Der Architekt und Städteplaner Franz Pesch ist von der Landschaftstreppe und den Punkthäusern begeistert. Foto: Horst Rudel

Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor. Heute: der Scharnhauser Park in Ostfildern

Ostfildern - Nachdem er seine Gleichgewichtsprobleme überwunden hat, lässt sich Franz Pesch ganz auf den Scharnhauser Park ein. Beim Gang durch das Treppenhaus des zentral in dem Ostfilderner Stadtteil gelegenen Stadthauses könne man angesichts der vielen Schrägen schon ins Schwanken geraten, „wenn man ansonsten rechte Winkel gewöhnt ist“, sagt der bekannte Architekt und Stadtplaner, und er kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Doch auf dem Vorplatz angelangt, dominieren wieder die geraden stringenten Kanten, die die Architektur des erst vor rund 20 Jahren entwickelten Stadtteils bestimmen. Etwa die mehrgeschossigen Punkthäuser der Architekten Kohlhoff und Kohlhoff, die Pesch zufolge mit den ins städtebauliche Konzept eingebundenen ehemaligen Kasernengebäuden ein kräftiges Merkzeichen setzten, gleichzeitig aber auch Bescheidenheit ausstrahlten.

Vor allem bilden sie aber den markanten Abschluss der Landschaftstreppe, bei deren Anblick der 69-Jährige regelrecht ins Schwärmen gerät. Ein „grandioses Ereignis“ sei dieser großzügige abgestufte Park, der auf der anderen Seite den Blick frei gibt auf die Schwäbische Alb. Fast schon empfinde man das Rückgrat des von den Einheimischen liebevoll als Schapa bezeichneten Stadtteils als „barocken Garten mit einer riesigen Weite“, sagt Pesch und berichtet, die Landschaftstreppe falle selbst Passagieren beim Anflug auf den Stuttgarter Flughafen ins Auge. Hier sei ein Freiraumerlebnis geschaffen worden, das von den Bewohnern gerne angenommen werde: „Hier geht man einfach gerne durch“.

Einfamilienhäuser mit Stil

Und im Scharnhauser Park lebt man auch gerne – davon geht Franz Pesch in jedem Fall aus. Zumindest könne er sich „nicht vorstellen, dass hier jemand sagt, er habe ein schreckliches Umfeld“. Das gelte für die Quartiere mit Mehrfamilienhäusern gleichermaßen wie für jene mit Einfamilienbauten auf der anderen Seite der Stadtbahnlinie. In den größeren Wohnblöcken, die die städtische Kante zur Landschaftstreppe bilden, herrsche eine urbane Dichte, die dennoch Klein- oder Mittelstadtambiente zulasse. Lieber sähe er allerdings dezentrale Spiellandschaften für die Kinder anstatt der klassischen Spielplätze.

Auch die ebenerdigen Erdgeschosswohnungen sind nicht unbedingt nach Peschs Geschmack. Hochparterre wäre besser, um eine Distanz zur Öffentlichkeit zu wahren, sagt er und deutet auf zwei rustikale, nicht gerade stimmige Holzelemente, die der Bewohner allzu neugierigen Blicken auf seine Terrasse entgegengestellt hat.

Intimität durch private Gärten

Dass die Einfamilienhäuser auf der anderen Seite der Straße und der Stadtbahnline über eine Tiefgarage verfügen, sei etwas Besonderes, merkt Pesch an. Auch die Aufteilung und Anordnung der Gebäude lobt er. Trotz der Dichte gewährten die privaten Gärten Intimität. „Das hat einfach Stil und ist gut gemacht.“ Wer in einem Block auf der anderen Seite wohne und deshalb keine eigene Grünfläche sein Eigen nennen darf, „kriegt dafür die Weite des Parks“.

Die reinen Funktionsgebäude, in denen beispielsweise der Discounter Lidl seine Waren anbietet oder die Rampe hinauf zum Parkdeck des Real-Markts führt, passten nicht so recht ins Ensemble. „Aber guter Städtebau muss auch mal ein mittelmäßiges Objekt vertragen“, ist Pesch überzeugt.

Preisgekrönte Architektur

Apropos vertragen. Einige Läden oder Cafés mehr, die ihr Ambiente nach außen vermitteln, dürften schon sein. Denn die Belebung breche bisweilen früh ab, „das könnte ich mir hier noch urbaner vorstellen“. Qualität mit Geschäften zu erzielen, „das ist die Kunst“. Denn das vermittle ein Gefühl von Atmosphäre. Das will Pesch nicht als Kritik an der Stadtplanung verstanden wissen. Die Kommunen könnten „100 Flächen für Läden anbieten“ – wenn es dafür keine Interessenten gebe, „dann wird es nichts“. In diesem Zusammenhang hebt er die neue Markthalle als belebendes Element hervor. Ebenso verleihe unter anderem die preisgekrönte, vom Architekturbüro Lederer Ragnarsdóttir Oei entworfene Parkschule dem Stadtteil Charakter.

Die bisweilen geäußerte Kritik, im Scharnhauser Park lebten die Menschen weitgehend anonym, weil es sich nicht um einen gewachsenen, sondern neu geschaffenen Stadtteil handelt, lässt Franz Pesch nicht gelten. Natürlich empfänden die Menschen Altbauten als atmosphärisch, räumt er ein. „Aber auch die alte Stadt war mal neu“, sagt er. Am Ende setze sich die Qualität durch „und man identifiziert sich mit dem Stadtteil, in dem man lebt“.

Vom Königlichen Gestüt zum Lebensraum für 8800 Menschen

Scharnhauser Park
Dort, wo heute der jüngste Ostfilderner Stadtteil beheimatet ist, waren einst das Königliche Privatgestüt Scharnhausen (1817 bis 1927) sowie ein Wehrmachts-Fliegerhorst angesiedelt. Danach waren auf dem 140 Hektar großen Gelände rund 7000 US-Soldaten in der Kaserne „Nellingen-Barracks“ stationiert. Sie zogen im Jahr 1992 ab und zwei Jahre später kaufte die Stadt das Areal vom Bund. Von 1997 an entstanden dort Wohn-, Geschäftsgebäude und öffentliche Einrichtungen. Von 1996 bis 2000 war der Stadtbahnanschluss gebaut worden. Im Jahr 2002 fand die Landesgartenschau dort statt. Vier Jahre später erhielten die Stadt sowie die Planer Alban Janson und Sophie Wolfrum für das international beachtete und ausgezeichnete Projekt den Deutschen Städtebaupreis. Heute leben dort etwa 8800 der rund 39 300 Einwohner der Stadt.

Franz Pesch
Der im Jahr 1947 geborene Franz Pesch studierte Architektur und Städtebau in Aachen. Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent bei Professor Peter Zlonicky an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund. Im Jahr 1981 promovierte er zum Dr.-Ing. für Stadt- und Raumplanung. Ein Jahr später gründete er das Büro pesch partner architekten stadtplaner mit dem Hauptsitz in Dortmund und einer Dependance in Stuttgart. Von 1994 bis 2014 lehrte Pesch als Professor für Stadplanung und Entwerfen am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Pesch ist als Gutachter und Berater im In- und Ausland tätig und hat mit seinem Büro zahlreiche Wettbewerbe gewonnen und Auszeichnungen in den Bereichen Städtebau, Wohnungsbau, öffentlicher Raum erhalten.