwischen Regierungsmehrheit und Landtagsmehrheit.

Über was dürften die Menschen dann abstimmen?

Es ginge immer nur um den Finanzierungsanteil des Landes. Es geht nicht darum, dass man abstimmt für oder gegen Stuttgart 21. Das wäre definitiv verfassungswidrig. Denn es geht um ein Baurecht der Bahn, das sie nach Bundesrecht hat. Es ist ein Planfeststellungsverfahren, das sich nach dem allgemeinen Eisenbahnrecht richtet. Da kann das Land nicht eingreifen. Selbst wenn eine Abstimmung dagegen ausginge, könnte die Bahn sagen: Ist nett – wir machen weiter!

"Die Kündigung des Vertrags ist äußerst problematisch"

Das Land hat das Geld per Vertrag zugesagt. Kann es nun sagen: Pech gehabt, wir zahlen nicht?

Das löst bei vielen Juristen grundsätzliches Unwohlsein aus. Kann es sein, dass man einen unwiderruflich geschlossenen Vertrag wieder auflöst? Grundsätzlich gibt es zwei Wege. Der eine wäre, man hebt diesen Vertrag per Gesetz auf. Oder man macht ein Gesetz, das die Landesregierung verpflichtet, den Vertrag zu kündigen.

Und das ginge?

Da streiten sich die Gelehrten. Die Frage ist: Ist das Land überhaupt zuständig? Der Bund hat eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Bau, den Unterhalt und die Betreibung von Schienenwegen. Hier handelt es sich um einen Finanzierungsvertrag für den Bau von Schienenwegen. Man könnte also auf die Idee kommen, dass das hiermit erfüllt ist. Das Land ist also schlichtweg nicht zuständig.

Das Land kann also nicht kündigen?

Da muss ich ausholen. Es gibt das Prinzip der Vertragstreue. Wenn Sie einen Vertrag unterschreiben, erwarten Sie auch, dass Ihr Gegenüber ihn einhält. In jedem Fall ist das Rückwirkungsverbot zu beachten. Wir haben hier eindeutig einen Verstoß gegen dieses Gebot.

Was bedeutet dies?

Sie können ja auch nicht jemand den Führerschein entziehen, weil Sie sagen, wir führen eine 0,0-Promille-Grenze ein und die gilt jetzt aber schon seit 2009. Wer vor einem Jahr mit 0,3 Promille erwischt wurde, ist jetzt den Führerschein los. Da würden Sie sich bedanken. Auch wenn sie 100 Euro dafür bekommen. So ähnlich sagen das die Gutachter der SPD: Wir zahlen eine Entschädigung für die Kündigung des Vertrags – und dann ist alles in Ordnung. Das machen Sie aber nur auf zwei, drei Zeilen. Sehr schmallippig. Eben weil das äußerst problematisch ist.

Und es gibt keinen anderen Weg?

Doch. Die Regierung verpflichtet sich dazu, den Vertrag zu kündigen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht kann man nicht ausschließen, das gibt es auch bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Doch dafür müsste die Geschäftsgrundlage wegfallen.

Eine neue Regierung ist im Amt – und deshalb gibt es für Verträge mit dem Land keine Geschäftsgrundlage mehr?

Nein. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Eine Meinungsänderung ist kein Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Landesregierung handelt für das Land als Organ, so wie ein Vorstand für seine Aktiengesellschaft handelt. Wenn beispielsweise der Herr Grube als Bahnvorstand gehen müsste, könnte sein Nachfolger nicht sagen, die Züge hat mein Vorgänger bestellt, die kaufen wir jetzt nicht mehr. Dann wären Unterschriften auf Verträge nichts mehr wert.

Was wäre ein Wegfall der Geschäftsgrundlage?

Zum Beispiel eine Hyperinflation. Das Geld wäre also nichts mehr wert. Wenn etwa Beträge, zu denen man einen Hausbau vereinbart hat, völlig obsolet sind.

Aber wenn das Projekt teurer wird, kann das Land dann aussteigen?

Kostensteigerungen können einen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellen. Wenn es jetzt das Doppelte kosten würde, könnte das Land aussteigen und sagen, das ist unzumutbar. Wenn es keine Regelung geben würde im Finanzierungsvertrag. Aber hier gibt es ja ausdrücklich eine Regelung. Und die besagt, dass die Parteien sich zusammensetzen, über die Mehrkosten reden und neu verhandeln müssen. Anpassung geht übrigens immer vor Kündigung.

"Im Land wird kaum jemand zur Abstimmung gehen"

Und was ist, wenn das Mineralwasser versiegen würde?

Dann dürfte die Bahn gar nicht bauen. Das wäre vom Planfeststellungsbeschluss nicht gedeckt.

Und wenn sie den Stresstest nicht besteht?

Das hat mit dem Vertrag nichts zu tun. Einen Stresstest gab es noch gar nicht zu dem Zeitpunkt, als man den Vertrag unterschrieb. Aber wissen Sie, es gibt noch eine Hürde.

Welche?

In der Landesverfassung steht: Über das Staatshaushaltsgesetz findet keine Volksabstimmung statt. Nun sagen Kollegen, es gehe um ein Ausstiegsgesetz, das betreffe nicht das Staatshaushaltsgesetz. Aber im Staatshaushaltsplan 2009 sind die gesamten Verpflichtungsermächtigungen enthalten zur Zahlung für das Projekt Stuttgart 21. Und der Staatshaushaltsplan ist Bestandteil des Staatshaushaltsgesetzes. Wenn ich also ein Ausstiegsgesetz vorlege zur Volksabstimmung und das verbindlich angenommen wird, wäre der Staatshaushaltsplan betroffen.

Das Volk darf also nicht entscheiden, wofür sein Geld ausgegeben wird. Warum?

Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie. Und die Regierung soll sich nicht herausreden können: Wir haben eine hohe Verschuldung, weil das Volk so entschieden hat. Sie sollen Entscheidungen, die Kosten verursachen, nicht auf das Volk abwälzen und sich so aus ihrer Verantwortung stehlen.

Und wenn ich jetzt über das Geld für Stuttgart 21 entscheide, könnte ich dann Mitstreiter um mich scharen und Volksabstimmungen fordern. Etwa als Kinderloser: Kein Geld mehr für Schulen, oder als Rechter: Kein Geld mehr für Integration?

Das ist sehr zugespitzt. Aber wenn Sie in einem Fall dem Volk gestatten, in den Haushalt einzugreifen, können Sie es ihm schwer in einem anderen Fall verweigern.

Das heißt, es gibt keine Volksabstimmung?

Das wird man sehen. Das hängt davon ab, ob die CDU-Fraktion klagt. Wenn sie sich als eine Art Verfassungsorgan begreift, das dazu da ist, der Regierung auf die Finger zu schauen, dass sie die eigene Verfassung einhält, müsste sie klagen. Zumal wenn sie die Gutachten, die in der eigenen Ägide erstellt wurden, ernst nimmt. Die Frage ist, ob das politisch klug ist. Weil es aussieht, als ob man nicht interessiert daran sei, was das Volk denkt.

Und wenn man dann weiß, was es denkt?

Dann wird es vermutlich nicht einfacher. Ich rechne damit, dass im Land kaum jemand zur Abstimmung geht. Sie werden vermutlich in Stuttgart eine Mehrheit gegen das Projekt haben, aber das Quorum verfehlen.

Und dann?

Das befriedet die Situation nicht. Ich würde mir dann wünschen, dass der Ministerpräsident erhobenen Hauptes sagt: Wir haben alles versucht, es gibt keine Möglichkeit, das Projekt zu stoppen. Lasst es uns nun so gut wie möglich machen.