Neue Intensität: „Anbetung“ von Albrecht Altdorfer. Foto: Städel-Museum

Im frühen 20. Jahrhundert gefeierte Kunststile wie Expressionismus und Neue Sachlichkeit haben 400 Jahre zuvor beachtliche Vorläufer – die Künstler der Donauschule. Ihre Werke sind zum Teil in einer Ausstellung des Frankfurter Städel-Museums zu sehen.

Wille zum Ausdruck

Als in den Jahren um 1500 in Europa das Mittelalter zu Ende ging und die Epoche der Neuzeit anbrach, wagte eine Gruppe von Künstlern, die hauptsächlich in den Städten entlang der Donau arbeiteten, sensationell Neues: Maler und Bildschnitzer setzten sich über die tradierten künstlerischen Konventionen der Gotik hinweg, plötzlich war nicht mehr das Ideal der harmonischen Wiedergabe einer gottgegebenen Ordnung das Maß aller Dinge, vielmehr schufen nun Künstler wie Albrecht Altdorfer, Wolf Huber oder der Passauer Bildschnitzer Meister IP ausdrucksstarke Bildwerke voll expressiver Drastik und innovativer Exzentrik.

Diese lose Gruppe von Künstlern, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu neuen formalen und inhaltlichen Ufern aufbrach, wird mit dem etwas unpräzisen Begriff der „Donauschule“ bezeichnet. Die Protagonisten dieser künstlerischen Avantgarde lassen sich zwar ebenso wenig räumlich auf die Donauregion eingrenzen wie zwischen ihnen auch ein erkennbares Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht feststellbar ist, doch ist ihnen allen ein, auch für den heutigen Betrachter, atemberaubender Wille zur hochindividualisierten Ausdruckskunst zu bescheinigen, eine extreme Emotionalität bildnerischen Ausdrucks, der so erst wieder im 20. Jahrhundert erreicht wurde.

Dürer als Neuer Wilder

Die letzte umfassende Ausstellung, die sich mit der Kunst der Donauschule beschäftigte, fand vor 30 Jahren in Paris statt, nun nimmt sich das Frankfurter Städel-Museum der Neuen Wilden des 16. Jahrhunderts an. In Frankfurt werden rund 120 Kunstwerke – Gemälde, Skulpturen, Druckgrafik, Handzeichnungen und illuminierte Bücher – zu einem beeindruckenden Panorama einer Epoche des Umbruchs versammelt.

Ausgangspunkt der Präsentation ist die überragende Künstlerpersönlichkeit Albrecht Dürers. Somit knüpft die Ausstellung an die Dürer-Schau im Städel-Museum des vergangenen Jahres an. Dürer war der Impulsgeber der mitteleuropäischen Kunstentwicklung um 1500, er hatte das Tor zur Renaissance nördlich der Alpen aufgestoßen. Während jedoch der große Nürnberger dem aus Italien geprägten Ideal der klassischen Schönheit verbunden blieb, versuchten sich Neuerer wie Wolf Huber (um 1485–1553) an der Neuinterpretation alter Motive, die nun grundlegend anders gestaltet wurden.

Hubers acht Bildtafeln des Annenaltars aus Feldkirch von 1521 illustrieren oft erzählte Episoden des Neuen Testaments. Huber gestaltete die Gemälde jedoch in einem virtuosen Wechselspiel monumental aufgefasster Figurengruppen und weiter, stimmungsvoll ausgeleuchteter Landschaftsräume. Das biblische Personal seiner Bilder leuchtet in delikat changierendem Kolorit, die Heiligkeit des Geschehens wird durch ein subtiles, die Gegenwärtigkeit göttlicher Macht symbolisierendes Licht zum Ausdruck gebracht. Zehn Jahre zuvor rang Albrecht Altdorfer (um 1480–1538) der im Mittelalter omnipräsenten Gestalt des heiligen Christophorus in einer Federzeichnung (Hamburger Kunsthalle) eine neuartige Gestaltung ab, indem er die riesenhafte Figur des Trägers Christi aller unnötiger Zutaten entledigte und sie monumental in eine heroisch empfundene Landschaft stellte.

Den Menschen im Blick

Die Darstellung des Menschen nimmt innerhalb der revolutionären Bildsprache der Meister der Donauschule zentrale Bedeutung ein. Der am Hof des Passauer Fürstbischofs in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts tätige Bildschnitzer, der nur durch sein Monogramm IP zu benennen ist und der in Frankfurt mit bedeutenden Bildwerken prominent vertreten ist, schilderte den leidenden Hiob auf einem Relief von 1530 (Kunsthistorisches Museum, Wien) mit drastischer Detailtreue als einen Menschen in schlimmem Elend, krank und von der Gesellschaft verspottet, wobei der Künstler jene, die den Geplagten beschimpfen, mit großer Bandbreite individuell herausgearbeiteter Bosheit darzustellen versteht.

Ebenso drastisch interpretiert ein unbekannter, vermutlich süddeutscher Bildschnitzer den heiligen Sebastian (Liebighaus, Frankfurt), dessen verbogener, verdrehter Körper die Disproportion seiner Gliedmaßen und die groteske Deformation seiner Gestalt die emotionale Wucht seines Martyriums zum visualisierten Ausdruck des Schmerzes bringt.

Malerei als Drama

Ein bereits jahrhundertelang in der Kunst des Mittelalters abgebildetes Motiv wie die Kreuzigung Christi wird von den Künstlern der Donauschule durch aufregend andere formale Lösungen neuartig gestaltet. Während der Meister von Meßkirch (Sammlung Würth, Schwäbisch Hall) das zentrale Kreuz mit dem sterbenden Jesus nur leicht schräg in den Bildraum stellt, bediente sich der aus Landshut stammende Georg Lemberger (um 1490–um 1545) einer kompositorischen Drehbühne, indem er die Kreuzigung aus einem seitlichen Blickwinkel, gewissermaßen aus der Sicht eines der Schächer, dramatisch in Szene setzt.

Wolf Huber schließlich verbannt den Richtplatz zu Golgatha an den äußersten Rand einer groß empfundenen Landschaft von 1530 (Erlangen, Graphische Sammlung). In seinem delikat ausgeführten Aquarell ist die Etablierung der Landschaft als alleiniges Bildmotiv so gut wie vollzogen, Albrecht Altdorfer gilt dann als jener Künstler, der erstmals eine autonome Landschaft geschaffen hat. Seine „Landschaft mit Burg“ (Alte Pinakothek, München) von 1520/30, die an der Donau bei Wörth lokalisiert werden kann, ist ein Meilenstein der abendländischen Malerei und lohnt allein den Besuch der Schau. Altdorfers Interpretation des Naturraums schwankt zwischen einer an der Wirklichkeit orientierten Abbildlichkeit und der ausdruckshaften Übersteigerung der Realität. Dies gilt in noch höherem Maße für Altdorfers Landschaftszeichnungen wie seiner „Ansicht von Sarmingstein“ von 1511 (Budapest, Graphische Sammlung), in der die Donauansicht zu einer hochexpressiven Stimmungslandschaft überformt wird.

Frühe Radikalität

Das Potenzial der expressionistischen Kunst des 20. Jahrhunderts wird durch die formalen Exzesse der Künstler der Donauschule relativiert. Wenn Altdorfer in seiner Grablegung Christi von 1518 (Kunsthistorisches Museum, Wien) dem Betrachter die schmutzigen Füße Jesu mit unbarmherziger Penetranz vor Augen hält, während Maria als grotesk verzeichnete Schmerzensfigur die Passion ihres Sohnes drastisch vermittelt, schöpfte er das formale und gestalterische Repertoire expressiver Interaktion zwischen Bild und Betrachter bereits voll aus. In Altdorfers „Geburt Christi“ von 1511 (Berlin, Gemäldegalerie) versteckt er das heilige Ereignis in einer Ruinenlandschaft, welche die veristische Tristesse neusachlicher Trümmerwelten vorwegnimmt.

Fantastische Welten

Der heilige Thomas aus dem Güstrower Apostelzyklus, den der aus Lübeck stammende Bildschnitzer Claus Berg (um 1475– 1535) in seinem letzten Lebensjahr geschaffen hat (aus dem Dom zu Güstrow), ist eine hochdramatisch gestaltete Gewandfigur. Noch übertroffen wird Berg vom Meister des Zwettler Hochaltarretabels, dessen Relief mit den Zwölf Aposteln von 1516–25, das aus dem mährischen Adamsthal/Adamov bei Brünn/Brno angereist ist. Hier hat ein Bildschnitzer eine rauschhafte Ekstase wild wuchernder Formen erfunden, hat Bärte und Gewänder, knochige Finger und groteske Gesichter in einem wilden Strudel sich verschlingender Details zusammenfügt. Der Zwettler Meister zeigt die Welt als einen Raum des Fantastischen.