Stau-Alltag in Stuttgart: der Autoverkehr am Neckartor Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vom Nordostring bis zu Fahrverboten – Verkehrsthemen haben Konjunktur. Angesichts der anhaltenden Staumisere spricht sich die IHK gestützt auf eine neue Untersuchung für ein Gesamtkonzept bis 2050 aus. Und verlangt, dass Vorschläge von der Stadt auch umgesetzt werden.

Stuttgart - Andreas Richter kennt die Debatten über die Verkehrspolitik zur Genüge, die oftmals reduziert sind auf das Pro und Kontra von Straßenbau und Autoverkehr auf der einen, von öffentlichem Nahverkehr und Verkehrsberuhigung auf der anderen Seite. „Wir haben Interesse an einer konstruktiven Diskussion abseits der alten Schützengräben“, sagt der scheidende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, als er am Mittwoch die Studie „Dem Stau auf der Spur“ vorstellt, die sich mit dem Autoverkehr in Stuttgart beschäftigt. Die IHK stehe hinter der Absicht, die Schadstoffgrenzwerte einzuhalten. „Aber wir brauchen keine Fahrverbote, sondern Lösungen“, sagt Richter und fordert ein Zukunftskonzept für das Jahr 2050, in dem der Ausbau des Verkehrsnetzes, die Interessen der Wirtschaft und die Belange des Umweltschutzes miteinander verknüpft sind. „Ohne Kompromisse geht das nicht“, sagt er.

Stau gefährdet Standort

Die Industrie– und Handelskammer sehe dringenden Handlungsbedarf um das „Image Stuttgarts als Stadt der langen Staus und der schlechten Luft“ zu korrigieren, sagt Bernd Engelhardt, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer. Wer nichts dagegen tue, gefährde langfristig den Wirtschaftsstandort. Schon heute betrage der wirtschaftliche Schaden durch Staus 400 bis 500 Millionen Euro, schätzt Richter auf der Grundlage einer Studie von vor einigen Jahren, die „damals niemand interessierte“. Wenn keine Perspektiven zur Lösung aufgezeigt würden, könnten die anhaltenden Verkehrsprobleme Unternehmen von Investitionen am Standort abhalten und Fachkräfte abschrecken. „Wir sind in intensiven und guten Gesprächen mit der Stadt“, sagt Richter, „aber es hapert an der Umsetzung.“

Ihre Forderungen leitet die Kammer auch aus der Studie der PTV Transport Consult GmbH ab, die in ihrem Auftrag erstellt wurde. Danach sind die Autofahrer im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr durchschnittlich mit 29 und 28 km/h unterwegs, an zehn Brennpunkten noch langsamer (siehe Grafik). Dabei haben die Wissenschaftler drei Ursachen für Staus genauer untersucht und Lösungsansätze formuliert.

Unfälle an Knotenpunkten

An einige Staubrennpunkten gibt es eklatant mehr Unfälle als sonst im Straßennetz – etwa auf der B 10/ B 14 am Dreieck Neckarpark oder an der B 27-Friedrichswahl. „Diese Unfälle sorgen für Staus und umgekehrt“, sagt Richter. Es handle sich vor allem um leichte Auffahr- und Spurwechselunfälle, ihr Anteil liege dort bei 60 Prozent, ansonsten betrage er in der Stadt nur 15 Prozent. Die Stadt könne hier durch bessere Markierungen und Beschilderungen rasch für Abhilfe sorgen. Auch der von CDU, Grünen und SPD im Gemeinderat gemeinsam vorgeschlagene Abbruch der Brücke an der Friedrichswahl verbessere die Situation.

Geringe Straßenkapazitäten

Speziell für den Stadtauswärtsverkehr, Beispiel Hauptstätter Straße vor dem Heslacher Tunnel, sei an vielen Stellen die Straßenkapazität zu gering, was zu langen Staus und damit hoher Schadstoffbelastung führe, so Richter. Hier sehen die Experten kaum Chancen für kurzfristige Verbesserungen. „Wir brauchen den Ausbau der bestehenden Infrastruktur“, fordert der IHK-Hauptgeschäftsführer. So müsse die Nord-Süd-Straße zwischen A 8 und dem Industriegebiet Vaihingen/Möhringen verbreitert werden, wenn sich wie Allianz und Daimler neue Firmen dort niederlassen. Beim Heslacher Tunnel bringt Richter eine zweite Röhre ins Gespräch, die zusätzlichen Spuren sollten aber für den Stadtauswärtsverkehr reserviert werden. Auf der B 10/B27 bei Zuffenhausen kann sich Richter vorstellen, dass abends eine Stadteinwärtsspur gesperrt und für den Auswärtsverkehr reserviert wird.

Im Kampf gegen überlastete Straße müsse der ÖPNV weiter ausgebaut werden. Für Pendler seien größere P+R-Anlagen wichtig, aber auch dichtere Takte bei der S-Bahn und mehr Tangentialverbindungen am Rand des Stuttgarter Talkessels. „Warum geht es bei der Nutzung der Gäubahn nicht voran?“, fragt sich nicht nur Richter. Und was ist mit der von OB Kuhn propagierten Entflechtung durch flexible Arbeitszeiten oder Home-Office? „Kein Allheilmittel“, sagt Richter. Dagegen mahnt der IHK-Hauptgeschäftsführer an, dass endlich das Citylogistikkonzept, das Fahrten von Transportern in die Innenstadt reduzieren könnte, angegangen wird.

Problem Durchgangsverkehr

Nicht nur ein Zehntel wie von der Stadt behauptet, sondern „rund 30 Prozent der Autos auf den Hauptverkehrsstraßen“, so Rainer Schwarzmann von PTV, sei Durchgangsverkehr – vor allem zwischen dem Osten der Region und dem Raum Böblingen/Sindelfingen. Deshalb fordert die IHK weiterhin den Bau des Nordostrings und der Filderauffahrt. Richter: „Ziel muss sein, den Autoverkehr am Kessel vorbei zu führen.“