Der ansehnliche Teil der Bandstraße: Bernd Möbs vor der grünen Wand. Foto: red

Einst betranken sich an der Bandgasse Literaten und Politiker. Heute kennt den namenlosen Durchgang mitten im Zentrum kaum noch ein Stuttgarter. Das soll sich ändern.

S-Mitte - Abseits des Trubels ließe sich hier heute noch beherzt zechen. Friedrich Schiller, den die Stadt wenige Schritte entfernt mit einem Denkmal ehrt, soll in dieser rechtwinkligen Gasse auf dem Tische getanzt haben, nachdem er des guten Weines einen Krug zuviel genossen hatte. Heute „ist dies einer der Unorte im Zentrum“, sagt Bernd Möbs. Eben deswegen bringt der Stadtführer Geschichtsinteressierte gern hierher. „Viele Stuttgarter wissen nicht einmal, dass es hier überhaupt einen Durchgang gibt“, sagt er.

In der Tat. Der Durchgang führt vom Marktplatz zur Stiftskirche. Noch ist er auf keinem Stadtplan zu finden, schlicht, weil ihm der Name fehlt. Das wird sich ändern. Ilse Bodenhöfer-Frey, Stadträtin der Freien Wähler, hat durchgefochten, dass die Gasse künftig Bandstraße heißen möge. Das hat seinen historischen Grund, aber die namenslose Straße hatte schon andere Namen. „Sie hieß früher auch mal Lorcher Gässle“, sagt Möbs.

Warum, erklärt eine Wandzeichnung samt einiger Sätze unter ihr, auch wenn die Buchstaben blättern und mancher verblichen ist. Die Zeichnung zeigt die Lorcher Kelter. Sie war einst das Zentrum der Gasse. Die Kirche betrieb sie, nebst Kornspeicher, Weinkeller und Fassbinderei. Schlicht daraus, dass Küfer hier Bänder um die Bohlen schlugen, erklärt sich der alte und neue Name. „Hier stand einst die Lorcher Kelter“, so beginnt sinnigerweise der Text zum Bild. Heute steht vor dem Bild ein vertrockneter Bambus in seinem Topf und vor dem Bambus ein Transporter, dessen Fahrer seine Pflicht erledigt, zu liefern.

Das Bombardement des Kriegs zerstörte die Anmut

Möbs blättert die überlieferten Stiche in einem Geschichtsbuch durch. Sie zeigen den Anmut von Torbögen, die sich zwischen historischem Gemäuer wölben. Nichts davon hat das Bombardement des Kriegs überstanden. Die Häuser heute sind schlichte Zweckbauten, entstanden wohl in den Sechzigern. Entlüftungsanlagen hängen an allen Wänden und rattern das Lied von der zweitbesten Lösung. Fensterreihen scheinen beklagen zu wollen, dass sie nicht geputzt wurden, seit der Glaser sie einsetzte. Die Wände sind mit stümperhaftem Graffiti besprenkelt. Die Gasse ist zugeparkt. Ein Schild mahnt, dass an dieser Stelle nur halten darf, wer Haufler am Markt beliefert, Gott hab ihn selig. Offensichtlich ist mehr als einmal versucht worden, das Blech von der Wand zu reißen.

„Wir mögen das Hinterhofmäßige“, sagt Uwe Maier. Er ist einer von zwei Geschäftsführern der Bungalow Gallery, die sich gleichsam zum Nachfolger der Kelter erkoren hat. Ihr Geschäft nimmt den größten Teil der Gasse ein. Dass ausgerechnet an dieser Stelle kostspielige Designerware angeboten wird, mag originell sein. Offenkundig schien Maier die Lage des Geschäfts letztlich doch arg hinterhofmäßig. „Früher war das hier eine fiese Pippigasse“, sagt er.

Heute ist sie ein Vorbild für großstädtische Begrünung, wie die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle kundtat – jedenfalls die Fassade links der Schaufenster. Sie ist von Efeu bedeckt, das an Gittern haushoch rankt und das Elend hinter sich verdeckt. Vor einem halben Jahr ist es installiert worden. Schon zwei Jahre zuvor hatte die Boutique einen professionellen Sprayer eingeladen, die Amateurgraffiti im Durchgang vor dem Laden zu überdecken. Das Ergebnis ist durchaus auffällig und ansehnlich. Auch das Efeu „war unsere Idee“, sagt Maier, „bezahlt hat aber unser Vermieter“.

Der heißt Thomas Breuninger und ist Geschäftsführer von Tritschler. Dem Traditionsunternehmen gehört das Ensemble. Breuninger hat angekündigt, die Gasse soweit zu verschönern, dass sie zum Schlendern lockt. Wie, will er während einer der nächsten Führungen von Möbs erklären. Der reckt das Kinn empor und lässt die Augen an den Fassaden hinauf bis in den grauen Himmel gleiten, als fürchte er einen Platzregen. „Ich bin gespannt, was Herr Breuninger erzählen wird“, sagt er.

Oppositionelle und Literaten liebten den Schatten

Möbs erzählt am Ausgang der Gasse zum Marktplatz, dass hier eine Anna selbdritt Besucher begrüßte, ein Bildnis der heiligen Anna mit ihrer Tochter Maria und dem Jesuskind. In den 1820ern und 1830ern begrüßte sie die konspirative Runde des liberalen Landtagsabgeordneten Albert Schott. Der lud regelmäßig Gesinnungsgenossen ins Gasthaus Zum Schatten, wo die Oppositionellen gegen den König wetterten. Das Gasthaus war nicht nur bei Politikern beliebt. Ludwig Uhland, ein Zeitgenosse Schotts, widmete ihm ein Gedicht. „Ich weiß mir einen Schatten/da fließt ein kühler Quell“, lauten die Anfangszeilen.

Nicht überliefert ist, ob Uhland aus Leidenschaft den Schatten aufsuchte oder nur schnöde, weil er im Nachbarhaus wohnte. Wohl aber, warum Geistliche die Konkurrenz nebenan bevorzugten, die Gaststätte geistliche Herberge. In sie „sind die Pfarrer eingekehrt, weil sie mehr zu trinken bekommen haben als woanders“, sagt Möbs. Das ist Geschichte. Ob zu Breuningers Plänen zählt, auch die Trinktradition wiederzubeleben, muss die Zukunft zeigen.