Weil Konzerte im Saal coronabedingt nur schwer zu realisieren sind, geht die Stadtkapelle Esslingen-Musikverein RSK auf die Straße.
Landauf, landab tun sich Musikvereine und Orchester in diesen Zeiten schwer, zu proben und ihr Können vor Publikum zu präsentieren. Abstandsregeln und der Wunsch, im Ensemble zu musizieren, sind oft nicht richtig kompatibel. Da müssen sich Vorstände und Dirigenten etwas einfallen lassen. Die Stadtkapelle Esslingen-Musikverein RSK ist um unkonventionelle Konzepte selten verlegen. Weil das Publikum in Corona-Zeiten nicht wie gewohnt zu den Musikern kommen kann, gingen die Musiker eben zu ihren Zuhörern: Einen Samstagvormittag lang zogen Stadtkapellmeister Michael Unger und sein Ensemble in wechselnden Besetzungen durch die Innenstadt, um die Esslinger mit sommerlich-unterhaltsamen Melodien zu überraschen. Die Aktion kam so gut an, dass Unger und der Vereinsvorsitzende Thomas Ertel bereits über eine Fortsetzung nachdenken.
Die Stadtkapelle Esslingen – Musikverein RSK hat sich rasch auf die neue Situation in Corona-Zeiten eingestellt. „Anfangs war das schon recht schwierig“, erinnert sich Unger. „Einige Zeit ging im direkten Kontakt gar nichts, dann konnten wir im Hof des Bürgerhauses zumindest in Vierergruppen proben, inzwischen gilt der Zwei-Meter-Abstand zwischen den Musikern. Solange das Wetter mitspielt, ist das Proben im Freien kein Problem, auch wenn das Klangerlebnis aus Musikersicht ein anderes ist. Wie es im Herbst und Winter weitergeht, müssen wir sehen. Die ständig wechselnden Bedingungen machen es nicht leichter. Man muss für jedes Szenario ein Konzept in der Hinterhand haben, um rasch auf neue Rahmenbedingungen reagieren zu können.“
Doch mit Proben allein ist es nicht getan. „Musiker brauchen Ziele und Perspektiven, auf die sie hinarbeiten können“, weiß Michael Unger. „Auftritte sind für die Motivation und den Zusammenhalt sehr wichtig.“ Ein großes Ziel ist das alljährliche Galakonzert Ende November im Neckar Forum – dort bietet die Stadtkapelle zusammen mit einem Gastensemble konzertante Blasmusik auf hohem Niveau. Was in diesem Jahr möglich sein wird, wird ganz wesentlich von den dann geltenden Corona-Regeln abhängen. Vorsorglich hat der Stadtkapellmeister bereits einen „Plan B“ in der Hinterhand: „Wenn wir dann nicht mit dem großen Orchester auftreten können, bilden wir eben kleinere Ensembles. Wer einen guten Unterricht genossen hat, kann das meistern.“
Entscheidend ist für Thomas Ertel ohnehin, gerade in diesen Zeiten Präsenz zu zeigen: „Das ist ein wichtiger Teil unseres Konzepts. Wir treten ansonsten beim Bürgerfest auf, und wir sind beim Kulturfest ‚Stadt im Fluss' dabei. Mit solchen Auftritten wollen wir nicht nur unsere musikalische Vielseitigkeit unter Beweis stellen, sondern auch mit Leuten in Kontakt kommen, die wir mit unseren Konzerten vielleicht gar nicht erreichen.“ So hat Michael Unger immer mal wieder Verstärkung für seine Stadtkapelle gewonnen: „Manchmal bleiben Leute dann stehen, kommen mit uns ins Gespräch und erzählen, dass sie selbst ein Instrument spielen. Der eine oder andere kommt dann in unsere Proben und macht im Orchester mit“, erinnert sich der Vereinsvorsitzende, der nicht zuletzt an Studenten denkt, die während ihrer Zeit an der Esslinger Hochschule in der Stadtkapelle mitwirken.
Doch in diesem Jahr gab’s kein Bürgerfest, und die nächste Auflage von „Stadt im Fluss“ steht erst 2021 an. Deshalb musste die Stadtkapelle über andere Formate nachdenken und dabei auch unkonventionelle Wege gehen. Mal allein mit dem Trompetensatz, mal mit dem Holzbläsersatz und mal in größerer Besetzung zogen Unger und seine Musiker an einem Samstagvormittag in gebührendem Corona-Abstand durch die Innenstadt, um die Esslinger mit sommerlich-leichten Melodien zu überraschen. Nach einem kleinen Konzert auf dem Rathausbalkon ging’s weiter zum Platzkonzert vors Alte Rathaus, von dort zum Athleteneck und schließlich weiter zum Schelztorturm. „Das war eine unheimlich gute Sache“, resümiert Thomas Ertel. „Die Leute freuen sich, wenn sie beim samstäglichen Stadtbummel etwas geboten bekommen. Und die Musiker haben Spaß und spüren am Applaus, dass ihre Arbeit erfolgreich ist. Wenn man sieht, wie zwei Paare spontan zu unserer Musik tanzen oder wenn man hört, wie eine Mutter im Publikum ihrer Tochter erzählt, dass sie selber mal Klarinette gespielt und durch uns wieder richtig Lust bekommen hat, ihr Instrument auszupacken, ist das ein tolles Gefühl. Solche Erlebnisse setzen ganz neue Energien frei.“ Und das nicht nur bei den Musikern, sondern auch beim Publikum, wie Ertel zufrieden feststellen konnte: „Viele sind spontan auf uns zugekommen und meinten: „Endlich wieder Leben, endlich wieder Musik.“
Für viele der Musikerinnen und Musiker waren es ganz neue Erfahrungen. „Es ist ein Unterschied, ob man im Orchester direkt neben dem Kollegen steht oder mit zwei Metern Abstand. Das macht den Blickkontakt viel schwieriger“, erklärt Michael Unger, der sich auch als Dirigent auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen musste. „Da spielt jeder Musiker eher für sich. Das hat aber auch Vorteile. Das Selbstbewusstsein wird gestärkt, weil jeder viel mehr Verantwortung übernehmen muss.“ Doch Ungers Erfahrungen mit der kleinen Straßenmusik-Tournee durch die Esslinger City waren durchweg positiv: „Wir haben etwas Neues ausprobiert und könnten uns gut vorstellen, dass auch andere diesem Vorbild folgen werden. Wir werden auf jeden Fall weitermachen.“