Die Stuttgarter Grünen wollen vom städtischen Weingut Bio-Weine ausbauen lassen.
Stuttgart - Ginge es nach OB Wolfgang Schuster und seinem Kämmerer, dann würde die Stadt Stuttgart ihr Weingut an einen Privatwengerter oder eine Genossenschaft verpachten. Die Grünen möchten nun aber einen ganz anderen Weg einschlagen - und vom kommunalen Weingut Bioweine ausbauen lassen.
Die Zeit der Lese ist gekommen. Die Erntehelfer des städtischen Weinguts haben am Montag in der Unteren Mönchhalde damit begonnen, die Rieslingtrauben zu lesen. Und auch am Burgholzhof fiel der Startschuss.
Nach dem Willen der Grünen soll es eine der letzten Weinlesen sein, bei denen das Weingut herkömmlich erzeugte Trauben erntet. Vor einigen Wochen brachten sie einen Antrag ein mit dem Titel: "Bio zahlt sich aus - Mit dem Weingut der Stadt Stuttgart auf dem Weg zum ökologischen Anbau".
Die Idee scheint naheliegend zu sein. Die Grünen sind seit 2009 die stärkste Kraft im Rathaus - und mit einem Öko-Weingut würden sie ihre Wurzeln als frühere Ökopartei freilegen. Aber auch in einem anderen Sinne bietet sich die Idee an: Die Stadt hat ihr Weingut stets als Marketing-Instrument verstanden - und als Erinnerung daran, dass Stuttgart einst bedeutender Weinbauort war und auch heute noch dem Weinbau verbunden ist. Das Ökosiegel für das Weingut würde das Renommee steigern und schön illustrieren, dass heute halb Stuttgart öko ist - im Alltag und bei den Wahlen.
Geerntet haben die Grünen nach diesem Antrag trotzdem vor allem Widerspruch. Der Weinbau-Experte Dieter Hoffmann aus dem Rheingau riet der Stadtverwaltung dringend ab - und OB Wolfgang Schuster sowie der zuständige Bürgermeister Michael Föll schlossen sich an.
Bioprodukte sind populär
Immerhin: Ökolandbau und Bioprodukte erfreuten sich in den Medien großer Popularität, räumt der Wein-Professor Hoffmann ein. "Vordergründig kann man sich die Bewirtschaftung der innerstädtischen Weinberge in ökologischer Wirtschaftsweise gut vorstellen." Dann aber listet er mancherlei Gegenargumente auf.
Das Segment der Ökowein-Käufer sei mit weniger als vier Prozent noch ein zartes Pflänzlein. Bei einem Verzicht auf Herbizide, also Unkrautvernichtungsmittel, müsse man laute Motormäher einsetzen, um die Verbuschung der Weinberge zu verhindern. Dadurch gelangten auch Abgase in die Luft, die sich auf den Trauben absetzen. Schwinge man aber Sichel, Sense und Handhacke, würden die Personalkosten noch drastischer steigen. Speziell das städtische Weingut müsste 20 bis 30 Prozent mehr Personal einsetzen. Die Arbeiten seien in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeitspanne im Sommer von so einem Unternehmen "nicht umsetzbar", warnt Hoffmann. Zudem würden die Ernteerträge um 20 bis 30 Prozent zurückgehen, in manchen Jahren um 50 Prozent.
Zwar könne man für Ökoweine höhere Preise erzielen, die seien aber immer noch nicht ausreichend zur Deckung der erhöhten Kosten, sagt Hoffmann. Daher müsse man mit erheblichen Steigerungen der jährlichen Defizite beim Weingut rechnen. Und wofür das alles? Auch das herkömmliche Verfahren der Traubenerzeugung gelte heute als hochgradig natürlich. Bei der Weinherstellung würden durch "Abreicherungsprozesse" ja auch möglicherweise vorhandene Rückstände entschärft, sagt der Gutachter, der sich zuvor um Ablagerung von Abgasen auf den Trauben gesorgt hatte.
Um die jetzigen Defizite des Weinguts zu senken, hatten Schuster und Föll freilich eigens die Verpachtung vorgeschlagen. Das Weingut soll auch tatsächlich versuchsweise ausgeschrieben werden. Eine Mehrheit im Gemeinderat ist zwar skeptisch, dass es zur Verpachtung kommen wird. Doch auch solche Skeptiker sind für die Grünen nicht automatisch Bündnisgenossen für ein Ökoweingut. Der Privatwengerter Konrad Zaiß (Freie Wähler) warnt: "In diesem Jahr wäre beim Verzicht aufs Spritzen von den Trauben das meiste verfault."
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Wölfle kämpft aber weiter für den Antrag, den Thekla Walter und Niombo Lomba maßgeblich mitentworfen haben. "Das Thema Öko ist noch nicht erledigt", sagt er. Wölfle wird aber Kompromisse machen müssen. Etwa dergestalt, dass zunächst nur die besten Lagen oder die innerstädtischen Vorzeigelagen umgestellt werden. Für einen vorsichtigen Schritt gibt es auch bei Föll und beim Weingut-Leiter Bernhard Nanz Aufgeschlossenheit - zumal Nanz über kurz oder lang mit der Praxistauglichkeit von Elektromähgeräten rechnet. Außerdem hat man erste Erfahrungen: Im städtischen Wengert an der Karlshöhe werden seit sieben Jahren keine Herbizide eingesetzt. Hiobsbotschaften über totale Ernteausfälle wurden nicht bekannt.