Der Ball rasselt, damit die Spieler in lokalisieren können. Foto: Horst Rudel

Beim Blindenfußball fallen zahlreiche Tore, obwohl die Torhüter als einzige auf dem Spielfeld den Ball sehen.

S-West - Voy!“ schallt es vom Spielfeld herüber. „Voy! Voy!“. Das spanische Wort ist kein Schlachtruf von ausländischen Fans, sondern bedeutet „Ich“. Die Spieler selbst rufen es immer wieder. Einer von ihnen erkämpft sich den Ball, dribbelt aufs Tor zu, schießt und trifft – mit verbundenen Augen.

Doppelspieltag in der Blindenfußballbundesliga: Gleich sechs Spiele haben zum Saisonauftakt der ersten Liga am Wochenende auf dem Sportgelände am Kräherwald stattgefunden. Stuttgart ist eine Hochburg des Blindenfußballs. Der MTV Stuttgart ist amtierender Deutscher Meister und Rekordmeister.

Für Ulrich Pfisterer, Trainer des MTV Stuttgart und Bundestrainer, ist Blindenfußball gewissermaßen die Königsdisziplin des Behindertensports. „Die Leute unterschätzen das“, sagt er. Koordination, Ballgefühl und kinetische Wahrnehmung seien beim Blindenfußball ebenfalls gefragt. „Das hat mit Sehen gar nichts zu tun“, erklärt er. „Die laufen hier ohne Hund und Stock und das richtig schnell.“

Boom seit der Fußball-WM 2006

Seit 2008 gibt es die Blindenfußballbundesliga. Das erste Spiel nach internationalen Regeln fand in Stuttgart statt. Während in anderen Ländern der Blindenfußball schon länger praktiziert wird, erzählt Pfisterer, habe es in Deutschland erst durch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eine Initialzündung gegeben. Der 60-Jährige, der als Sportlehrer bei der Nikolauspflege mit Blinden arbeitet, war von Anfang an dabei und hat den Sport in Deutschland mit aufgebaut. Seit 2007 trainiert er die Blindenfußball-Nationalmannschaft, die sich seitdem kontinuierlich verbessert hat. Bei der WM 2007 verlor sie noch mit 0:7 gegen Frankreich. „Letztes Jahr haben wir mit Pech 0:1 verloren“, berichtet der Trainer.

Um die Funktionsweise des Blindenfußballs zu erklären, muss eine alte Fußballregel erweitert werden: Der Ball ist rund – und hat Rasseln. Dadurch können die Spieler ihn lokalisieren, ohne ihn zu sehen. Wer sich dem Ball nähert, ruft „Voy“, um andere Mitspieler zu warnen. Bleibt der Ruf aus, wertet der Schiedsrichter das als persönliches Foul. Bei vier Fouls gibt es einen Strafstoß, bei dem der Ball öfters im Netz zappelt als man denkt.

Nur die Torhüter können sehen

Die Torhüter verfügen zwar über volle Sehkraft, dürfen die Zone vor dem Tor jedoch nicht verlassen. Die vier Feldspieler sind nicht alle vollblind, aus Gründen der Chancengleichheit müssen aber auch diejenigen mit ein wenig Sehkraft Augenbinden tragen. Den Weg zum Ball und zum Tor finden sie durch Zurufe des Torwarts, des Trainers und eines Guides hinter dem gegnerischen Tor. Das Spielfeld hat die Größe eines Handballfelds, gespielt wird mit Bande. Eine Halbzeit dauert 25 Minuten.

„Es gibt feste Positionen und Aufgaben im Spiel“, erklärt Lukas Smirek. „Je besser eine Mannschaft ist, umso besser ist ihre Raumaufteilung.“ Der 27-jährige Spieler des MTV Stuttgart ist über einen Freund zum Blindenfußball gekommen. Seine anfängliche Skepsis hatte sich nach einem Probetraining gelegt. „Die Befürchtung, dass es ein etwas konstruiertes Spiel ist, hat sich nicht bestätigt“, sagt er. Dreimal in Folge gewann sein Verein zuletzt die Meisterschaft, deshalb ist das Ziel, bis September erneut den Meistertitel zu holen.

Kick gegen die Nationalmannschaft angedacht

Doch Smirek gibt zu, dass das in dieser Saison nicht so einfach wird. Mit Jörg Fetzer hat eine wichtigen Stütze des Teams den Verein verlassen. Fetzer läuft nun für Chemnitzer FC auf, die einstige „Schießbude“ der Liga. Nach dem Auftaktspiel gratulieren ihm die ehemaligen Mannschaftskameraden zu den beiden Toren, die Fetzer gegen Marburg geschossen hat. „Ich kann der Mannschaft einiges an Erfahrung weitergeben“, sagt der 40-Jährige, der in Tübingen mit dem Blindenfußball angefangen hat. Ein weiterer Grund für seinen Wechsel: Seine Freundin spielt ebenfalls in Chemnitz.

Doch auch ohne den erfahrenen Fetzer siegt der MTV in den ersten beiden Partien 3:0 gegen den VfB Gelsenkirchen und 1:0 gegen die SG Berlin/Braunschweig durch Tore vom letztjährigen Torschützenkönig Vedat Sarikaya und von Kapitän Mulgheta Russom. Trainer Ulrich Pfisterer hat neben dem Meistertitel derweil noch ein weiteres Ziel. Um den Sport bekannter zu machen, sollen seine blinden Kicker nächstes Jahr in einem Trainingsspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft antreten. Die Profis müssen dabei natürlich auch Augenbinden tragen. „Mit Oliver Bierhoff habe ich schon ein Gespräch geführt“, sagt Pfisterer.