Den Abschluss in der Tasche: und was nun? Viele Abiturienten entscheiden sich heute für ein Studium – aber auch immer mehr setzen zunächst auf eine gute alte Berufsausbildung. Foto: dpa

Um die Ausbildung ist es nicht so schlecht bestellt, wie manche Kritiker meinen. Allerdings müssen Betriebe, Bewerber und die Politik ihren Einsatz erhöhen, damit das Erfolgsmodell langfristig erfolgreich bleibt, meint Wirtschaftsredakteur Thomas Thieme.

Stuttgart - Die Ausbildungsbetriebe in Baden-Württemberg verzeichnen zum Start des neuen Lehrjahres erneut leicht steigende Azubizahlen. Das gilt sowohl für das Handwerk als auch für den Bereich der Industrie- und Handelskammern. Der Anteil der Abiturienten geht ebenfalls nach oben. Also alles gut? Mitnichten.

Branchen wie Gastgewerbe und Bauwirtschaft beklagen einen zunehmenden Bewerbermangel. Auch im Einzelhandel und in der Pflege bleiben Hunderte Lehrstellen unbesetzt. Auf der anderen Seite sind noch viele junge Menschen ohne Vertrag. Sie fragen sich zu Recht, ob es mit dem Fachkräftemangel so weit her sein kann, wenn sie selbst doch schon beim Einstieg ins Berufsleben nicht vom Fleck kommen. Bewerber mit Migrationshintergrund und Hauptschüler haben schlechtere Startchanchen. Dies zu ändern muss endlich höchste Priorität der Politik sein.

Längst nicht alle Gymnasiasten drängen an die Hochschulen

Bei der Beurteilung des deutschen Ausbildungsmarkts wird leider häufig einseitig argumentiert. Im Ergebnis entsteht ein Bild, das viel Schwarz-Weiß und zu wenig Grautöne hat. So wird etwa ein „Akademisierungswahn“ beklagt. Tatsächlich haben die Bologna-Reform, die zu zügigeren Bachelor-Studienabschlüssen geführt hat, oder auch die Aufwertung von Berufsakademien zu Dualen Hochschulendazu beigetragen, dass sich mehr junge Menschen für ein Studium entscheiden. Doch längst nicht alle Gymnasiasten drängen später an die Hochschulen, das zeigt der steigende Abiturientenanteil unter den Azubis.

Generell ist jedes Streben nach einem höheren Bildungsabschluss positiv. Es sollte angehenden Studenten jedoch bewusst sein, dass ein Studium per se nicht die späteren Verdienst- oder Beschäftigungsmöglichten erhöht – zumal die Abbrecherquoten im akademischen Bereich denen in der Berufsausbildung in nichts nachstehen. Umgekehrt muss klar sein: Eine erfolgreiche Karriere lässt sich auch oder gerade auf der soliden Basis einer Ausbildung aufbauen. Die Aufstiegsmöglichkeiten sind dabei heute vielfältiger als in der Vergangenheit.

Die hohen Abbrecherquoten werden zudem gerne als Argument für einen Niedergang der dualen Berufsausbildung angeführt. Dass etwa in der Gastronomie mehr als jeder Zweite seine Lehre vorzeitig ohne Abschluss beendet, muss den Arbeitgebern zu denken geben. Doch längst nicht alle Abbrecher landen in außerbetrieblichen Maßnahmen, prekären Arbeitsverhältnissen oder Hartz IV. Die meisten wechseln nur den Arbeitgeber oder den Lehrberuf.

Die Ausbildungsrepublik ist zweigeteilt

Oft ist auch von Lehrlingsmangel oder Lehrstellenmangel die Rede. Die Ausbildungsrepublik ist dabei zweigeteilt: In einigen Regionen wie Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg, aber auch in den neuen Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen, fehlen Bewerber für Ausbildungsplätze. In Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen oder Niedersachsen sind dagegen die Lehrstellen knapp. Was die Statistiken allerdings zu wenig berücksichtigen, ist die durchaus verbreitete Mobilität und Flexibilität junger Menschen. Sie sind mehrheitlich längst nicht mehr so fest an die Heimat oder das Elternhaus gebunden wie zu früheren Zeiten.

Und schließlich kursiert auch noch vielfach das Vorurteil, Zuwanderer würden schwächeren Bewerbern mit deutschem Pass die Ausbildungsplätze wegnehmen. Diese Ansicht ist genauso falsch wie die Erwartung, junge Menschen die erst seit wenigen Jahren in Deutschland leben, die Sprache noch nicht gut genug beherrschen und über keine ausreichende Schulbildung verfügen, könnten die Lücken rasch schließen, die durch sinkende Schulabgängerzahlen gerissen werden. Die Integration braucht Zeit. Doch der höhere Aufwand für die Starthilfe lohnt sich. Der Fachkräftebedarf wird sich in Zukunft nur decken lassen, wenn noch mehr in Aus- und Weiterbildung investiert wird – viel mehr.