Wer im Alter pflegebedürftig wird, hat es mitunter schwer, zügig einen Platz in einem Pflegeheim zu finden. Foto: dpa/Tom Weller

Laut Berechnungen des Kreispflegeplans müssten bis 2035 am Engelberg 42 Plätze in Seniorenheimen wegfallen. Doch schon jetzt sind die Einrichtungen voll ausgelastet.

Die Nachricht, dass in das frühere stationäre Pflegeheim am Leonberger Stadtpark wieder Senioren einziehen sollen – dann aber in betreute Wohnungen –, hat in der vergangenen Woche am Engelberg für Aufsehen gesorgt. Und das Thema Pflege älterer Menschen mal wieder in den Fokus gerückt. Doch wie steht es aktuell um die Pflege in Leonberg und wie sind die Prognosen für die Zukunft?

 

Laut Kreispflegeplan, der im vergangenen Jahr vom Kreistag beschlossen wurde, gab es 2024 in der Großen Kreisstadt 449 Plätze in der stationären Pflege – also den Pflegeheimen. Für den Kreispflegeplan wurde der Bedarf bis zum Jahr 2035 berechnet – einmal unter der Prämisse, dass sich an den Rahmenbedingungen nicht viel ändert, und einmal unter der Annahme, dass die ambulante Pflege – also die Betreuung daheim durch mobile Pflegedienste – stark ausgebaut wird. Das Ergebnis für Leonberg ist überraschend. Beim Status quo gibt es statistisch zwei Plätze zu viel, bei mehr ambulanter Pflege würden plötzlich 42 Plätze in Seniorenheimen nicht mehr gebraucht. Muss Leonberg diese also abbauen?

„Würden ein weiteres Pflegeheim vollkriegen“

Ganz im Gegenteil, findet Angelika Herrmann, bei der Samariterstiftung zuständig für den Kreis Böblingen. „Würde man in Leonberg ein weiteres Pflegeheim eröffnen, wir würden es auf jeden Fall vollkriegen“, sagt Herrmann. Tatsächlich hatte die Stiftung, die in Leonberg das Samariterstift in der Seestraße (aktuell 93 Plätze), das am Rathaus (90 Plätze) und in Höfingen (30 Plätze) betreibt, zeitweise sogar vier Häuser am Engelberg – nämlich auch noch jenes Seniorenzentrum am Stadtpark. Dort waren 2022 die letzten Bewohner ausgezogen. „Alle drei Einrichtungen in der Kernstadt waren damals voll“, berichtet Angelika Herrmann.

Auch jetzt gibt es mehr Anfragen, als die Samariterstiftung bedienen kann. „Verstirbt ein Bewohner oder zieht aus, dann bleibt der Platz nur wenige Tage leer“, berichtet sie. Doch wie kommt es dann zu der Zahl im Kreispflegeplan? Es ist schon eine Krux mit der Statistik. Das wusste auch schon US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der gesagt haben soll: „Ich stehe Statistiken etwas skeptisch gegenüber, denn laut Statistik haben ein Millionär und ein Habenichts je eine halbe Million.“

Und so stellt auch das Landratsam Böblingen klar, dass in Leonberg keine Pflegeplätze abgebaut werden müssen. „Bei der Fortschreibung der Kreispflegeplanung wurde die Status-quo-Berechnung als Planungsgrundlage beschlossen“, erklärt Pressesprecherin Rebecca Kottmann. Dass ein Ausbau ambulanter Pflege tatsächlich so einen großen Effekt haben wird, bezweifelt Angelika Herrmann von der Samariterstiftung zudem: „Die Menschen, die wir aufnehmen, haben alle einen sehr hohen Pflegeaufwand, der zuhause nicht mehr leistbar wäre.“

Bedarf an 150 weiteren Plätzen im Umland

Stattdessen könnte sogar der Fall eintreten, dass in Leonberg ein weiteres Altenheim dazukommt. Denn lenkt man den Blick hinaus auf die umliegenden Kommunen, ist der Bedarf tatsächlich erheblich. Bis 2035 werden in Weissach weitere 14 Plätze benötigt (aktuell 56), in Rutesheim 34 (aktuell 62), in Renningen 49 (derzeit 105) und in Weil der Stadt 55 (derzeit 120). Ein zusätzlicher Bedarf, der laut Kreispflegeplan teilweise schon jetzt existiert. „Es ist ja klar, dass sich jemand aus Weissach oder Rutesheim, der dort keinen Platz findet, weiter umschaut und vielleicht auch in Leonberg landet“, sagt Angelika Herrmann vom Samariterstift.

Ein weiteres Heim zu bauen – der Kreis Böblingen plant bis 2030 mit fünf neuen Einrichtungen mit 250 bis 300 Plätzen – sei auch kein Problem. „Die Herausforderung ist, genügend Personal zu finden“, berichtet Herrmann. Auch ein Grund, warum im Kreispflegeplan nicht nur den Ausbau der stationären Pflege im Blick hat. In Kooperation mit den Kommunen sollen Angebote der ambulanten und teilstationären Pflege, wie etwa Tagespflege und Betreuungsgruppen, gefördert und ausgebaut werden. Denn der erste Pfeiler in der Pflege älterer Menschen ist die Betreuung durch Angehörige in den eigenen vier Wänden.

Betreutes Wohnen ist dabei ein wichtiger, aber eben nur ein Pfeiler. Ein anderer ist Kurzzeitpflege, die ebenso wie Angebote der Tagespflege und von Betreuungsgruppen die pflegenden Angehörigen entlasten sollen. Doch es gibt viel zu wenige Plätze. „Bei der Kurzzeitpflege habe ich die gleichen Einzugsprozesse wie bei der Dauerpflege. Nur alle zwei bis drei Wochen immer wieder“, erklärt Angelika Herrmann. Das sei sehr viel Arbeit für die Pflegekräfte und auch dem Zusammenleben in der Einrichtung nur in geringer Dosierung zumutbar. „Viele Bewohner in der Kurzzeitpflege kommen direkt aus dem Krankenhaus zu uns. Dort sollte man ansetzen und entsprechende Plätze in den Kliniken einrichten“, sagt die Regionalleiterin Böblingen der Samariterstiftung.

Kreispflegeplan

Inhalt
Es wird prognostiziert, dass der Anteil der Menschen über 65 Jahre im Kreis Böblingen von aktuell einem Fünftel (2025: 21,6 Prozent) bis 2024 auf ein Viertel steigt (25,9 Prozent), der von Menschen über 75 Jahre um drei Prozentpunkte auf 13,8 Prozent.

Pflegeplätze
Ausgehend von der Pflegestatistik 2021 wurde folgender Bedarf für 2035 im Kreis errechnet: stationäre Pflege von 2758 auf 3428 Plätze (plus 670), ambulante Pflege von 3151 auf 3729 Plätze (plus 578).

Beschluss
Der aktuelle Kreispflegeplan wurde im Mai 2024 beschlossen und soll bis 2035 gelten. Der Plan ist eine Fortschreibung des Vorgängers aus dem Jahr 2018. Die Datengrundlage (Bevölkerungsstatistik und Vorausrechnung sowie Pflegestatistik) stammt jedoch aus den Jahren 2020 und 2021.