Auch die roten Doppeldeckerbusse waren am Stadtführungstag unterwegs. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Mit einem großen Stadtführungstag wurde am ersten Samstag im April die Tourensaison 2022 eingeläutet.

Bedächtig, aber stetig wirbeln sie herab, die Schneeflocken. Und das am großen Stadtführungstag. Präsentiert doch an diesem ersten Samstag im April Stuttgart-Marketing einen Teil ihrer Stadtrundgänge und Rundfahrten – und läutet die Tourensaison 2022 ein.

Die Wetterprognose hat manche Interessenten zurückgehalten, nicht alle der geplanten fußläufigen Touren finden statt. Allerdings wissen Herr und Frau Schwätzele auch beim größten Schneesturm, wo es langgeht in der Landeshauptstadt. Die resoluten schwäbischen Hausleute führen - bewaffnet mit Besen und Staubtuch – auf ihren „I han Kehrwoch“-Touren durch die Stuttgarter Innenstadt ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sie plaudern über Nachbarn, sparsame Kochrezepte und große Stuttgarter Persönlichkeiten.

Auch die „Hop on Hop off“-Citytouren in den roten Doppeldeckerbussen fahren. Und die Stuttgart Weintour startet – mal exklusiv als Sondertour – an der Busspur der Tourist-Information i-Punkt.

Interessierte trotzen dem Wetter

Dort, vor der Königstraße 1A, trotzt auch ein wackeres Grüppchen dem Wetter, um mit Stadtführerin Ursula Kaufmann „Stuttgart kurz und knackig“ in einer Stunde zu erkunden. „Wir lassen uns von nichts abhalten“, begrüßt Kaufmann lachend die Frauen und Männer, die etwa aus Bayern und der Schweiz angereist sind, nach der 3G-Kontrolle Gutscheine „für ein Glas Rilling Sekt“ verteilend, einzulösen am selben Tag im i-Punkt.

„Ich war vor 15 Jahren das letzte Mal in Stuttgart, unsere Bekannten hier haben das organisiert“, sagt ein Züricher fröhlich, dick eingemummelt in eine Jacke, die auch einer Alpenüberquerung standhalten würde. Beherzt stapft er hinter Ursula Kaufmann her, die auf die Baustelle des – von Paul Bonatz entworfenen – Hauptbahnhofs sowie den InfoTurmStuttgart (ITS) zeigt. Dort sei alles zu erfahren über das Bauprojekt Stuttgart 21, den „dritten Hauptbahnhof, den Stuttgart nun erhält, 2025 oder 2026.“ Als der erste „Centralbahnhof“, 1846 in der Bolzstraße eröffnet, nicht mehr zeitgemäß war, folgte der 1928 fertiggestellte Bonatzbau. „Die Idee eines Durchgangsbahnhofs, die mit S21 umgesetzt wird, gab es schon 1901 und 1906“, so Kaufmann. Doch König Wilhelm II., der letzte Monarch Württembergs, wollte einen Kopfbahnhof, weil man durch Stuttgart nicht durchfahre, sondern bleibe.

Fernsehturm ging 1956 in Betrieb

Nebenan im Oberen Schlossgarten klärt Kaufmann über die Eberhardgruppe des Bildhauers Paul Müller auf. Das besondere Verhältnis der württembergischen Herrscher zu ihren Untertanen sei dargestellt. Nach Justinus Kerners Gedicht „Der reichste Fürst“: Dort heißt es über den ersten Herzog von Württemberg, Eberhard im Bart, dass er sein „Haupt kann kühnlich legen jedem Untertan in Schoß“. Auch Königin Katharina, die 1818 das „Katzenstift“ genannte Gymnasium einst nur für Mädchen gründete, sei beliebt gewesen, betont die Stadtexpertin, um zur Geschichte von Schauspiel- und Opernhaus, Landtag und Kunstgebäude am Schlossplatz überzugehen. „Ihre Fantasie ist gefragt“, meint sie, als der „erste Fernsehturm der Welt“, von Professor Fritz Leonhardt geplant und 1956 in Betrieb gehend, am Horizont in den Wolken verschwindet. „Leonhardts Frau soll immer wieder morgens vom Fenster aus ihrem Mann zugerufen haben, er steht noch!“, so Kaufmann.

Gut zu sehen indes ist die gotische Stiftskirche. Dessen 61 Meter hoher Westturm ist das Maß aller Bauten im Talkessel, nichts darf höher sein, so zumindest lautet ein alter Ratsbeschluss. In deren Richtung geht es denn auch weiter; am Neuen Schloss vorbei, wo Richard von Weizsäcker das Licht der Welt erblickte, über den Schlossplatz mit Jubiläumssäule samt Concordia, Kunstmuseum und Königsbau, hin zum Alten Schloss mit kurzem Blick auf die Regierungschef-Villa Reitzenstein und das Wilhelms- alias Stadtpalais, in dem Wilhelm II bis 1918 „angemessen bescheiden“ residierte. „Er war sehr bürgernah!“ Kaufmann erzählt die Anekdote, wie der Monarch einen Jungen hochhob, damit der eine Türglocke erreichte. „Darauf sagte der Kleine ‚jetzt müssa mir aber saue, also rennen – der König hatte beim Klingelputzen geholfen.“

Vom Alten Schloss zur Markthalle

Derlei ist freilich von Christoph in Württemberg nicht bekannt. Er regierte 1550 bis 1568 und ließ das Alte Schloss in eine ansehnliche Renaissance-Residenz umbauen. „Mit der ersten evangelischen Kirche in Württemberg, beliebt für Hochzeiten“, so Kaufmann. „Manche machen wohl schon Termine, ohne bereits einen Partner zu haben.“ Darauf eine Leckerei: Zum Abschluss führt die ausgebildete Reiseleiterin zum Schillerplatz – über den Dichter und die Bauten informierend – zur „schönsten Markthalle Deutschlands, erbaut 1912 bis 1914 im Jugendstil.“ Stuttgart kurz und knackig kommt an. Eine Teilnehmerin kommentiert: „Habe noch nie so viel so schnell erfahren.“