Wasser ist ein Ort der Sehnsucht und der Erholung. Aber was machen die Orte am Fluss daraus? Nürtingen tut einiges, Esslingen würde gerne, tut sich aber schwer.
Wasser zieht Menschen magisch an. Das ist in Esslingen nicht anders als anderswo. Insbesondere an den Seitenarmen des Neckars in der Innenstadt. Aber dem Fluss selbst kommt man selten richtig nah. Der Merkelpark steht sinnbildhaft dafür: Es hat fast schon etwas Verzweifeltes, dass so ein schöner Park mit viel Wiese, alten Bäumen und einem Kunstmuseum zwar am Fluss liegt, es aber keinen sanften Übergang oder gar so etwas wie einen Strand gibt. Land und Wasser werden durch eine Mauer schroff voneinander getrennt. Auch der Blick zur anderen Seite ist nicht erhebend: eine Mauer, riesige Rohre. Untermalt wird das Ganze vom Dauerlärm der viel befahrenen Bundesstraße 10.
Gaststätten oder wenigstens eine Imbissbude im Merkelpark – Fehlanzeige. Das gibt dem kleinen Park den Charme eines Insider-Orts. Wer hierhin kommt, bringt Decke, Essen und Wein selber mit. Es ist ein schöner Ort, aber einer, der mehr hergeben könnte. Immerhin: Esslingen würde sich gerne stärker mit dem Fluss anfreunden. Deshalb gibt es den Plan eines Neckarufer-Parks etwas weiter westwärts. Beide Grünflächen verbunden, könnte hier eine mehr als zwei Kilometer lange Uferstrecke entstehen.
Hätte, könnte, würde: Der Plan ist da, aber wirklich Bewegung gibt es schon seit geraumer Zeit nicht mehr in der Sache. Seit zwei Jahrzehnten wird darüber gesprochen. Zuletzt wurde der Herbst 2023 als Baubeginn genannt. Fertigstellung wäre dann 2025.
Der Neckaruferpark in Esslingen
Etwas weiter südlich sieht es schon anders aus, allerdings gibt es hier auch keine gewerbliche Schifffahrt: In Nürtingen hat der Gemeinderat soeben beschlossen, den Stadtbalkon noch prominenter zu machen. Die Alleenstraße, wo heute schon die Menschen auf Bänken und in Liegestühlen bei einem Getränk am Fluss sitzen, soll dauerhaft gesperrt und zur Flaniermeile werden. Auch hier sind Land und Wasser zwar durch eine Mauer getrennt, doch die Gastronomie macht aus der Not eine Tugend: Nicht umsonst nennt sich die Meile Balkon, von dem aus man auf das Wasser schauen kann. Der Oberbürgermeister Johannes Fridrich hält den Beschluss für wichtig, damit Nürtingen nicht zur Schlafstadt verkommt.
Der Lindenplatz in Untertürkheim
Kleiner Trost für Esslingen: Auch in Stuttgart tut man sich schwer. Beispiel Untertürkheim, nur wenige Kilometer vom westlichen Ortsausgang Esslingen entfernt. Hier herrscht – wie in Esslingen – noch das Ambiente der Weinberge vor. Doch bei der Integration des Neckars tut man sich schwer. 2017 sollte die Umgestaltung des Lindenschulviertels beginnen. Ein „Erlebnisort von besonderer Qualität am Neckar“ wurde versprochen. Mit einer „kommunikationsfördernden Gestaltung soll sich der Lindenplatz zu einem beliebten Treffpunkt und sozialen Mittelpunkt im Lindenschulviertel und darüber hinaus entwickeln“, heißt es in einem Masterplan „Landschaftspark Neckar in Stuttgart – Stadt am Fluss“.
Der Hechtkopf in Bad Cannstatt
In dem Plan stehen viele Vorschläge, die etwas weiter flussabwärts, in Bad Cannstatt, ebenfalls auf offene Ohren trafen. Auch hier gab es schon Ideen, aber auch hier ist viel Wasser den Neckar hinabgeflossen, ohne dass viel geschah. Zum Beispiel am Hechtkopf, einer Landzunge nahe der Reinhold-Maier-Brücke. In den Plänen taucht eine „multifunktional nutzbare Terrasse“ auf, von der aus man über Treppen auf eine untere Ebene direkt ans Ufer gelangt. Dann wird die Beschreibung fast schon romantisch: „Die ökologisch wie visuell aufgewertete Flachwasserzone mündet in der Inselspitze, die den Höhepunkt des umgestalteten Hechtkopfs bildet. Ein Podest mit attraktiven Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten bietet, umgeben vom Wasser, einen beeindruckenden Blick über den Neckar auf die berühmte Stuttgarter Weinlage Cannstatter Zuckerle.“ Doch der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit könnte kaum krasser sein.
Wie Flüsse – auch schiffbare – wieder in den Lebensraum der Menschen integriert und zum Erlebnis werden können, zeigen Orte an anderen Flüssen. Berlin ist mit der Spree und den Kanälen ein Musterbeispiel, wie aus wenig viel gemacht werden kann; man kann auf Booten und Pfahlbauten am Fluss sitzen und die Atmosphäre genießen.
Viele Mosaiksteinchen machen ein Ganzes
Doch so weit muss man gar nicht reisen, wie Nürtingen zeigt; und das nicht nur mit dem Stadtbalkon. Der Forschungsverbund Urbane Gewässer listet Nürtingen als ein Beispiel auf, das „die verschiedenen Aspekte eines nachhaltigen Umgangs mit urbanen Gewässern und der Einbindung in den Stadtraum“ erfolgreich in die Praxis umgesetzt habe. Der Stadtbalkon ist hier gar nicht erwähnt, wohl aber das Wehr, das für Fische lange Zeit unüberwindbar war. Nürtingen baute den Fischen einen Aufsteig, stellte ein paar Sitzsteine hin und legte einem Zugang zur Fischtreppe. Keine große Sache, aber viel mehr Flusserlebnis in der Stadt.
Der Neckar
Geografie
Der Neckar entspringt in der Nähe von Villingen-Schwenningen auf einer Höhe von 700 Metern. Er legt auf seinem Weg gen Norden mehr als 360 Kilometer zurück und mündet auf einer Höhe von 100 Metern bei Mannheim in den Rhein. Im Landkreis Esslingen durchfließt er unter anderem Nürtingen, Wendlingen/Köngen, Plochingen und Esslingen.
Nutzung
Im Bewusstsein der Menschen ist der Neckar insbesondere ab Plochingen in erster Linie ein nützlicher Fluss mit insgesamt vier Häfen. Der erste liegt in Plochingen – ab hier können Frachtschiffe fahren. Weitere Häfen liegen in Stuttgart, Heilbronn und Mannheim. Die Wasserstraße ist rund 200 Kilometer lang. Baden im Neckar wird geduldet, ist aber an vielen Stellen gefährlich und verboten. Auch aus Gesundheitsgründen wird häufig davon abgeraten, im Neckar zu baden. Ausflugsziele, Wander- und Fahrradwege gibt es viele entlang des Neckars, allerdings tun sich die Städte Stuttgart und Esslingen schwer damit, den Neckar auch als Erlebnisraum für die Bewohner umzugestalten.