Wie viele Einwohner verträgt der Kessel? Diese Frage ist in anderen Großstädten längst geklärt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In Stuttgart leben immer mehr Menschen, der Neubau hält damit nicht Schritt. Eine der Folgen: Die Immobilienpreise steigen in der Landeshauptstadt bundesweit am schnellsten.

Stuttgart - Ausgangslage Mehr Menschen an einem Ort bedeutet mehr Wohnungen. Betrachtet man aber die Entwicklung des Wohnungsbestands sowie der Einwohnerzahlen in den sieben Metropolen Deutschlands, treten massive Unterschiede zutage. Hamburg hat seit dem Jahr 2000 mehr als 72 000 Einwohner hinzugewonnen – in Stuttgart waren es im selben Zeitraum mehr als 50 000. Der Zuzug ist im Vergleich zur Stadtgröße also wesentlich stärker – Hamburg hat rund 1,8 Millionen Einwohner, Stuttgart etwa 600 000. Doch in der Hansestadt wurden im selben Zeitraum mehr als 72 000 neue Wohnungen gebaut, in Stuttgart waren es hingegen weniger als 19 000. Im Vergleich der sieben Metropolen wurden allein in Berlin deutlich weniger neue Wohnungen pro Neubürger gebaut als in Stuttgart. Bei dieser Betrachtung verweisen Fachleute jedoch auf den hohen Leerstand von mehr als fünf Prozent des Wohnungsbestands, der den Berliner Wohnungsmarkt Anfang der 2000er Jahre kennzeichnete.

Konsequenzen Eine Folge der Stuttgarter Wohnbaupolitik: Die Immobilienpreise steigen bundesweit am schnellsten. Von 2010 bis 2015 sind diese in Stuttgart um 62 Prozent gestiegen. Ein Ende der Entwicklung ist nicht absehbar. Zum Vergleich: In München beträgt die Steigerung 56 Prozent, in Köln 52 Prozent. Danach folgen Berlin (45 Prozent), Frankfurt (39 Prozent), Hamburg (35 Prozent) und Düsseldorf mit einem Plus von 34 Prozent.

Fragen Hinter den Unterschieden in der Wohnbaupolitik steht abseits aller städtischen Besonderheiten wie der Kessellage Stuttgarts eine grundsätzlich unterschiedliche Haltung zur Stadtentwicklung. Die Stuttgarter Politik will an diesem Wochenende in einer zweitägigen Klausurtagung ihre Richtung finden. Die Fragen nach dem Wachstum der Stadt und nach bezahlbarem Wohnraum stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Was Stuttgart von anderen Städten lernen kann – dazu drei Fragen:

Will die Stadt aktiv  wachsen und Einwohner gewinnen?

Ist man bereit, dafür neue Baugebiete auszuweisen?

Was sind die Vorteile einer wachsenden Stadt?

Hamburg

Hamburg

Das Statistische Bundesamt sagt der Hansestadt ein beständiges Wachstum bis 2030 um gut 100 000 Menschen voraus – auf dann 1,9 Millionen. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen erklärt: „Von einigen Jahren der Stadtflucht abgesehen, sind Hamburgs Bevölkerung und vor allem seine Siedlungsgebiete kontinuierlich gewachsen. Wovon die gesamte Stadtgesellschaft profitiert hat, denn Neubürgerinnen und Neubürger beleben die Wirtschaft und erhalten ein gesundes Wachstum – Zuwanderer sind nicht zuletzt Konsumenten und Steuerzahler. Und neue Siedlungsgebiete sind auch ein Indiz für den Anstieg des durchschnittlichen Wohlstands.“

Köln

Köln

„Es ist ein Privileg für eine Stadt, wenn sie aufgrund ihrer hohen Attraktivität immer mehr Menschen anzieht. Köln wächst. Und das in einer Größenordnung, die uns enorme Chancen bietet“, antwortet der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Planen und Bauen, Franz-Josef Höing. Und: „Die Stadt will wachsen und stellt sich dafür auf.“ Bezogen auf den Wohnungsbau sagt Höing: Es gebe zwar das Plädoyer für die Innenentwicklung, also die Bebauung innerstädtischer Brachflächen und die Verdichtung innerhalb vorhandener Stadtviertel. „Nichtsdestotrotz sagen uns die Zahlen und Prognosen, dass wir das Wachstum nicht allein in der bestehenden Stadt unterbringen können, sondern dass es viele neue Quartiere in durchaus beachtlicher Größenordnung im Inneren wie auch am Rande von Köln geben wird.“

München

München

„Bis 2030 rechnen wir mit einem Zuwachs von über 230 000 Menschen“, sagt Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Die zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung sei es, dies aktiv zu gestalten und politisch zu steuern. In der bayrischen Metropole wird die Realisierung von jährlich 8500 neuen Wohneinheiten angestrebt. „Eine wachsende Stadt wie München bietet neben den angesprochenen Herausforderungen vor allen Dingen vielen Menschen eine Perspektive für ihre individuellen Berufswege und Lebensmodelle.“

Frankfurt

Frankfurt

„Die Stadt Frankfurt am Main betreibt keine gezielte Anwerbung von neuen Einwohnern, sondern nur von Unternehmen“, berichtet Kolja Müller aus dem städtischen Dezernat für Planen und Wohnen. Ein Beispiel: Durch den Brexit (den geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU) hätten in London gezielt Veranstaltungen stattgefunden, etwa initiiert vom Oberbürgermeister, um den Standort zu bewerben. Die Folge: „Das Bevölkerungswachstum hält seit Jahren an.“ Weiter erklärt Müller: „Das Wachstum Frankfurts bedeutet neben der positiven wirtschaftlichen Entwicklung vor allem einen Zugewinn an sozialer Infrastruktur. Frankfurt ist eine der wenigen Städte, die einen Geburtenüberschuss hat.“ Der Planungsdezernent müsse daher neben der Ausweisung neuer Wohnbauflächen vor allem den Bau von Schulen, Kitas und weiteren sozialen Einrichtungen gewährleisten. „Dies ist zwar keine leichte, aber eine wichtige und für die Stadt positive Aufgabe.“

Düsseldorf

Düsseldorf

Die Verwaltung erklärt: „Nach aktuellen Prognosen wird die Einwohnerzahl der Landeshauptstadt von zurzeit 635 704 Einwohnern bis zum Jahr 2030 auf rund 660 000 Menschen steigen.“ Die Stadt sieht speziell in den ehemals gemeinnützigen Bauunternehmen einen wichtigen Partner, um diese Aufgabe zu bewältigen. Aus dem Rathaus heißt es: „Ein starker Partner der Landeshauptstadt Düsseldorf sind die fünf Wohnungsgenossenschaften sowie der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland, die eine entsprechende Vereinbarung zum ,Düsseldorfer Bündnis für genossenschaftliches Wohnen’ mit der Stadt Düsseldorf unterzeichnet haben.“

Berlin

Berlin

Aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen heißt es auf unsere Fragen: „Metropole ist per se Wandel und Wachstum.“ Städte wie Berlin seien nicht erst seit dem Mittelalter Sehnsuchtsorte, Orte der Freiheit und Selbstverwirklichung. In der globalisierten Welt lebten Städte vom Austausch und vom Wachstum, so die Verwaltung weiter. Und: „Metropolen wie Berlin wissen, dass sie mit dem Wachstum, das sie erfahren, Veränderungen anstoßen können und verstetigen wollen, die für Menschen, Unternehmen und die Lebensqualität in Berlin Impulse bringen.“ Zum Städtebau wird erklärt: „Das städtische Wachstum erfordert Wohnungsneubau ebenso wie die Bestandsentwicklung.“ Die Verwaltung plant, in elf Quartieren rund 37 000 Geschosswohnungen zu errichten. Im Vergleich mit Stuttgart besonders bemerkenswert ist die Antwort auf die Frage, ob das Wachstum der Stadt gewollt ist. „Die Frage stellt sich in dieser Form nicht. Das Wachstum findet statt. Es ist keine Maschine, die sich einfach abschalten lässt“, heißt es aus dem Berliner Rathaus. Und: „Wenn Wachstum ignoriert wird, werden die städtischen Probleme viel größer.“