Die Stadtentwicklung ist geprägt von einem steten Abwägen der Interessen, weil in Ditzingen Landwirtschaft und High Tech aufeinandertreffen. Foto: factum/Granville

Die Große Kreisstadt prosperiert dank Trumpf und Thales. Doch sie wird immer ein Zusammenschluss mehrerer Bauerndörfer bleiben. Das schwächt und stärkt sie zugleich.

Ditzingen - Zwei Themen in Ditzingen, von den einen begrüßt, von den anderen abgelehnt: Der zweite Autobahnanschluss ist wieder in der Diskussion; dafür würde fruchtbarer Ackerboden zunichte gemacht. Und: ein massives, deshalb umstrittenes Wohn- und Geschäftshaus in der Kernstadt wird kommen.

Die Beispiele zeigen das Spannungsfeld, in dem sich Ditzingen befindet. Vier ehemalige Bauerndörfer wurden zu einer Stadt, die nun im Wettbewerb bestehen muss. Wie viel Ländlichkeit soll, wie viel städtisches Gepräge darf es sein? Die Frage wird im Zweifel am Einzelfall entschieden. „Die Debatte entzündet sich am Vorhaben“, erklärt der Stadtplaner Johann Jessen diese Entwicklung. Er ist Professor am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Letztlich führe dann eine „Summe von Einzelentscheidungen jeweils in Unkenntnis dessen, was kommt“ zum Status Quo.

Jessen weist aber auch darauf hin, dass ein Ort nicht erst jetzt mit den jüngsten Entscheidungen seine ursprüngliche Prägung etwa eines Bauerndorfs verliere. „Ihren Charme haben die Bauerndörfer vor 40, 50 Jahren verloren.“ Kirche, Friedhof „und eine Handvoll Fachwerkhäuser“ heute machten den Charme nicht aus. Zumal, wie in Heimerdingen, der Durchgangsverkehr das Leben im Ort massiv prägt.

Bauerndorf und Industriestandort

Hier der moderne Industriestandort, dort das ehemalige Bauerndorf. In der Ditzinger Kernstadt manifestiert sich dies am deutlichsten. Fachwerk und Fabrik, Traktor und Trumpf, Tradition und Technologie – die Große Kreisstadt muss beidem gerecht werden. Das Ringen darum ist in den vergangenen Monaten deutlicher geworden. Der neuerliche Vorstoß für den Autobahnanschluss – der Gemeinderat wird sich wohl damit abermals befassen – und das massive geplante Wohn- und Geschäftshaus, gleich bei den Bankgebäuden, in vergleichsweise kurzem Abstand diskutiert, führte den Stadträten den Wandel der Kommune vor Augen. Doch Ditzingen ist damit nicht allein.

Jessen spricht über Ditzingen, aber eben nicht nur. Nicht nur die Große Kreisstadt befindet sich in einem Spannungsfeld, in dem es „Aufgabe und Geschick des Gemeinderats und der Verwaltung ist, Kompromisse zu suchen und Lösungen zu finden“. Beispiele gibt es zuhauf, Ostfildern, Leinfelden-Echterdingen, aber auch Schwieberdingen oder Renningen fügt er an. Hier geht es um die Bedürfnisse des Flughafens, der Firma Bosch, um die notwendigen Bedingungen für eine global agierende Firma, dort um die Erhaltung der Lebensqualität der Bürger.

Durch dieses Spannungsfeld sind der Stadt in die eine wie in die andere Richtung Grenzen gesetzt. Aus der Landwirtschaftstradition der Bauerndörfer erwächst ihr Selbstverständnis, ihr Selbstbewusstsein. Aus dem Fakt, Standort für Trumpf und Thales zu sein – um die Großen zu nennen – erwächst ihr Wohlstand aus Gewerbesteuereinnahmen. Die Entwicklung hin zum Urbanen wird in der Kernstadt besonders deutlich.

Entwicklung war vorgezeichnet

Dabei war die Entwicklung der Kernstadt schon mit der Entscheidung vorgezeichnet, die zentralen, gesamtstädtischen Einrichtungen eben dort zu konzentrieren: Hallenbad, Stadthalle, weiterführende Schulen. Auch die Industrie – mit all ihren Nachteilen von Lärm- und Verkehrsbelastung wird hier konzentriert, nicht nur die ganz Großen, etwa auch Gretsch Unitas und Bürger sowie die Mittelständler haben hier ihren Sitz. Das Gewerbegebiet in Schöckingen hingegen soll nach und nach aufgelöst werden, nicht anders in Hirschlanden . Die Ortsteile werden so zur Wohn-, die Kernstadt zur Industriegemeinde.

Auf diese Weise entwickelt sich die Stadt Jahrzehnte nach der Gemeindereform in eine Richtung, die die Stadträte anlässlich des Zusammenschlusses zur Stadt politisch nie den Bürgern hätte erklären können. Die Kommunalpolitiker hätten niemanden bevorzugen können. „Alle Teilgemeinden am Wachstum partizipieren zu lassen, war der einzige Weg, die Entscheidung politisch durchzusetzen“, sagt Jessen.

Der Kernstadt sind weiterhin Grenzen gesetzt, die sich aus dem Bauerndorf ergeben. Die Straßen sind eng, die gewachsene Bebauung an der Straße nicht veränderbar. Eine Veränderung ist langwierig. „Wenn man die Möglichkeit hat, Grunderwerb zu tätigen, dann nutzen wir sie“, sagt der Sprecher der Stadtverwaltung, Guido Braun. Nur so wird die Straßenverbreiterung möglich, können Gewerbeflächen neu zugeschnitten werden. Eine andere Möglichkeit wäre, über markungsübergreifende Gewerbegebiete nachzudenken. So weit, sagt Braun, sei man noch nicht.