Zum richtigen Umgang mit Computerspielen bei Kindern gehören laut Experten auch eingeschränkte Nutzungszeiten. Foto: Daniel Gläßer

In der Stadtteilbibliothek lernen Kinder den maßvollen Umgang mit Spielkonsolen.

Zuffenhausen - Auf einem Tisch inmitten des Raums steht eine weiße Nintendo Wii-Konsole. Dutzende Spiele liegen daneben, zu zwei Türmen gestapelt. An der Wand flimmert ein riesiges Fußballfeld. Super Mario, der Held aus vielen Computerspielen, wird in Großaufnahme gezeigt. In Zeitlupe zieht er sein rechtes Bein zurück: für Nintendo-Spieler Nico das Zeichen, die Fernbedienung in seiner Hand ruckartig nach unten zu ziehen. Durch diese Bewegung tritt die virtuelle Spielfigur mit der roten Mütze mit aller Kraft gegen den Ball – Tor! Ein paar Kinder, die das Spiel gebannt verfolgen, springen von ihren Sitzen auf. Unter dem Motto „Konsolen, Games und mehr“ hat die Zuffenhäuser Stadtteilbibliothek Kinder ab elf Jahren zum kollektiven Computerspielen in das Lernstudio eingeladen. Mehr als zehn Schülerinnen und Schüler sind dem Aufruf gefolgt und verwandelten den Gruppenraum, in dem ansonsten fleißig gelesen und gebüffelt wird, am Mittwochnachmittag in ein echtes Zockerparadies.

Damit das Paradies nicht zu einer rechtsfreien Zone wird, werden die Kinder von einer Medienspezialistin betreut. Die 29-jährige Yildiz Akyol, Fachkraft für Medien und Kommunikation, kennt die Gefahren, die Spielkonsolen insbesondere für Kinder bergen: Zwar werden Ballerspiele und gewaltverherrlichende Simulationen in Deutschland von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) geprüft und meist erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben; doch immer wieder werden Fälle bekannt, in denen sogar deutlich jüngere Kinder an solcherlei Spiele gelangen. „Deshalb wird der Jugendschutz bei uns strikt kontrolliert und eingehalten“, sagt Akyol. Tatsächlich finden sich unter den zahlreichen Nintendo-Spielen vor allem gewaltfreie Klassiker wie „Super Mario Brothers“ oder das bewegungsintensive „Wii Party“.

Abhängig wird hier niemand

Die elf Jahre alte Anna ist mit der Spieleauswahl zufrieden. Sie ist Super-Mario-Fan. Für die Schülerin ist die Computerstunde Belohnung nach einem harten Unterrichtsjahr: „Ich musste so viele Hausaufgaben machen, dass ich erst jetzt, in den Ferien, Zeit für so etwas habe“, sagt sie. Besonders gefällt ihr, dass sie mit anderen Kindern im Team spielen kann. Und dass die Betreuerin sogar bei kniffligen Rätseln in den Spielewelten weiterhelfen kann.

Nach einer Stunde und Dutzenden gespielten Duellen schaltet Betreuerin Akyol die Konsole aus. „Es reicht“, sagt sie freundlich. Das Ferienprogramm setzt auf dosiertes und altersgerechtes Spielen in Maßen. Abhängig wird hier niemand.

Vor allem Männer sind süchtig

Dass Eltern und Angehörige den Computerspielkonsum von Kindern und Jugendlichen aber nicht immer kontrollieren oder kontrollieren können, weiß Kai Müller. Der Diplom-Psychologe erforscht seit mehreren Jahren das Störungsbild Computerspiel- beziehungsweise Internetsucht. In der Ambulanz für Spielsucht an der Universitätsmedizin der Universität in Mainz, der ersten ambulanten Therapiezentrale für jene Süchte in Deutschland, behandelt er auch Patienten. Müller geht davon aus, dass 1,5 bis 2 Prozent aller Deutschen süchtig nach Computerspielen sind; darunter vor allem Männer und männliche Jugendliche.

„Computerspielsucht ist kein Randphänomen mehr“, sagt er. So seien inzwischen etwa genauso viele, eher aber noch mehr Menschen süchtig nach Computerspielen, als es etwa Patienten mit einer Essstörung gebe. Computerspielsüchtige suchten häufig eine Parallelwelt aufzubauen, innerhalb der sie psychische Probleme wie Depressionen oder soziale Ängste kompensieren können. Bei „World of Warcraft“, einem Online-Rollenspiel, für das die Nutzer monatlich sogar ein Entgelt zahlen müssen, ließen sich zum Beispiel Charaktere gestalten, mit denen rasch virtuelle, aber als real empfundene Erfolge erzielt werden können. Ungestillte Bedürfnisse könnten so befriedigt werden – genau deshalb bergen solche Spiele Suchtpotenzial. Zudem können Spieler in Online-Spielen mittels Chats oder Gruppenspielen unvermittelt soziale Kontakte zu anderen Spielern aufbauen.

Spiele finden im sozialen Kontext statt

Ängste können in der Anonymität des Internets verringert und sogar kompensiert werden“, sagt Müller. Von Konsolen wie Nintendo Wii oder Playstation ginge indessen weniger Suchtgefahr aus. Wii etwa sei von Grund auf so konzipiert, dass die Spiele in einem sozialen Kontext stattfinden – sprich: zu mehreren. „Dadurch ist die Gefahr einer Vereinsamung, wie vor dem PC, nicht gegeben.“ Trotzdem behandelt er auch hin und wieder Playstation oder X-Box-abhängige Patienten.

Nicht immer ist es für Eltern und Angehörige einfach, überhaupt zu erkennen, dass ein Kind süchtig zu werden droht oder es schon ist. Müller zufolge gibt es aber Indizien, die für eine Abhängigkeit sprechen: Etwa, wenn der Betroffene über einen längeren Zeitraum – mindestens zwölf Monate – mehrere Stunden am Tag spielt. Dabei verlieren die Spieler oft die Kontrolle über ihr Nutzungsverhalten: Sie halten Termine nicht ein, vergessen, die Hausaufgaben abzugeben und nehmen hierfür auch negative Konsequenzen in Kauf. Viele Süchtige empfänden einen unwiderstehlichen Drang zu spielen, und bekämen bei Verzicht Entzugserscheinungen; sie werden reizbar oder depressiv, haben Schlafstörungen, so der Psychologe.

Kein PC im Kinderzimmer

Da der Spielekonsum bei Kindern oft schwierig zu kontrollieren ist, hat Müller für Eltern einige Tipps parat: Während der Kindheit sollte der PC nicht unbedingt im Kinderzimmer stehen. Für das Spielen in einem separaten Raum empfiehlt der Experte sogenannte Nutzungsverträge. In diesen wird für einen bestimmten Zeitraum festgelegt, wie viele Stunden pro Woche gespielt werden darf. Für die Unterzeichnung des Vertrags bekommt das Kind im Gegenzug ein Zugeständnis: Während der Spielzeit dürfen die Eltern es nicht mit anderen Aufgaben, etwa im Haushalt, behelligen. Die Vereinbarung zwischen den Kindern in der Zuffenhäuser Bibliothek und der Betreuerin, das Spielen auf eine Stunde zu beschränken, ist demzufolge pädagogisch sehr sinnvoll.

In Verdachtsfällen sollten Eltern schnell handeln. Sie können sich an eine spezialisierte Beratungsstelle wenden oder bei gratis Hilfe-Hotlines anrufen.