Beim Starkbier in der Alten Kelter geben sich die Spitzenkandidaten Guido Wolf (li.) und Winfried Kretschmann (re.) dank Christoph Sonntag die Hand Foto: Frank Eppler

Der Kappelberg rückt näher an den Nockherberg. Die schwäbische Version des bayerischen Derbleckens ist zu einer Marke geworden, die Spitzenpolitiker des Landes beim Starkbier vereint. Kurz vor der Wahl war Guido Wolf bevorzugtes Satire-Opfer – zugleich bekam er am Xylofon aber den stärksten Beifall.

Fellbach - Aus Tübingen ist Boris Palmer samt weiblicher Begleitung vorbildlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Starkbieranstich angereist. Freie Parkplätze findet man an diesem Vormittag rund um die Alte Kelter in Fellbach nicht – zu groß ist der Andrang unterhalb des Kappelbergs. Der grüne OB trägt zu Jeans eine rote Trainingsjacke, als wolle er zum Sport. Es ist die richtige Kleidung für einen Politiker bei der SWR-Fernsehaufzeichnung. Auch wenn das Abwatschen von Kabarettist Christoph Sonntag und seinen Kollegen schmerzt, darf man sich das niemals anmerken lassen – man muss Spott stets sportlich nehmen! In der Trainingsjacke gelingt das besonders gut.

Palmer läuft an diesem Vormittag heiß in den Agenturen. Es seien nicht die Zeiten für Pippi-Langstrumpf-Politik, hat er im Interview mit dem „Spiegel“ gesagt, man sollte endlich mehr Flüchtlinge abweisen. Und nun erfährt er beim Starkbier, was ihm die Zukunft angeblich zuweist – was Großes!

Wolf will Boris Palmer nicht in der CDU

SWR-3-Comedian Andreas Müller schickt uns mit seinen Politpuppen auf eine Zeitreise. Wir kommen am 13. März 2116 an – exakt 100 Jahre nach einer historischen Wahl. Die einstigen Spitzenpolitiker plaudern im Jenseits über früher. Zur Abwehr des Wahlsiegers AfD, erinnern sie sich, zogen Winfried Kretschmann und Guido Wolf seinerzeit im März 2016 als Doppelspitze in die Villa Reitzenstein („der eine regierte vormittags, der andere hob die Gesetze nachmittags auf“). Wiederum fünf Jahre später sei Palmer alleiniger Regierungschef geworden – nachdem er der CDU beigetreten sei.

Will die CDU den OB von Tübingen überhaupt? „Aber nein“, sagt Wolf nach Ende der TV-Aufzeichnung, da wir zurück in der Gegenwart sind, „der soll seine Grünen ärgern.“ Bei Oskar Metzger sehe man, wie schwer der Wechsel von den Grünen zur CDU falle. „Metzger ist nichts geworden“, stellt der Spitzenkandidat lachend fest.

Wolf will was werden. Sollte es nicht zum Wahlsieg reichen, könnte er Karriere als Musiker machen. In Fellbach holt ihn Sonntag vor 1000 Besuchern ans Xylofon der Band Erpfenbrass. Wolf haut so herzhaft rein, dass Kretschmann seinem Konkurrenten Beifall zollt – kommt nicht so oft vor.

SWR-Fernsehen sendet die Fastenpredigt

In der Fastenzeit lieben es die Menschen, starkes Bier zu trinken und einem Fastenprediger zu lauschen, der den Spitzenpolitikern die Leviten liest. Was in Bayern seit über 100 Jahren eine Gaudi ist, wird von Sonntag als Bruder Christopherus seit fünf Jahren fürs SWR-Fernsehen als eigene Tradition unter dem Titel „Das jüngste Ger(i)ücht“ entschlossen entwickelt. Er ist nicht allein dabei. Das Theater vor der Predigt, das ans Nockherberg-Singspiel erinnert, wird von Jahr zu Jahr besser (diesmal dabei: Özcan Cosar, Annette Postel, Dui do on de Sell, Thomas Schreckenberger). Das Geschehen spielt in einer Agentur, die den Wahlkampf komplett konzipiert – für Kretschmann und Wolf. Es geht auch um Pegida-Märsche, die Schreckenberger nicht mag: „Im Wort ist mir schon ein M zu viel drin.“

Lustvoll schießt Sonntag gegen den CDU-Kandidaten: „Sie können gern Ministerpräsident werden, aber warum gerade bei uns?“ Die Rolle der SPD im Wahlkampf vergleicht er mit der Leiche im „Tatort“: „Die zuckt noch ein bisschen, das Leben spielt aber um sie herum.“ Bald habe der Trollinger mehr Prozente als die SPD. Spitzenkandidat Nils Schmid lässt sich neben seiner Frau Tülay nicht anmerken, ob er Trollinger mag. Um Kretschmann, lästert Sonntag, habe sich die PBW (Pöschdle-Behalten-Woller) gruppiert (am Tisch: die Minister Alexander Bonde und Franz Untersteller). Bei Wolf entdeckt er die „PKW – die Pöschdle-Kriegen-Woller“. Am CDU-Tisch sitzen CDU-Landeschef Thomas Strobl, der frühere OB Wolfgang Schuster (will er auch noch ein Pöschdle?), der Backnanger OB Frank Nopper.

Nach der TV-Aufzeichnung strahlt Kretschmann noch mehr als sonst. Ja, der Sonntag habe ihn relativ geschont, sagt er. Worüber er sich bei den Witzen über ihn am meisten geärgert habe, frage ich ihn. „Dass die Journalisten angeblich mehr wissen als Politiker“, antwortet er. Das stimme nicht.

Wir wissen nicht, ob er’s weiß: Nach der Veranstaltung steht sein Parteifreund Palmer mit Begleitung an der Bushaltestelle vor der Kelter – ohne Fahrer. Der OB hat’s eben vernommen: 2021, so das Puppen-Orakel, wird er für die CDU Ministerpräsident.

Wissen Puppen etwa mehr als Journalisten und Politiker zusammen? Oder haben sie nur zu viel Starkbier getrunken?