Party und Müll sind zwei Seiten derselben Nacht. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle, und ihr Mann Michael machen Gäste aus der Region für Müll und Lärm verantwortlich und ziehen drastische Vergleiche.

Stuttgart - Die Kritik der Bewohner der Stuttgarter Innenstadt am Verhalten mancher Personen, die aus dem Umland in die Landeshauptstadt kommen, um dort zu feiern, wird immer lauter. Vor allem die Hinterlassenschaften der meist jugendlichen Besucher stört die Anwohner der Innenstadtbezirke. „Unsere Aufgabe besteht darin, alle Menschen willkommen zu heißen, aber nicht jede Verhaltensweise zu ertragen“, sagte die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle (Grüne), im Interview mit dem Innenstadtteil von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Zwar seien sich die Bewohner der City bewusst, dass sie „immer auch Gastgeber“ seien. „Aber manchmal würden wir auch gerne die Tür ein wenig schließen und den Leuten sagen: Eure Erwartungen überfordern uns“.

Ihr Mann Michael Kienzle, der fast dreißig Jahre für die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat saß und Vorstand der in der Innenstadt beheimateten Stiftung Geißstraße 7 ist, wurde in dem Gespräch noch deutlicher. Die Zustände, die er in der Innenstadt bisweilen vorfinde, erinnerten ihn an die Flüchtlingsdebatte: „Da fragt man sich auch, wie viele Gäste man aushält.“ Im Vergleich zu „den Tagesbesuchern aus der Region“ funktioniere das Zusammenleben mit den Asylbewerbern, die sich integrieren wollten, gut. „Die meisten Flüchtlinge wollen hier leben. Deswegen pinkeln sie auch nach dem vierten Bier nicht einfach an einen Baum und fahren danach nach Hause“, sagte der promovierte Literaturwissenschaftler. Mit Personen, die das tun, komme man dagegen nicht ins Gespräch: „Die leiden unter einer sozialen Dissoziation.“

Alltäglicher Zustand, der durch das Freizeitverhalten entsteht

Mit dem psychologischen Fachbegriff, der unter anderem Wahrnehmungsstörungen beschreibt, wolle er keineswegs alle Menschen beleidigen, die aus den umliegenden Landkreisen nach Stuttgart kämen, sagte der 71-jährige Kienzle. Er beschreibe lediglich „einen alltäglichen Zustand, der durch das Freizeitverhalten junger Leute entsteht“. Man ertrage es zwar, „wenn der Nachbar an einem Abend zu viel getrunken hat und deswegen randaliert. Wenn das aber jeden Abend vorkommt, geht es nicht mehr“.

Besondere Brisanz erhält die Kritik der seit 25 Jahren miteinander verheirateten Grünen-Politiker durch die hauptamtlichen Funktionen, welche die beiden bekleiden. Veronika Kienzle arbeitet als Referentin der für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung zuständigen Staatsrätin Gisela Erler im Staatsministerium, ihr Mann Michael ist der oberste Redenschreiber von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Schlossgarten als öffentliche Toilette missbraucht

Mit seiner Klage ist das prominente Ehepaar nicht alleine. „Wir sind lange schon mit diesem Thema beschäftigt“, sagt auch Christian Hermes. Das Verhalten der Feiergäste habe unschöne Formen angenommen, der Schlossgarten werde als öffentliche Toilette missbraucht, sagt der katholische Stadtdekan, dessen Hauptquartier direkt an der Königstraße liegt. Auch dort habe man mit Wildpinklern zu kämpfen. Die ganze Schuld möchte er aber nicht auf die Gäste verlagern– sondern auch in Richtung Stadtverwaltung. „Wir brauchen in der Stadt einfach mehr öffentliche Toilettenanlagen“, sagt Hermes. So könne dem Problem zumindest ein Stück weit entgegen gewirkt werden.

Auch das Müllaufkommen hat rund um die Königstraße zugenommen. „Die Getränke in der Gastronomie sind teurer geworden, die Leute treffen sich vermehrt vor den Clubs und glühen vor“, berichtet Axel Steinbeck vom Club Schräglage in der Innenstadt. Da blieben Flaschen oftmals an vielen Ecken stehen. Er könne die Ansicht der Kienzles durchaus nachvollziehen. „Natürlich wäre es schön, wenn alle Leute ihren Müll aufräumen oder wieder mitnehmen würden“, sagt Steinbeck. Andererseits sei es gut, dass immer mehr Menschen aus der Region nach Stuttgart kommen. Die Großstadt sei attraktiver geworden, die Clubszene vielfältiger – genauso wie der Handel, der die Menschen in die City zieht. „Nach einer langen Shoppingnacht, nach dem Weihnachtsmarkt oder nach einem normalen Samstag sieht es auf der Königstraße auch nicht mehr gut aus“, betont Steinbeck.

An einem Wochenende entstehen elf Tonnen Müll

Der städtische Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart hat dazu genaue Zahlen: In der Zeit von Frühjahr bis Herbst ist die Verunreinigung insgesamt höher, in der Innenstadt speziell an den Wochenenden. An einem Wochenende von Freitagnacht auf Sonntagmorgen entsorgen die Mitarbeiter auf den Straßen der Innenstadt eine durchschnittliche Müllmenge von rund elf Tonnen. Das jährliche Müllaufkommen in der Stadt ist laut Statistik aber nur geringfügig gestiegen – von rund 5700 Tonnen im Jahr 2011 auf etwa 5900 Tonnen im Jahr 2015.

Ob dafür die Stuttgarter oder die Menschen von außerhalb verantwortlich sind, ist fraglich. Erhebungen gibt es dazu nicht. „Wir können nicht feststellen, dass Partygänger aus der Region mehr Müll oder Lärm machen als die Stuttgarter“, heißt es im Rathaus.

Auch die Clubbetreiber machen da keinen Unterschied: Wer sich vor der Tür daneben benimmt, kommt nicht rein. „Wir sind kein Halligalli-Schuppen“, erklärt Schräglage-Betreiber Axel Steinbeck. Und auch Andreja Maros vom Kottan am Hans-im-Glück-Brunnen fährt diese Linie. Vor allem während der Wasenzeit bleibt sie, wie viele andere Clubbetreiber in der Innenstadt, streng. „Trachtenträger dürfen nicht ins Kottan“, erzählt sie entschlossen.

Das komplette Interview mit Veronika und Michael Kienzle lesen Sie im Innenstadtteil von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten.