Unter der freigelegten Decke hatten die Besucher des Clubs Das Unbekannten Tier im ehemaligen Wienerwald viel Spaß. Foto: Thomas Hörner

Das Unbekannte Tier, einst Stuttgarts schrägster Partyort, ist vor 30 Jahren gestartet. Mitgründer Johannes Zeller erinnert sich an ein misslungenes Internet-Projekt mit der Documenta: „Damals war der virtuelle Austausch ein Traum, heute in der Corona-Krise ist’s bittere Realität.“

Stuttgart - „Mit einer gewaltigen Aktion haben wir den ehemaligen Wienerwald auf links gedreht“, sagt Johannes Zeller, einer von vier Gründern eines ungewöhnlichen Treffpunkts des jungen Stuttgarts. „Schon lustig“ sei es, dass er noch heute – 30 Jahre nach der Eröffnung –häufig auf das Unbekannte Tier angesprochen wird. Immer wieder trifft der Chef der Veranstaltungsagentur Orgakomm Menschen, die von der etwas anderen Lokalität so heftig schwärmen, als seien sie erst gestern dort gewesen.

An der Decke hing eine Kirchturmuhr, auf dem Klo pinkelten die Herren gegen einen Wasserfall: Die Dekoration des Unbekannten Tiers war so ungewöhnlich wie der gesamte Club im Metropol-Gebäude.

Alles kam auf den Schrottplatz

In der Stay-at-home-Challenge der Stuttgarter Clubs fragt man sich: Was ist aus den wundersamen Dingen geworden, die das „Tier“ an der Ecke Lautenschlager-/Bolzstraße zu einem experimentellen Ort gemacht haben? Die kreisenden Räder vom Schankraum etwa, die Kirchturmuhr oder die schwarzen Installationen des fischlosen Aquariums? Das Stadtpalais wäre glücklich, bekäme es die Inneneinrichtung eines einst zukunftweisenden Clubs fürs Stuttgart-Museum. „Wir haben nichts aufbewahrt“, sagt Johannes Zeller, den alle „Zelle“ nennen, „alles kam auf den Schrottplatz.“ Schon nach sechs Jahren war Schluss. Ein Revival der Location kann er sich nicht vorstellen. „Damals haben wir um 22 Uhr aufgemacht“, erklärt er, „heute geh’n wir um 22 Uhr ins Bett.“

Geschichtsträchtig ist das Areal, in dem das „Tier“ am 17. Mai 1990 Eröffnung gefeiert hat. Hier stand zwischen 1848 und 1922 der Hauptbahnhof. Einige Torbögen in der Fassade erinnern daran. 1925 entstand an dieser Stelle der Ufa-Palast. Im Zweiten Weltkrieg brannte das Haus fast komplett aus. Ende der 1940er Jahre wurde es nach dem Wiederaufbau in den „Metropol-Palast“ mit Café, Kinosaal und Varieté umgewandelt.

Der Denkmalschutz stoppt die Abrisspläne

Anfang der 1980er kauften die TWS das Gebäude, um ihre Hauptverwaltung zu erweitern. Der Denkmalschutz aber stoppte die Abrisspläne. Der mittlerweile in fünf kleinere Kinos unterteilte Saal gilt als einer der letzten seiner Art aus den goldenen 1920ern.

Die TWS versuchten, das Haus loszuwerden – doch es fand sich kein Käufer. Schließlich wurde das Bankhaus Ellwanger und Geiger beauftragt, ein Gesamtmietkonzept zu entwickeln. Teile des Metropol-Gebäudes standen nun lange leer. Dies brachte Tommy Labusch, der mit Philippe Kayser auf der anderen Straßenseite den Palast der Republik in einer früheren Toilette betrieb, auf die Idee für den großen gastronomischen Schlag. Die Wirte-Kollegen Johannes Zeller und Christoph Ulmer, die Erfolg mit dem Casino in Heslach hatten, stiegen auch noch im ehemaligen Wienerwald mit ein.

Was ist aus den Machern der ersten Stunde geworden?

Dort, wo sich die Grillstelle der Hähnchen-Kette befand, kam hinter einer Spanplatte eine zentimeterdicke Fettschicht zum Vorschein. Das Leitungsnetz war ein Labyrinth. Die Decke wurde freigelegt. Tommy Labusch hatte sich den Namen für den Club ausgedacht. Das Unbekannte Tier – das klang ungewöhnlich, war einprägsam, hatte aber nichts zu bedeuten. Mit den Welsen, die im Aquarium auf der Theke schwammen, hatte das nichts zu tun. Sie blieben nicht lang. Weil sich einige Besucher beschwerten und meinten, der laute Club sei nichts für Fische, wurden diese ausquartiert. „In das leere Aquarium kamen wechselnde Installationen“, erinnert sich „Zelle“.

Was ist aus den Machern der ersten Stunde geworden? Tommy Labusch ist Gastronom im Schwarzwald. Christoph Ulmer arbeitet im Charlottenplatz-Kiosk. Philippe Kayser ist als Musiker, Komponist und Produzent in Berlin tätig. „Wir sehen uns sehr selten, eher zufällig“, sagt Johannes Zeller, „und jedes Mal versprechen wir uns, uns mal wieder richtig zu verabreden.“

Die „Piazza Virtuale“ ging 1997 daneben

Kürzlich war „Zelle“ mit einem SWR-Redakteur für Filmaufnahmen unterwegs. „Er meinte, er kenne mich irgendwoher“, erzählt er, „als ich ihm schließlich verriet, früher das Unbekannte Tier gemacht zu haben, war alles klar.“ Denn hier hatte der Fernsehjournalist – wie viele andere auch – einen Großteil seiner Jugend verbracht.

In der Corona-Krise erinnert sich Johannes Zeller an die „Piazza Virtuale“, an ein Projekt im Rahmen der Documenta X 1997: „Es war ein erster, ziemlich verunglückter Versuch, eine virtuelle Realität zu schaffen.“ Das Internet war damals noch ein ganz junges Medium. „Die Möglichkeit, sich virtuell auszutauschen, war damals ein Traum“, sagt der Tier-Veteran, „heute ist sie bittere Realität.“