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Stuttgarter Stadtbibliothek hat sogar Werke von Picasso, Beuys und Baselitz in ihrem Fundus.

Stuttgart - Wenn schon das Wort Trend aus dem Englischen kommt, dann müssen die neuesten Trends auch einen angelsächsischen Namen haben. Die Rede ist von Owner-Less. Eine Welle, die jetzt die Kunst erfasst - und auf der auch die Stadtbibliothek surft.

Eigentlich ist die Idee nicht neu. Bereits 1976 hat die Graphothek der städtischen Bibliothek damit begonnen. Das Motto lautet seitdem: Bilder leihen wie Bücher. Aber in den alten Räumen fiel das Ganze kaum auf. Zudem hatte die Graphothek nur drei Stunden täglich geöffnet. Doch mit dem Umzug in den zweitbesten Würfel der Stadt, wie manche die neue Stadtbibliothek am Mailänder Platz nennen, ist der Kunstverleih aus einem Dornröschenschlaf erwacht.

Geteilte Kunst spart Geld

Immer mehr greifen inzwischen auf das Angebot zurück. Auch weil es offenbar dem veränderten Konsumverhalten mancher Menschen entspricht. Sie ziehen die Flexibilität des Leihens der Starre des Eigentums vor. Bekannt wurde dieser Trend durch das Teilauto. Nach diesem Carsharing-Prinzip entwickelten sich geteilte Gärten, Wohnungen oder Urlaubsdomizile. Und greift nun also auch auf die Kunst über.

Der geteilte Gegenstand ist für diese Konsumenten doppelte Freude. Sie sparen Geld und freuen sich trotzdem an der Sache wie ein Besitzer. Aber eben nur so lange, wie sie wollen. Dieses Phänomen kennt Jessica Berger, die Leiterin der Graphothek in der Stadtbibliothek: "Wir haben ein komplett neues Publikum." Fast an jedem Tag schlendert ein Besucher eher zufällig im achten Stock durch ihre Abteilung und bleibt wie elektrisiert stehen. Getroffen vom Reiz, seine Wohnung, seine Arztpraxis oder seine Kanzlei mit tollen Kunstwerken zu verschönern.

Auch Moritz Elsner, der an diesem Tag mit seiner Familie die Bibliothek erkundet, ist von dem Angebot hin- und hergerissen. "Ich hab' das Ganze gerade entdeckt", sagt er begeistert, "das ist 'ne tolle Idee. Und ich habe zu Hause noch einen Platz frei." Selbst Jessica Bergers Kollegen leihen fleißig aus. "Es ist schon etwas Tolles, originale Bilder an der Wand hängen zu haben, aber kaum etwas dafür auszugeben", sagt Bergers Assistentin Beate Schrenk und merkt an: "Auch unsere Freunde sind immer ganz begeistert, wenn sie bei uns zu Besuch sind."

Acht Wochen Kunstgenuss

Der Preis für ein Teil-Bild ist in der Tat nicht hoch. Wer einen Bibliotheksausweis besitzt, die Jahresgebühr von 15 Euro bezahlt und 2,50 Euro Versicherungsgebühr übrig hat, bekommt den Druck, die Zeichnung, das Aquarell oder die Fotografie acht Wochen lang ausgeliehen. Theoretisch kann man das Ganze sechsmal wiederholen - sollte kein anderer Kunstfreund das Bild vorbestellen. Sind die Voraussetzungen alle erfüllt, kommt man ein ganzes Jahr lang in den Genuss eines oder mehrerer Kunstwerke.

Die Auswahl der Graphothek ist groß. Der Fundus umfasst etwa 2500 Bilder. Eine Grenze des Bestands, den Jessica Berger nach dem Motto "Qualität, Qualität, Qualität" auswählt, ist nicht in Sicht. Auf Kunstmessen oder in Galerien ist sie ständig auf der Suche nach neuen Objekten "600 bis 700 Bilder sind ständig weg", sagt sie stolz. Denn damit macht sie nicht nur Menschen glücklich, sie erfüllt auch einen Bildungsauftrag: "So können wir ein breites Publikum für moderne und zeitgenössische Kunst begeistern und können aktuelle Tendenzen aufzeigen."

Beuys und Baselitz kann man sogar ausleihen

Ganz nebenbei fördert sie Kunst und Künstler. Denn manchmal kommt es vor, dass ein Ausleiher doch Besitzer werden will. Dann vermittelt Jessica Berger zwischen dem Kaufinteressenten und dem Künstler. Die Graphothek wird so in vielerlei Hinsicht ein Ort der Kunst-Vermittlung. Die Auseinandersetzung mit Kunst findet für den Ausleiher zu Hause statt - auf eine ganz andere Art und Weise wie beispielsweise im Museum. Aber auch in der Graphothek selbst kann man sich den Werken bei den wechselnden Ausstellungen annähern. "Wir wollen uns auch als Ort für Kunst etablieren", erklärt Jessica Berger. Derzeit sind Werke von Doris Graf unter dem Titel "homo nudus atque apertus" ausgestellt.

Die Stuttgarterin Graf hat in der Kunstszene durchaus einen Namen. Aber sie ist freilich nicht so bekannt wie Pablo Picasso, Joseph Beuys oder Georg Baselitz. Drei Künstler, die sich übrigens auch im Katalog der Graphothek finden. Beuys und Baselitz kann man sogar ausleihen. Nur den Picasso gibt Jessica Berger nicht raus: "Da reichen die 2,50 Euro Versicherungsgebühr natürlich nicht."