Vor Gericht wird deutlich, dass diverse Hinweise wohl nicht ernstgenommen wurden. Foto: dpa

Im Staufener Missbrauchsfall gerät die Rolle der Behörden und der Justiz in den Fokus. Das Freiburger Landgericht sieht Aufklärungsbedarf.

Freiburg - Es ist ein großes Geheimnis, das die beiden Buben teilen. Er müsse sich nackt ausziehen und dann „so Sachen machen“, soll das damals achtjährige Opfer im Staufener Missbrauchsfall einem gleichaltrigen Schulfreund verraten haben. Er werde gefilmt, und der Freund seiner Mutter sei dabei. Der eingeweihte Schulfreund hält dicht. Erst Wochen später erzählt er es seiner Mutter. Die informiert die Lehrerin, die ihrerseits das Jugendamt einschaltet. Die entsprechende Aktennotiz stammt von Mitte Juni 2017, drei Monate vor der Aufdeckung der Taten.

Was bei dem Prozess gegen die 48-jährige Mutter des Opfers und ihren 39-jährigen Lebensgefährten, die den Jungen jahrelang missbraucht und pädophilen Männern im Internet zum Missbrauch angeboten haben sollen, bekannt wird, wirft ein schlechtes Licht auf die Arbeit des Jugendamtes. Im März 2017 hatte der zuständige Mitarbeiter das Kind in Obhut genommen. Zuvor hatte es Hinweise gegeben, dass der 39-Jährige, dem wegen seiner Vorstrafen der Kontakt zu Kindern verboten war, bei der Familie ein und aus gehe. Fast täglich habe der Vermieter ein Fax geschickt, zitierte ein Ermittlungsbeamter einen Kollegen, der mit der Überwachung des Mannes beauftragt war. Doch im April schickte das Familiengericht das Kind unter Auflagen zurück zu seiner Mutter. Das Oberlandesgericht (OLG) bestätigte die Entscheidung im Juli.

Die Pflegeeltern waren über den Grund der Inobhutnahme nicht informiert

Man habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass es bereits zu Übergriffen gekommen war, hieß es bisher. Auch von der Pflegefamilie, bei der der Junge vorübergehend untergebracht war, habe es keine Hinweise gegeben. Allerdings hatte man die Pflegeeltern über die Gründe der Inobhutnahme gar nicht informiert. Das sei offenbar so üblich, sagte der Ermittlungsbeamte.

Auch der alarmierende Hinweis aus der Schule, der zwischen den beiden Gerichtsverhandlungen eingegangen war, wurde wohl nicht ernstgenommen. Ob er vor dem OLG überhaupt zur Sprache kam, ist unklar. Das Freiburger Landgericht plant, dazu die damalige Vorsitzende des OLG-Senats, Eva Voßkuhle, zu vernehmen. Es gebe Aufklärungsbedarf, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Bürgerlin am Mittwoch.

Gerne würde die Kammer den Sachbearbeiter des Jugendamtes vorladen. Doch gegen den Mann, der die Betreuung der Familie erst Anfang März 2017 übernommen und dann mit der Inobhutnahme des Jungen zunächst beherzt eingegriffen hatte, wird nun selbst ermittelt. Er habe erklärt, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache, sagte Bürgerlin. Insgesamt liegen der Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben 15 Strafanzeigen vor, die sich gegen das Jugendamt und die Familiengerichte richten. Sie hätten das Kind nicht ausreichend geschützt.

Frauen sind als Sexualstraftäterinnen selten

„Es ist eine Krux an diesem Fall, dass man die Mutter als Täterin nicht auf dem Schirm hatte“, sagte Bürgerlin. Frauen seien als Sexualstraftäterinnen selten und vergriffen sich meist nicht an ihrem eigenen Kind, erklärte die Staatsanwältin Nikola Novak. Das Motiv der Mutter sei immer noch unklar. In ihrer nicht öffentlichen Vernehmung habe sie angegeben, von ihrem Lebensgefährten zu den Taten gezwungen worden zu sein, sagte ihr Anwalt Matthias Wagner. Manches deutet aber darauf hin, dass sie sich auch aus eigenem Antrieb an ihrem Sohn vergangen haben könnte.

Er sei bei seinem ersten Übergriff überrascht gewesen, wie geübt der Junge seine Wünsche erfüllt habe, sagte der Lebensgefährte vor Gericht. Zudem fanden sich auf dem Handy der Frau Videos, die bereits im Juli 2015 aufgenommen worden sein dürften. Auf ihnen vergeht sie sich allein an ihrem Kind. Ihr Lebensgefährte hatte angegeben, erst seit Sommer 2017, als er die Wohnung der Frau wegen des Verbots nicht mehr betrat, entsprechende Filme in Auftrag gegeben zu haben. Der Junge selbst, der bei einer Pflegefamilie lebt, äußert sich nicht. Eine Polizistin, die mit ihm Kontakt hält, hatte ihn gefragt, ob er aussagen wolle. „Nein danke“, sagte er höflich, aber bestimmt.