Eine Verschönerungskur hat die Stadt Esslingen ihrem Marktplatz verordnet. Bis zum Stadtjubiläum in zwei Jahren soll der zentrale Platz in der Altstadt saniert werden. Ein sportliches Programm, an dessen Umsetzung es beim Altstadtviertele viel Kritik gab.
Esslingens Herzstück jagte den Pulsschlag manches Besuchers nach oben: Über die Neugestaltung des Marktplatzes bis zum Stadtjubiläum 2027 wurde beim Altstadtviertele heftig mit Herzblut debattiert. Kritik gab es bei dem offenen Bürgertreff im Alten Rathaus zudem an der Informationspolitik der Stadt und der Abwesenheit von Baubürgermeister Hans-Georg Sigel. Trotz Einladung hatte er seine Teilnahme aus Termingründen abgesagt.
Geschichte am Boden – warum nicht? Die Historie des Marktplatzes solle nach seiner Neugestaltung in seiner Asphaltierung und seinem Belag erkennbar sein, forderten Stimmen aus dem Publikum beim Altstadtviertele. Der Marktplatz könne so zu einer Art historischem Showroom werden. Denn er sei ein Geschenk der Geschichte an die Stadt, meinte Architekt und Besucher Heinz Springmann – und diese Geschichte müsse auf dem Areal ablesbar sein. Es könnten doch Stückchen aus dem bisherigen Asphalt genommen und damit die Umrisse des früheren Katharinenspitals nachgezeichnet werden, schlug Zuhörerin Hilde Beck vor.
Denn das Hospital war etwa 600 Jahre lang bis zu seinem Abriss zwischen 1811 und 1817 die bestimmende Einrichtung auf dem Areal gewesen. Nach Recherchen von Christine Keinath, einer Referentin des Abends, hatte das Spital Besitzungen in über 100 Orten gehabt. Die wohlhabende Einrichtung verfügte somit über ausreichende finanzielle Mittel für eine rege Bautätigkeit, sodass seine Gebäude die gesamte Fläche des heutigen Marktplatzes einnehmen konnten.
Renaissance der Esslinger Spitalkirche
Moderatorin Christel Köhle-Hezinger ging noch einen Schritt weiter. Der geschichtsträchtige Marktplatz sei mehr als nur die „gute Stube der Stadt“. Nicht allein die Konturen des Spitals, sondern auch der Verlauf wichtiger Handelsstraßen, die hier einst zusammenliefen, könnten mit Hilfe von Metallbändern oder Steinchen auf dem Belag nachgestellt werden. Die Spitalkirche, die vor dem früheren Wäschemoden-Geschäft Mehl am Marktplatz 24 gestanden habe, könne zudem in ihren ursprünglichen Ausformungen so wieder aufleben: „Wir wollen Geschichte zum Sprechen bringen.“
Die Sprache verschlug es dagegen vielen Besuchern des Altstadtvierteles bei dem Gedanken an den Belag, der im Zuge der Sanierung auf dem Marktplatz angebracht werden soll. Sorgen darüber, ob die hellbeige Farbgebung zur Umgebung passe, historisch vertretbar sei oder das Erscheinungsbild beeinträchtige, wurden laut. Markus Numberger, Bauforscher und Mitglied des Bürgerausschusses Innenstadt, verwies auf ein Gespräch mit Hans-Georg Sigel: Der Baubürgermeister habe zugesagt, dass es auf dem Marktplatz eine kleine „informelle Musterfläche“ mit dem neuen Belag zu Anschauungszwecken geben werde.
Musterfläche für Belag auf Marktplatz
Auf einem Areal von etwa 20 Quadratmetern solle der für die Neugestaltung vorgesehene Asphalt ausgelegt werden, damit sich die Bürger ein Bild davon machen könnten. Einflussmöglichkeiten gebe es indes nicht mehr, so Numberger: „Die Einwohner können sich den Belag anschauen, ändern können sie daran aber nichts mehr.“ Er forderte die etwa 70 Besucher im Bürgersaal des Alten Rathauses dennoch auf, sich mit Kritik, Meinungen und Haltungen an die Stadtverwaltung zu wenden: „Schreiben Sie auch Leserbriefe!“
Denn die Informationspolitik der Stadt brachte die Besucher an diesem Abend in Wallung. Christel Köhle-Hezinger beklagte den viel zu kurzen Zeitraum zwischen der Vorstellung der Pläne für die Neugestaltung des Marktplatzes und der Abstimmung im Gemeinderat. Eine Frist von nur wenigen Tagen sei zu kurz für eine angemessene Reaktion gewesen. Eine Entscheidungsfindung so schnell nach der Information der Bürger sei kein Dialog zwischen Stadt und Einwohnern, sondern gleiche einem städtischen Monolog, prangerte der Stadtrat Hermann Beck aus dem Publikum an.
Der Marktplatz und der Weihnachtsmarkt in Esslingen
1990 war das anders gewesen. Da hatte die Stadt laut Christine Keinath einen Ideenwettbewerb ausgelobt: 50 Architekturbüros hätten Entwürfe zum Marktplatz eingereicht, die unter Beteiligung der Bevölkerung diskutiert worden seien. Einige der Entwürfe hatten eine Bebauung des Marktplatzes wie zu Zeiten des Katharinenspitals vorgesehen.
Diese Ideen wurden in den 1990er Jahren nicht weiter verfolgt, und auch in allen Redebeiträgen während des Abends wurde der Gedanke an eine Wiederbebauung verworfen. Die Freifläche werde für wichtige Veranstaltungen wie den Weihnachtsmarkt oder das Estival gebraucht, sei ein Treffpunkt für Einwohner ebenso wie für Besucher und werde rege genutzt. Angesichts der Beliebtheit des Platzes sei es bei seiner Sanierung wichtig, so Christine Keinath, neben den Bäumen auch die Sichtachsen mit Blicken etwa auf die Kirchen beizubehalten. Denn der Esslinger Marktplatz ist eines der Herzstücke der Stadt.
Das Altstadtviertele
Bürgerdialog
Bürgerbeteiligung am Beispiel des Esslinger Marktplatzes war das Thema des neunten Altstadtvierteles. Bürgerdialoge sollen nach dem Referat des Kommunikationswissenschaftlers Theo Rombach der Transparenz und Akzeptanz politischer Entscheidungen dienen. Eine Mitsprache der Bürger sei oft nicht möglich. Als Beispiel nannte er den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Sie seien eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Bürger könnten daher zwar ihre Meinung dazu sagen, aber keinen Einfluss nehmen.
Veranstaltung
Das Altstadtviertele unter dem Dach des Geschichts- und Altertumsvereins Esslingen (GAV) versteht sich als offener Bürgertreff. Aktuelle Themen sollen drei bis vier Mal im Jahr immer donnerstags um 19 Uhr im Bürgersaal des Alten Rathauses aufgegriffen, in kurzen Referaten vorgestellt und dann im Plenum diskutiert werden. Die nächsten Termine sind am 3. Juli und am 23. Oktober.