Der Alte Postplatz im Jahr 1934 scheint für den Waiblinger Historiker Hans Schultheiß nur einen Schritt entfernt zu sein. Foto: Martn Stollberg

Postkarten verraten viel über die Zeit, in der sie verschickt wurden. Das Stadtmuseum Waiblingen lässt 120 Jahre Revue passieren – im Kleinformat und mit wandfüllenden Vergrößerungen.

Waiblingen - Wer die drei Stufen am Eingang zum Waiblinger Haus der Stadtgeschichte hinuntersteigt, landet unvermittelt im Jahr 1910 – mitten auf der ungepflasterten Schmidener Straße. Rechts weist ein Schild auf den Sattler und Tapezierer Albert Pfleiderer hin, links macht „Gustav Bareiss, Goldarbeiter“ auf sich aufmerksam. Vor dem Haus steht mit strengem Blick und in strammer Haltung der Waiblinger Schutzmeister Dieterle, während im Hintergrund einige freilaufende Hühner vorbei huschen.

Die gut 100 Jahre alte, auf Zimmerwandformat vergrößerte Ansichtskarte ist nur eine von rund 800 Postkarten, die im Waiblinger Stadtarchiv eingelagert sind. Hans Schultheiß hat sich für seine letzte Ausstellung als Stadthistoriker in Waiblingen – sie trägt den Titel „Partie an der Rems – Stadtgeschichte mit Postkarten“ – durch den umfangreichen Bestand gearbeitet. Und eine Auswahl getroffen, dank der Besucher des Stadtmuseums gewissermaßen durch fast 120 Jahre Waiblinger Geschichte spazieren können. Neben Originalpostkarten zeigt die Ausstellung etliche Motive, die Hans Schultheiß mit einem Hochleistungsscanner von vier bis fünf Quadratzentimeter kleinen Bildchen auf ein wandfüllendes Format hochgezoomt hat.

Manches wird erst durch Vergrößerung sichtbar

Eine Heidenarbeit, die sich gelohnt hat. Zum einen, weil man sich als Betrachter plötzlich als Teil der Szenerie und in vergangene Zeiten versetzt fühlt. Zum anderen, weil so manches Detail erst durch die extreme Vergrößerung sichtbar wird.

Neben der Fleißarbeit war auch eine gute Portion Detektivarbeit nötig. Zum Beispiel, um herauszufinden, wann die Postkarte entstanden ist, die einen Bauer mit seinem von zwei Rindviechern gezogenen Fuhrwerk am Alten Postplatz zeigt. „Ich habe auf einen Sommertag in den 1920er- oder 30er-Jahren getippt“, erzählt Schultheiß. Inzwischen weiß er, wann die Aufnahme entstanden ist: „Das muss im Sommer 1934 gewesen sein.“ Denn auf der Vergrößerung entdeckte er das Schild „Adolf-Hitler-Platz“ – und diesen Namen erhielt der Postplatz erst Ende 1933.

Für jede Museumsabteilung hat Hans Schultheiß passende Ansichten ausgegraben: Bei „Erholen und Ertüchtigen“ etwa steht eine 25 Kilo schwere Kugel der Kraftsportabteilung des VfL Waiblingen. Auf der Wand dahinter zeigt eine Postkarte, wie mit weißen Hosen bekleidete Sportsmänner die 50-Pfund-Kugel hochwerfen als sei sie ein luftgefüllter Ball.

Ein Jahrhundert eingedampft

Unter dem Titel „Umbrüche und Aufbrüche“ hat der Historiker „das 20. Jahrhundert auf eine Wand eingedampft“. Da ziehen um 1915 lachende Waiblinger Bürger in Festtagskleidung zur Musterung und einige Dreikäsehochs stehen wie die Großen mit Degen und Gewehr für den Fotografen stramm. Die kleinen und großen Waiblingerinnen sitzen hingegen zusammen und stricken Socken, Knie- und Brustwärmer für die Soldaten an der Front.

Aus der NS-Zeit gibt es nur wenige Postkarten, hat Schultheiß festgestellt. Eine Ansicht des Marktplatzes, bei der an einem Haus eine große Hakenkreuzfahne flattert, kam ihm bekannt vor: „Es ist eine Ansicht aus den 1920er-Jahren, in die die Fahne reinretuschiert wurde.“

Eine Karte aus den 1960er-Jahren zeigt kein bisschen Fachwerkidylle, sondern Beton pur: das Krankenhaus nebst Korber Höhe, die Schofer Siedlung, das Landratsamt und die Querspange. Diese Ansichtskarte sei bei Gastarbeitern sehr beliebt gewesen, sagt Schultheiß: „Sie wollten denen daheim zeigen, dass sie in einer modernen Großstadt gelandet sind.“

Karten erzählen Geschichte

Eröffnung:
Die Ausstellung „Partie an der Rems: Stadtgeschichte mit Postkarten“ wird am Donnerstag, 22. November, eröffnet. Treffpunkt ist um 17.30 Uhr der Kameralamtskeller in Waiblingen, Lange Straße 40. Dort nimmt der Stadthistoriker Hans Schultheiß die Besucher mit einer Videoprojektion und bewegten Bildern auf einen Spaziergang durch die Waiblinger Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts mit.

Ausstellung:
Nach der Veranstaltung mit Stehempfang im Kameralamtskeller ist die Ausstellung bis 22 Uhr geöffnet. Sie läuft bis zum 27. Oktober 2019, die Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.