Nach dem schweren Unfall bei Leonberg mit vier Lastwagen und einem Auto war die Autobahn 8 stundenlang blockiert. Foto: 7aktuell/Eyb

Wie anfällig ist das Stuttgarter Straßennetz bei Hitze und Unfallserien? Der Verkehrsinfarkt am Dienstag hatte viele Ursachen und unglückliche Zufälle. Es zeigt die Grenzen des Verkehrsmanagements auf.

Stuttgart - Unfälle auf der Autobahn, auf den Bundesstraßen, ausgefallene Ampelanlagen, Zehntausende Autofahrer im Stau – der Ballungsraum Stuttgart erlebte am Dienstag einen Verkehrsinfarkt wie selten. Wir sortieren die Fakten mit Fragen und Antworten. Hier finden Sie eine Grafik zum Stau.

Warum fielen so viele Ampeln aus? Eine Störung im regionalen Hochspannungsnetz dürfte laut den Experten der Abteilung Verkehrsmanagement und Verkehrstechnik im Stuttgarter Tiefbauamt die Ursache der Störung gewesen sein. Wegen des „nur wenige Millisekunden dauernden Wacklers“ im Hochspannungsnetz sei die besonders sensible Elektronik vieler Ampeln im Stadtgebiet am Dienstag um 15.18 Uhr ausgefallen. Auf dem Albplatz in Degerloch und anderswo blieben die Ampel lange aus und verursachten in dem wegen eines schweren Autobahnunfalls bereits bestehenden Verkehrschaos einen zusätzlichen „großen Störfall“.

Wie viele Ampelanlagen in der Stadt waren betroffen – und wie lange? Der kurze Spannungsabfall legte 94 der 813 Ampeln im Stadtgebiet lahm – also jede neunte. Rund 20 Anlagen fuhren nach relativ kurzer Zeit wieder automatisch hoch. Zudem konnten die Experten in der Integrierten Verkehrsleitzentrale (IVLZ) an der Mercedesstraße 34 Lichtzeichen manuell reaktivieren und zum Stau passende Steuerungsprogramme schalten. Weitere 27 Anlagen wurden von Technikern an Ort und Stelle bis kurz vor 23 Uhr wieder flottgemacht. Die übrigen 13 funktionieren laut Tiefbauamt seit Mittwochmittag wieder.

Was hat die Polizei unternommen? „Wir haben an einzelnen Stellen die Kreuzungen von Hand geregelt“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Etwa in Bad Cannstatt am Wilhelmsplatz, an der Pragstraße oder an der Kreuzung Gnesener-/Schmidener Straße. Mehrere Stunden waren Beamte in der Jahnstraße in Degerloch im Einsatz. „Wo am dringendsten nötig, waren auch Fahrer der Motorradstaffel spontan aktiv“, sagt Widmann. Allerdings, so die Verkehrspolizei, nütze es wenig, an einer Kreuzung von Hand zu regeln, wenn das Problem nur an die nächste Kreuzung verlagert werde.

War die Polizei überfordert? „Wir hatten jeden draußen, der frei war“, heißt es bei der Polizei. Die Reviere unterstützten die Verkehrspolizei. Allerdings gab es ja auch noch den normalen Alltag mit Anzeigen – vor allem mit vielen Unfällen quer durchs Stadtgebiet. Eine Verkehrsregelung durch zusätzliche Beamte sei deshalb nur eingeschränkt möglich gewesen.

Wie viele Unfälle gab es überhaupt? Im Stadtgebiet registrierte die Polizei am Dienstag 121 Unfälle. Und das ohne Starkregen, Sturnböen oder Schneefall, sondern bei schönstem Sommerwetter. An einem normalen Tag ereignen laut Polizei in der Stadt durchschnittlich 70 Unfälle.

Wie versucht man den Verkehr bei Staugefahr zu steuern? Der Autobahnverkehr wird von der Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg (SVZ) mit den flexiblen Anzeigen der Streckenbeeinflussungsanlagen großräumig umzuleiten versucht. Das Viereck der A 8, A 81, A 5 und A 6 wird zum Umfahrungsring. „Aber die Ausweichrouten waren auch voll“, sagt Martin Ciolek von der SVZ. „Man kann den Verkehr der A 8 bei Stuttgart nicht schadlos herunternehmen.“ Ist Leonberg als wichtiger Knoten blockiert, hilft dem Fernverkehr nur das Ausweichen über die A 7 ab Ulm.

Ist für viele Autobahnbenutzer die Stadt die Umleitungsstrecke? Durchaus. Wer auf der A 8 von Ulm kommt, versucht es über die B 27 bei Degerloch quer durch die Stadt. Oder fährt schon in Wendlingen ab, um über die B 313 und die B 10 weiterzukommen. Die städtische IVLZ kann mit ihren flexiblen Anzeigetafeln und Ampelschaltungen das Verhalten nur bedingt beeinflussen. Laut Experten lassen sich die überfüllten Straßen auf diese Weise lediglich um etwa fünf bis zehn Prozent entlasten. Nicht immer richten sich Autofahrer zudem nach den logischen Empfehlungen der Verkehrsrechner. Alle verlassen sich auf ihre Navis im Auto.

Ist deren Entwicklung bereits ausgereizt? Ideen gibt es zuhauf. In Stuttgart und der Region haben bereits mehrere Hundert Autofahrer 2015 das Forschungsprojekt Navigar getestet. Dahinter verbirgt sich ein elektronischer Lotse mit lokalen Ortskenntnissen, der als App auf Smartphones installiert werden kann. Navigar solle eines Tages die Lücke zwischen dem kommunalen und lokalen Verkehrsmanagement und kommerziellen Navigationsangeboten schließen, heißt es beim Kompetenzzentrum ITS Baden-Württemberg, das eng mit der städtischen IVLZ kooperiert. Bei Verkehrsstörungen soll die Navigar-App deren Ausweichempfehlungen übernehmen. Der durchaus erfolgreiche Versuch mit dem noch nicht marktreifen System hat nach Ansicht der Verantwortlichen gezeigt, dass eine kleinräumige Verkehrssteuerung möglich ist.

Was lehrt uns der Stau-Dienstag? Ein Stau trifft alle, die mit dem Auto unterwegs sind. Das hat auch ein städtischer Verkehrsexperte erfahren, der endlich Überstunden abbauen wollte. Statt die Freizeit zu genießen, hat er ein „unnötiges Fortbildungsseminar“ absolviert – im Auto.