Alexander Gerst (rechts) und sein Team auf dem Weg zur Sojus-Rakete Foto: AP

Alexander Gerst ist mit seiner Crew vom Weltraumbahnhof Baikonur aus gestartet. In seiner Heimatstadt Künzelsau steigt eine große Party. Der 42-Jährige hat für die Zukunft ehrgeizige Ziele.

Baikonur - Wenige Stunden vor dem Start sieht Alexander Gerst zum letzten Mal für ein halbes Jahr seine Lebensgefährtin und seine Familie. Eine dicke Glasscheibe trennt den Astronauten aus Künzelsau von seinen Angehörigen – der 42-Jährige lächelt, formt mit beiden Händen ein Herz, dann geht er weiter, jede Minute vor dem Start der Sojus-Rakete folgt nun einer exakt vorgegebenen Regie. Gerst und sein Team machen sich auf den Weg: Gemeinsam mit dem russischen Kampfpiloten Sergej Prokopjew und der US-Ärztin Serena Auñón-Chancellor bricht er zur historischen Startrampe 1 auf, von der aus Juri Gagarin 1961 als erster Mensch den Weltraum erkundete.

Wie ein Leuchtturm steht die Sojus-Rakete mitten in der kasachischen Steppe. Der Himmel über der Graslandschaft ist leicht bewölkt, es ist 35 Grad heiß, und Alexander Gerst spürt noch einmal, wie sich irdisches Leben anfühlt. Mit seinen Crewmitgliedern steigt er eine Treppe hinauf, ein Aufzug bringt die drei zu ihrer Kapsel an der Spitze der Rakete. Kurz darauf zeigt eine Kamera die Innenansicht einer äußerst beengten Wohngemeinschaft: Gerst, Prokopjew und Auñón-Chancellor sitzen Ellenbogen an Ellenbogen in der Kapsel.

Ein Bilderbuchstart für die Mission „Horizons“

Noch wird die Rakete betankt, im Kontrollzentrum in Moskau überwachen Techniker jeden weiteren Schritt – und Alexander Gerst hört Musik. In der Stunde vor dem Start lauscht Gerst einer Auswahl von Liedern, die ihm Twitter-Nutzer als Einstimmung für seinen Flug vorgeschlagen haben: Auf seiner Playlist stehen unter anderem „Astronaut“ von Sido und Andreas Bourani, sowie die Titelmelodie aus der Zeichentrickserie „Captain Future“. Um 13.12 Uhr mitteleuropäischer Zeit hebt die Sojus-Rakete mit einem Feuerstrahl vom Weltraumbahnhof in Baikonur ab. Prokopjew trägt in diesen Stunden als Pilot die Hauptverantwortung, Alexander Gerst geht ihm als Kopilot zur Hand. Binnen neun Minuten beschleunigt die Sojus von null auf 27 000 Kilometer pro Stunde.

Hier geht’s zum Video: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.start-zur-internationalen-raumstation-hier-fliegt-alex.13d8766f-7422-4501-b958-a9cec778ffdc.html

Bald ist die Rakete nur noch ein flammender Punkt am Himmel. Ein Bilderbuchstart für die Mission „Horizons“. Tausende von Kilometern entfernt bejubeln Zuschauer in Deutschland den gelungenen Auftakt. In Gersts Heimatstadt Künzelsau im Hohenlohischen sehen die Einwohner das Geschehen auf einer Leinwand in der Hauptstraße, es gibt Wissenschafts-Shows, Talkrunden und blaue T-Shirts mit dem Konterfei von Gerst, die ihn als „Commander Alex“ feiern. Andrang herrscht auch beim gemeinsamen „Space-Viewing“ vor dem Zeiss-Großplanetarium in Berlin und im Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum in Oberpfaffenhofen.

Für den Geophysiker Gerst beginnt an Bord der ISS die eigentliche Arbeit

Nach dem Start steht Alexander Gerst jedoch vor einer weiteren Geduldsprobe. Es wird zwei Tage dauern, bis die Sojus-Kapsel auf die Internationale Raumstation ISS treffen wird. Geplant ist ein Andockmanöver, anschließend ziehen die drei Astronauten in jenes fußballfeldgroße Forschungslabor um, in dem sie in den nächsten sechs Monaten leben, schlafen, essen und forschen werden. „Diese zwei Tage sind kein besonders großes Vergnügen“, erzählt der Ex-Astronaut Thomas Reiter, der 2006 zur ISS geflogen war. Dennoch sei der Flug weniger schlimm, als man annehmen könnte. Nach dem Start könnten die Raumfahrer die Luke zu dem sogenannten Orbitalmodul öffnen, in dem auch Fracht lagere, erzählt Reiter, der den Start in Baikonur beobachtet. „Dann legen sie ihre Druckanzüge ab. Die sind nicht besonders bequem.“

Für den Geophysiker Gerst beginnt an Bord der ISS die eigentliche Arbeit. In den nächsten Monaten betreut die Crew dort rund 300 Experimente. Auf die Ergebnisse der Experimente in der Schwerelosigkeit warten Mediziner und Ingenieure auf der ganzen Welt. Zum neuen Star an Bord könnte dabei eine medizinballgroße Kugel namens Cimon werden: Cimon soll Gerst als Assistent hinterherschweben. Das High-Tech-Gerät arbeitet mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz – es wird bei Problemen Lösungen aufzeigen und dazu ein freundliches Gesicht aufsetzen, denn Cimons Display ziert ein Gesicht.

Für Alexander Gerst, der im Sommer erster deutscher Kommandant der ISS wird und dann in Notfällen die Entscheidungen trifft, steht jedoch ein anderes Ziel im Vordergrund: „Wenn ich hinbekomme, dass wir unser Programm durchführen und dass wir als Freunde zurückkommen, dann ist das für mich eine großartige Mission.“ Deren Name ist für ihn Programm: „Horizons“. Es ist bekannt, dass Alexander Gerst davon träumt, eines Tages auf dem Mond zu stehen.