Holger Stanislawski hat bei 1899 Hoffenheim seit Juli 2011 das Sagen. Foto: dpa

Hoffenheims Trainer  über den VfB, den Burn-out von Ralf Rangnick und seine Tanzeinlagen.

Stuttgart - Er steht ständig unter Strom. Fußball ist für Holger Stanislawski fast alles. Doch der Chefcoach von 1899 Hoffenheim weiß, dass er sich damit auf einem schmalen Grat befindet. An diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) ist er mit den Kraichgauern beim VfB Stuttgart zu Gast.

Herr Stanislawski, haben Sie sich schon die Kabinenansprache vor dem Stuttgart-Spiel zurechtgelegt - immerhin ist Hoffenheim gegen den VfB in der Bundesliga noch ohne Sieg?
Nein, das machen wir erst am Spieltag. Aber wir werden den besonderen Reiz des Spiels thematisieren und den Spielern etwas an die Hand geben, das ihnen nutzt.

Zum Beispiel ein Motivationsvideo von Muhammad Ali, wie Sie es schon einmal Ihrer Mannschaft gezeigt haben?
Nein, das Ali-Video ist abgefrühstückt. Wir haben andere Möglichkeiten, um die Spieler auf das Spiel einzustellen.

Viele Ihrer Profis werden ohnehin hoch motiviert sein. Für Marvin Compper, Sebastian Rudy, Andreas Beck oder Sven Schipplock hat das Spiel besondere Brisanz, sie haben alle schon beim VfB gekickt.
Grundsätzlich braucht kein Spieler vor so einer Begegnung eine Motivationsspritze. Außerdem sind die ehemaligen VfB-Spieler seit Jahren weg. Bis auf Sven Schipplock haben sie nicht mehr so den Bezug zum VfB.

Apropos Sven Schipplock: Warum hat er noch nicht den Sprung in die Stammelf geschafft?
Es war zu Anfang so, dass wir uns auf andere Jungs festgelegt hatten. Allerdings hat Sven in den Testspielen in der Länderspielpause gezeigt, dass er in einer guten Form ist. Jetzt ist er irgendwann dran.

Schon am Samstag gegen seinen Ex-Club?
Das kann ich noch nicht sagen. Aber er hat sich an unsere Spielweise, das sehr schnelle Kombinationsspiel, gewöhnt und hat zudem hohe Qualitäten im Abschluss. Irgendwann lassen wir ihn von der Leine. 

"Ich gucke jetzt erst einmal einen Western mit John Wayne"

Was erwarten Sie vom VfB? 
Ich bin mir sicher, dass die Stuttgarter wissen, dass wir in der Lage sind, auswärts sehr dominant aufzutreten. Wir dürfen uns nicht zu sehr locken lassen, sondern müssen unser Spiel durchziehen. Denn der VfB ist gefestigter als in der Vorsaison. Da hat man gemerkt, dass Gevatter Angst das ein oder andere Mal dabei ist. Dieses Verhalten haben die Stuttgarter abgelegt und strotzen vor Selbstvertrauen. Es wird ein Spiel zweier Mannschaften auf Augenhöhe.

Kommen wir zu Ihnen: Seit Juli sind Sie in Hoffenheim Trainer. Haben Sie mittlerweile eine Wohnung gefunden oder leben Sie immer noch im Hotel?
Ich habe mich zumindest festgelegt, in welche Ecke es gehen soll, und werde noch in diesem Jahr mein zweites Zuhause finden.

Vermissen Sie nicht das Großstadtflair von Hamburg im beschaulichen Kraichgau?
Nein. Ich vermisse zwar meine Familie und Freunde, doch ich bin hier sehr gut aufgenommen worden, habe ideale Arbeitsbedingungen. Es wurde mir einfach gemacht, hier Fuß zu fassen. Ich freue mich auch immer, wenn ich von Hamburg hierher ins Ländliche komme. Schließlich bin ich nicht jemand, der jedes Wochenende ins Musical gehen muss. Ich bin froh, die Stunden, die ich mal freihabe, in Ruhe zu genießen.

Viele freie Stunden dürften das nicht sein. Sie gelten als Perfektionist, als jemand, der Fußball lebt - 24 Stunden am Tag. Bei Ralf Rangnick, einem Ihrer Vorgänger bei 1899, hat diese Lebensweise zu einem Erschöpfungssyndrom geführt. Laufen Sie nicht Gefahr, auch irgendwann mal einen Burn-out zu haben?
Die Gefahr sehe ich noch nicht bei mir. Doch ich weiß, dass es ein schmaler Grat ist. Ralf Rangnick sollte ein warnendes Beispiel sein. Denn irgendwann kann es jeden holen, wenn man nur den Fußball sieht und dabei das normale Leben vergisst.

Was machen Sie, damit das Ihnen nicht passiert?
Es ist wichtig, dass man sich Nischen sucht, die nichts mit Fußball zu tun haben. Ich bin der Typ, der schnell merkt, wann ich eine Pause brauche. Und dann sage ich: "Halt, stopp", ich gucke jetzt erst einmal einen Western mit John Wayne, um in eine andere Welt abzutauchen. Oder ich gehe mit meinem Hund eine Stunde spazieren, um meine innere Ruhe wieder zu finden. Und selbst wenn ich in Sachen Fußball unterwegs bin - etwa auf dem Weg zu einer Spielbeobachtung -, nutze ich die Zeit im Auto, um zu reflektieren oder Telefonate zu führen, die man nicht führen muss, sondern führen möchte. Da ist es wichtig, Leute um sich zu haben, die einen erden und die nichts mit Fußball zu tun haben.

Ihr Wechsel vom Kultverein FC St. Pauli zum Retortenclub TSG 1899 Hoffenheim hat vor der Saison für Wirbel gesorgt. Haben Sie damit nicht Ihrem Image eines bodenständigen und unkonventionellen Coachs geschadet - vor allem in Hamburg?
Nein, ich glaube zwar, dass es viele in Hamburg gibt, die meinen Wechsel bedauern, aber viele erkennen auch, dass es in meiner Entwicklung richtig war. Denn nach viereinhalb super erfolgreichen Jahren, in denen ich teils in der Doppelfunktion Trainer/Sportlicher Leiter mithelfen durfte, den Verein wieder auf gesunde Beine zu stellen, hätte ich nichts mehr mit der Mannschaft erreicht. Und außerdem buhle ich nicht darum, ob das dem ein oder anderen gefällt.

Was ausnahmslos gefällt, sind Ihre Tanzeinlagen. Was muss passieren, dass Sie den Moonwalk auch vor den Hoffenheim-Fans zeigen?
(Lacht.) Da muss einiges passieren. Ich bin ein emotionaler Trainer, ich freue mich und leide mit den Spielern. Und genauso ist es mit den Zuschauern. Ich werde definitiv nicht auf dem Zaun stehen. Das schließe ich aus. Aber wenn die Jungs irgendwann die Vorstellungen von meinem idealen Spiel erreicht haben, kann es sein, dass ich die ein oder andere Tanzeinlage mit dabeihab'.