Autobahnen gelten als besonders sichere Straßenform. Aber sie sorgen auf dem Land für steigende Unfallzahlen. Foto: Rosar / Montage StZN

Autobahnen führen auf dem Land zu stark erhöhten Unfallzahlen. Das zeigt unsere Auswertung der Unfallstatistik für die vergangenen Jahre. Außerdem wird erstmals auf einen Blick deutlich, wo es im Land besonders häufig kracht.

Stuttgart - Autobahnen führen im ländlichen Raum zu mehr Unfällen. Wie stark dieser Effekt ist, zeigt unsere Auswertung von Unfalldaten aus allen baden-württembergischen Gemeinden in den Jahren 2008 bis 2015.

Besonders sichtbar wird der Einfluss von Autobahnen, wenn man Unfallzahlen mit den Einwohnern in den jeweiligen Gemeinden ins Verhältnis setzt. Man sieht in der Karte anhand der Einfärbung (je roter, desto mehr Unfälle), dass es in den Gemeinden entlang der Autobahnen häufiger kracht als in Dörfern und Städten, auf deren Gemarkung kein Autobahnstück verläuft.

Verhältnismäßig hohe Unfallzahlen gibt es in kleinen Gemeinden fast ausschließlich da, wo eine Autobahn übers Gemeindegebiet führt. Die Karte visualisiert die durchschnittliche Anzahl der Unfälle je 10.000 Einwohner:

Beispiel A8, Albaufstieg: Auf dem Weg von Stuttgart nach Ulm sind die Gemeinden Aichelberg, Gruibingen, Mühlhausen im Tale, Hohenstadt, Drackenstein und Merklingen besonders stark von Unfällen betroffen. Mit 127 bis 250 Unfällen je 10.000 Einwohner liegen diese Gemeinden landesweit in der Spitzengruppe, Aichelberg sogar auf Platz eins. Der Landesschnitt beträgt 49 Unfälle je 10.000 Einwohner. Bei allen Gemeinden ereignete sich die deutliche Mehrzahl der Unfälle auf der Autobahn.

Beispiel A6: zwischen Heilbronn und Nürnberg häufen sich die Unfälle - ganz besonders in Braunsbach, Wolpertshausen und Untermünkheim. Auch die anderen Gemeinden entlang der A6 liegen bei den Unfallzahlen je 10.000 Einwohner deutlich über dem Landesschnitt. Auch hier waren überdurchschnittlich oft Unfälle auf der Autobahn zu verzeichnen.

Beispiel A8/A81, Kreuz Stuttgart: Leonberg und Sindelfingen liegen bei den Unfallzahlen über dem Landesschnitt. Rund 6500 Unfälle haben sich auf dem Gebiet der beiden Gemeinden zwischen 2008 und 2015 ereignet. Auch in Richtung Karlsruhe treten Unfälle nahe des Kreuzes Stuttgart gehäuft auf. Das Kreuz Stuttgart ist schon lange als Unfallschwerpunkt bekannt. Die häufigste Unfallursache ist laut Regierungspräsidium zu schnelles Fahren beziehungsweise zu geringer Abstand zum Vordermann. 

Hier liegen die Unfallschwerpunkte

Woher kommt diese Häufung? "Mehr Verlehr führt zu mehr Verkehrsunfällen", sagt ein Experte des Landespolizeipräsidiums. In Städten gibt es mehr Verkehr und ergo auch (in absoluten Zahlen) mehr Unfälle. In ländlichen Gemeinden, über deren Gebiet eine Autobahn führt, gibt es mehr Verkehr als in ländlichen Gebieten, durch die nur Bundes- oder gar nur Landstraßen führen.

Die folgende Karte visualisiert die Anzahl von 2008 bis 2015 der in den Gemeinden gezählten Unfälle - je roter, desto mehr Unfälle:

Wer hinsieht, entdeckt Unfallschwerpunkte - nicht nur, aber auch entlang von Autobahnen. Das Regierungspräsidium Stuttgart nennt etwa die A8-Anschlussstellen Degerloch und Wendlingen, das Regierungspräsidium Tübingen die Unfallschwerpunkte an der B463 bei Balingen sowie der Winterlinger Steige. Auch die B31 bei dem Ort Breitnau unweit des Höllentals ist als Unfallschwerpunkt bekannt.

Unfallschwerpunkte werden von so genannten Unfallkommissionen identifiziert. Es gibt hierfür ein formalisiertes Verfahren, beteiligt sind das örtliche Polizeipräsidium und die zuständige untere Straßenbehörde. Die Unfallschwerpunkte werden nicht landesweit erfasst, deshalb liegt keine vollständige Liste dieser besonders gefährlichen Straßenabschnitte vor. Das Unfallgeschehen im Land wird entweder von den örtlich zuständigen Behörden beurteilt - oder aber aus der Vogelperspektive, das Landespolizeipräsidium spricht vom "makroskopischen Ansatz". 

Es kommt drauf an

Sind Autobahnen also besonders gefährlich? Das kommt darauf an. Wenn man die Zahl der Unfälle mit der Menge der Straßenkilometer ins Verhältnis setzt, liegen liegen die Zahl der Unfälle und der Getöteten auf den Autobahnen im Land deutlich über den Werten von Bundes-, Landes- oder Kreisstraßen: mit 44 Toten je 1000 Autobahnkilometern und 6 Toten je 1000 Kreisstraßenkilometern. Statistisch passieren auf jedem baden-württembergischen Autobahnkilometer 2,3 Unfälle, auf jedem Kreisstraßenkilometer knapp 0,4.

Dieses Verhältnis kehrt sich allerdings um, wenn man statt der Straßenkilometer die Fahrleistung, also die auf den jeweiligen Straßen insgesamt gefahrenen Kilometer berücksichtigt, wie sie von der Straßenverkehrszentrale ermittelt wird. Gemessen an der jährlichen Fahrleistung, passieren auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen bis zu vier mal so viele Unfälle und werden dabei viermal so viele Menschen getötet wie auf Autobahnen. 

Auch auf die absoluten Unfallzahlen im Land gerechnet sind die Autobahnen die sicherste Straßenart. Im Jahr 2015 gab es laut Zahlen des Statistischen Landesamts auf Autobahnen in Baden-Württemberg 2417 Verkehrsunfälle. Auf Bundessatraßen waren es 7251, auf Landesstraßen 7728. Auch verlaufen Unfälle auf Autobahnen nicht zwingend brenzliger als auf Bundes- oder Landesstraßen. 18 von 1000 Unfällen auf der Autobahn enden tödlich, über alle Unfälle außerorts gerechnet sind es fast 24 von 1000.

"Autobahnen werden als besonders sichere Straßen angesehen", schrieb schon 2010 der Automobilclub Europa in einer Studie. Daran hat sich bis heute nichts geändert, bestätigt ein Experte des Landespolizeipräsidiums. Auch übers gesamte Bundesgebiet gerechnet werden auf Bundes- und Landstraßen wesentlich mehr Menschen verletzt oder getötet. Außerorts zu fahren ist dabei tendenziell gefährlicher als innerorts.

Die folgende Karte zeigt für die Jahre 2008 bis 2015 die durchschnittliche Zahl von bei Verkehrsunfällen Verletzten sowie die Zahl der Verkehrstoten insgesamt:

Mehr Unfälle, aber weniger Tote 

Interessant ist auch die Entwicklung der absoluten Unfallzahlen und der dabei verunglückten Personen. Während die Zahl der Verkehrsunfälle im Land sich in den vergangenen fünfzig Jahren auf fast 310.000 verdoppelt hat, sank die Zahl der getöteten und verletzten Personen von knapp 61.782 (1965) und sogar 77.410 (1970) auf zuletzt 48.618. Vor fünfzig Jahren wurde noch bei jedem vierten Unfall ein Mensch getötet oder verletzt, 2015 nur noch bei einem von acht Unfällen. Das Innenministerium führt das auf die verbesserte passive und aktive Sicherheit in den Fahrzeugen zurück.

Die Zahl der Verkehrstoten sinkt in Land und Bund seit 1970 kontinuierlich, 2015 lag sie in Baden-Württemberg mit 483 Toten wieder leicht über dem Vorjahr. Einer aktuellen Schätzung zufolge sind die Unfallzahlen zumindest deutschlandweit im zu Ende gehenden Jahr gesunken.

Auf baden-württembegischen Straßen verloren mehr als 36.000 Menschen in den vergangenen fünfzig Jahren ihr Leben. Fast 460.000 wurden schwer, mehr als anderthalb Millionen leicht verletzt. Wenn die Zahlen weiter sinken, so ein Experte des Landespolizeipräsidiums, dann nicht weil die Verkehrsteilnehmer sicherer fahren, sondern "insbesondere durch einen weiteren Fortschritt in der Kfz-Technik".


Hier die Zahlen des Statistischen Landesamts zu Verkehrsunfällen und Getöteten sowie Verletzten in Baden-Württemberg in Tabellenform:

Jahr

Unfälle 

Getötete

Schwerverletzte 

Leichtverletzte

1965

161511

2095

17570

42117

1970

211211

2798

22822

51790

1975

190134

2273

20447

46458

1980

247007

1994

22341

50461

1985

257626

1361

17992

44614

1986

272431

1484

17834

47809

1987

273702

1292

16722

47157

1988

276711

1265

16460

48312

1989

269168

1362

15956

48307

1990

269075

1274

15083

46758

1991

260268

1142

14415

44810

1992

252376

1120

13839

44790

1993

235869

1088

13063

42289

1994

193803

1062

12651

40341

1995

181269

960

12528

39811

1996

185212

898

11834

39689

1997

194017

938

12413

41177

1998

205101

900

12429

43075

1999

223997

865

12130

45849

2000

223759

828

11997

46798

2001

227589

842

11532

46826

2002

222000

895

10700

46222

2003

218150

775

10763

44487

2004

223354

697

10542

43436

2005

233542

633

10095

43321

2006

234373

681

9942

43111

2007

254645

624

10172

43093

2008

255374

551

9291

39814

2009

261970

535

9169

37733

2010

275410

494

8436

36245

2011

278627

482

9194

38113

2012

287909

471

9138

37479

2013

291548

465

9068

36563

2014

294238

466

9537

37911

2015

308543

483

9502

38633