Vorlesung an der Universität: Immer wenige junge Leute entscheiden sich für eine Ausbildung. Zu wenige. Foto: dpa

Zu wenig Jugendliche machen eine Ausbildung, jammern Handwerk und Wirtschaft. Von Akademikerschelte aber lassen sich Schüler kaum überzeugen. Gefordert sind Politik, Unternehmen und Schulen.

Stuttgart - Von den Zielen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten 2008 beim Bildungsgipfel in Dresden für 2015 ausgegeben haben, sind viele unerreicht. Noch immer verlassen zu viele Schüler die Schule ohne Abschluss, noch immer haben zu viele 20- bis 29-Jährige keine Ausbildung. Nur bei der Studierquote liegt Deutschland mit 46,2 Prozent inzwischen deutlich über dem Plan. 2013 überstieg die Zahl der Studienanfänger erstmals die der neuen Auszubildenden.

Nicht alle sind von dieser Entwicklung begeistert. Wirtschaftsvertreter und auch Politiker warnen vor einem „Akademisierungswahn“. Der Mensch beginne nicht erst mit dem Abitur, erklären manche. Solche Allgemeinplätze helfen nicht weiter. Zu viel Bildung kann es in einer Gesellschaft, die selbstdenkende, erfindungsreiche und mündige Bürger will, gar nicht geben. Nötig ist es vielmehr, nach den Gründen für das Desinteresse an vielen Berufen etwa im Handwerk oder in der Pflege zu fragen und junge Menschen besser über das breite Spektrum der Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren.

Ohne den Bildungsaufbruch in den 60er Jahren wäre Deutschland nicht so erfolgreich. Seit der Gründung Baden-Württembergs hat sich die Zahl der Hochschulen verdreifacht – die Zahl der Studenten ist fast 16-mal so hoch wie 1952, der Anteil der Frauen von einem Sechstel auf fast die Hälfte gestiegen. Das Land zählt zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas, weil es neben rührigen Unternehmern gut ausgebildete Arbeitskräfte auf allen Ebenen gibt. Damit es so bleibt, werden auch künftig qualifizierte Mitarbeiter in allen Bereichen gebraucht.

Dass eine Berufsausbildung vielen jungen Menschen weniger attraktiv erscheint als ein Studium, haben sich die Warner zum Teil selbst zuzuschreiben. Jedes Mal, wenn die Lehrstellen knapp und die Bewerberzahlen hoch waren, blieben viele Hauptschüler und teils auch Realschüler auf der Strecke. Deshalb ist es nur zu verständlich, dass immer weniger Eltern ihre Kinder zur Hauptschule schicken wollen und sich das Gymnasium im Lauf der Jahre zur größten weiterführenden Schulart entwickelt hat.

Mit den neuen Bildungsplänen will die Landesregierung die Berufs- und Studienorientierung an allen Schularten verbessern. Das ist richtig und wichtig. Denn die Arbeitswelt ist für junge Menschen ein weitgehend unbekanntes Feld. Derzeit sind für viele die Eltern die wichtigsten Ansprechpartner, doch auch sie sind damit oft überfordert. Mehr Praktika, Betriebsbesichtigungen und Besuche von Wirtschaftsvertretern in den Schulen allein reichen aber nicht. Ziel kann nicht sein, die Schüler auf einen bestimmten Kurs zu bringen, sondern ihnen das mitzugeben, was sie brauchen, um gut informiert selbst entscheiden zu können. Auch Studienbeschränkungen – wie manche fordern – sind der falsche Weg.

Im Übrigen können Unternehmen und öffentliche Einrichtungen einiges tun, um attraktiver zu werden. Anerkennung – auch in Form einer anständigen Bezahlung – ist wichtig. Wer kategorisch Mindestlöhne ablehnt, am liebsten mit Zeitverträgen arbeitet und Bildungsurlaub für Luxus hält, braucht sich über mangelndes Interesse nicht zu wundern. Politik und Wirtschaft müssen aber auch junge Erwachsene ohne Ausbildung nachqualifizieren und dafür sorgen, dass weniger Schulversager nachkommen. Dann müssen sie nicht die auszubremsen versuchen, die sich für ein Studium entscheiden. Gefordert sind auch die Hochschulen. Hohe Abbrecherquoten gibt es vor allem dann, wenn Schüler mit falschen Erwartungen kommen oder wenn ihnen die Voraussetzungen fehlen. Beratung und Vorbereitungskurse können das ändern.