Der Anteil der Pendler im Straßenverkehr lässt sich kaum abschätzen. Foto: Max Kovalenko

Die Zahl der Pendler zwischen der Landeshauptstadt und den umliegenden Kreisen ist stark gestiegen. Ein Grund dafür: die wachsende Attraktivität Stuttgarts als Wohnort. Deshalb bleiben immer mehr Menschen hier wohnen, auch wenn sie außerhalb einen Job haben.

Stuttgart - Verstopfte Straßen, volle Bahnen: Vor allem im Berufsverkehr sind Straßen und Schienen an der Kapazitätsgrenze. Ein Grund dafür: die gestiegene Zahl von Pendlern. Die der Einpendler in die Landeshauptstadt hat im Laufe von zehn Jahren um 14,6 Prozent zugenommen, die der Auspendler sogar um 42,7 Prozent. Eine Ursache für den Trend: die gewachsene Attraktivität Stuttgarts als Wohnort.

Knapp 390 000 sozialversicherungspflichtige Jobs hat das Statistische Amt der Stadt im Vorjahr für Stuttgart ermittelt, so viele wie Jahrzehnte nicht. Auf dieser Grundlage haben die Statistiker auch berechnet, wo die Menschen, die diese Arbeitsplätze haben, leben. Rund 40 Prozent arbeiten und wohnen auch in Stuttgart, 60 Prozent kommen von außerhalb.

Rund 30 000 zusätzliche Einpendler

Die Zahl der Einpendler hat in den vergangen zehn Jahren um 14,6 Prozent auf gut 235 000 im vergangenen Jahr zugenommen. Absolut betrachtet, ist das mit rund 30 000 zusätzlichen Einpendlern eine beträchtliche Zahl, die aber im Mittel des allgemeinen Beschäftigungszuwachses liegt. Überdurchschnittlich hoch sind die Zuwächse bei jenen, die in den Landkreisen Esslingen und Böblingen leben, aber in Stuttgart arbeiten (zu den Details der Auswertung die oben stehende Grafik).

Eine Erklärung für die gestiegene Zahl der Einpendler ist sattsam bekannt: In den umliegenden Landkreisen finden viele Beschäftigte eher eine Wohnung und vielleicht auch eine günstigere als in Stuttgart. Als Beispiele nennt Lucas Jacobi, der beim Statistischen Amt für den Bereich Wirtschaft zuständig ist, etwa die Aufsiedlung des Scharnhauser Parks in Ostfildern, der sehr gut an den öffentlichen Verkehr angebunden ist, oder die Verlängerung der S-Bahn nach Kirchheim vor Jahren.

In Stuttgart wohnen, außerhalb arbeiten

Das eigentlich Auffallende an der Statistik aber ist die Entwicklung der Berufsauspendler, die aus der Landeshauptstadt zur Arbeit ins Umland fahren. Deren Zahl ist in zehn Jahren um 42,7 Prozent gestiegen. Das macht ein Plus von 24 500 Pendlern auf nunmehr fast 82 000.

Den Trend interpretiert Lucas Jacobi so: „Aus diesen Zahlen könnte man eine gewachsene Attraktivität Stuttgarts als Wohnort herauslesen.“ Nicht wenige wollen hier bleiben, auch wenn sie eine Arbeitsstelle im Umland oder noch weiter weg finden und dies mit längeren Fahrten verbunden ist. Jacobi: „Es gibt ein stärkeres Bedürfnis nach Urbanität.“ Hier hat sich möglicherweise der starke Ausbau der Hochschulen und anderer Bildungseinrichtungen in den vergangenen Jahren ausgewirkt. „Wer hier studiert hat, schätzt zum Beispiel das Kulturangebot, will deshalb hier wohnen bleiben, auch wenn er einen längeren Pendlerweg in Kauf nehmen muss“, sagt der Statistiker.

Die Berufsmobilität und damit der Betrieb auf Straßen und Schienen ist also deutlich gestiegen. Dazu trägt auch die gewachsene Zahl von „Binnenpendlern“ innerhalb Stuttgarts bei, die im Betrachtungszeitraum um 17 500 zugenommen haben. Zählt man alle Pendlerarten zusammen, kommt man in zehn Jahren auf insgesamt plus 72 000 Pendler.

VVS verzeichnet eine ähnliche Entwicklung

Die spannende Frage ist, mit welchem Verkehrsmittels diese unterwegs sind; ein guter Teil vermutlich mit dem öffentlichen Verkehr. Die Zahlen des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) seien in der Tendenz „fast identisch“, sagt der VVS-Geschäftsführer Horst Stammler. Die Zahl der Fahrten von Berufspendlern nach Stuttgart ist von 2006 bis 2014 pro Tag von rund 62 400 auf 69 700 gestiegen (plus 11,7 Prozent), die der Fahrten in Bussen und Bahnen ins Umland von 17 300 auf 22 100 (Zuwachs: 27,7 Prozent). Insgesamt lag 2014 die Zahl aller Fahrten zwischen der Landeshauptstadt und den umliegenden Kreisen bei 242 000.

Horst Stammler nennt als Gründe für die Entwicklung wie Lucas Jacobi den „Trend zur Urbanisierung“ und dass etliche Großfirmen Projekte mit vielen Arbeitsplätzen im Umland gebaut oder erweitert haben, etwa Bosch das Forschungszentrum in Renningen oder Porsche das Entwicklungszentrum in Weissach. Und noch etwas zeige die Pendlerstatistik, sagt Horst Stammler: „Der Kreis Göppingen liegt im Verkehrsschatten, den müssen wir in den VVS integrieren.“

Am Kesselrand stagniert der Verkehr

Der Anteil der Pendler im Straßenverkehr lässt sich nur schwer abschätzen. Gewiss ist, dass eine Stichtagszählung vor zwei Jahren an der Stuttgarter Markungsgrenze den bisherigen Höchstwert von 827 000 Fahrzeugen ergab. Am Kesselrand aber stagniere der Verkehr tendenziell, sagt Stephan Oehler, der Abteilungsleiter Verkehrsplanung bei der Stadt. Dort erbrachte eine Stichtagszählung 2015 rund 397 000 Fahrzeuge, 2013 waren es noch 404 000. Darin enthalten sind aber auch der sinkende Schwerverkehr in die Stadt, aber auch die weiterhin leicht wachsende Zahl von Kleintransportern.

„In den Spitzenzeiten ist die Kapazitätsgrenze erreicht“, sagt Oehler. „Das System funktioniert leidlich, das Netz ist aber nicht sehr robust. Es braucht nur wenig, dass der Verkehr zusammenbricht“. Deshalb, so der Verkehrsplaner, „wäre schon viel gewonnen“, wenn man in den Spitzenstunden des Berufsverkehrs das Fahrzeugaufkommen etwas vermindern könnte.