Im Herzen von Nürtingen soll ein neues Quartier entstehen. Foto: 7aktuell.de/Daniel Jüptner/7aktuell.de | Daniel Jüptner

Der Vorzeige-Stadtteil namens „Östliche Bahnstadt“ kann ein finanzieller Kraftakt für Nürtingen werden. Doch nicht nur die hohen Kosten rufen Kritiker auf den Plan.

Alle warten in Nürtingen auf den großen Wurf. Die Rede ist von der Östlichen Bahnstadt, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA) das städtebauliche Vorzeigequartier in Nürtingen werden, eine Brache in ein blühendes urbanes Quartier verwandeln soll und den Vergleich mit der als vorbildlich erachteten Neuen Weststadt in Esslingen nicht zu scheuen brauche. Das hieß es im Zusammenhang mit dem städtebaulichen Wettbewerb schon vor Jahren. Aber die Kritik an den Plänen reißt nicht ab.

 

Die Trasse ist für Gegner Stein des Anstoßes

Seit fünf Jahren treiben Stadtverwaltung und Gemeinderat in die Pläne voran. Kurze Wege in die Innenstadt und zur S-Bahn, ein großzügiger Platz im Bereich des ökologischen sozialen und kulturellen Zentrums Alte Spinnerei und vor allem viel Wohnraum sollen auf der 8,5 Hektar großen und zentral gelegenen Fläche entstehen. Aber auch nach dem Gemeinderatsbeschluss, bei dem eine klare Mehrheit für die neue Erschließungsstraße stimmte, die parallel zur Bahnstrecke verlaufen soll, regt sich Widerstand.

Befeuert wird die Kritik von den hohen Kosten und von der Trassenplanung. Rund 20 Millionen Euro kommen zusammen, wenn man die Kosten für die Freianlagen, Straßen und Ingenieurbauwerke, Kanalisation und die Planung addiert. „Wir geben Geld aus, das wir nicht haben für eine Leistung, die wir nicht brauchen“, fasst Raimund Braun die Kritik seiner Fraktion zusammen. Seit 2014 sitzt der Landschaftsarchitekt und Hochwasserspezialist für die Fraktion NT 14 im Gemeinderat. Ähnlich äußert sich die Bürgerinitiative Bürgerforum Bahnstadt.

Ein Teil der Kosten werde auf die Bauplätze umgelegt, hält der CDU-Fraktionsvorsitzende Thaddäus Kunzmann entgegen. Der Haushalt 2024 werde damit noch nicht so schwer belastet, nun müsse man die mittelfristige Finanzplanung abwarten. Ja, es handle sich um viel Geld, aber Nürtingen mache mit der Verwirklichung des Siegerentwurfs des städtebaulichen Wettbewerbs für die Bahnstadt, der von Hosoya Schaefer Architects AG Zürich(Städtebau) und der Agence Ter GmbH (Freiraumplanung) stammt, städtebaulich einen Sprung in die Zukunft, so seine Position.

Stemmt die Kommune die Vorfinanzierung?

Die Stadtverwaltung in Nürtingen rechnet vor, dass bei 7,2 Millionen Euro Förderung exakt 13,3 Millionen Euro über die Grundstücksverkäufe erlöst werden müssen. Der Sorge um die Vorfinanzierung, die Stadtrat Braun äußert, stellt die Rathausspitze die ausgeglichenen Haushalte seit 2019 gegenüber, bei denen deutliche Überschüsse erwirtschaftet werden konnten. Nur 2020 gab es einen Ausreißer. Braun meint dagegen, die Mittel sollten besser für den Bau von Wohnungen verwendet werden.

Aber zurück zur Stadtplanung: Mit der bahnparallelen neuen Erschließungsstraße gebe es am Spinnereiplatz künftig keinen mehr von Straßen geteilten Platz und gleichzeitig solle der Lärm von Bahn und Autoverkehr am westlichen Rand des Quartiers gebündelt werden. Mehrere Gebäude, darunter das zentrale Parkhaus für das Viertel und die Pendler, sollen als baulicher Lärmschutz für die anschließenden Wohngebäude dienen. Für die geplante Sporthalle, die ebenfalls Lärm abhalten sollte, fehle allerdings „jetzt einfach das Geld“, räumt Kunzmann ein.

Im Quartier soll mit Ausnahme von Hol- und Bringdiensten kein Autoverkehr stattfinden, stattdessen sind verkehrsberuhigte und begrünte Achsen mit Baum- und Sitzinseln geplant. Eine neue Brücke und die besagte Straße neben der Bahnlinie, an der die Erschließung des neuen Viertels aufgehängt sei, hält Braun aber für nicht zeitgemäß, zumal der zu erwartende Verkehrsfluss nicht nachgewiesen sei. Braun stellt beide Bauwerke in Frage und bringt erneut den zweitplatzierten Beitrag im Wettbewerb ins Spiel, der zeige, wie das Quartier über die bestehende Plochinger Straße erschlossen werden könnte. Leider sei nicht untersucht worden, wie diese weit kostengünstigere Alternative umgesetzt werden könnte.

Die neue Straße soll ansteigend verlaufen

Nicht einverstanden ist die Fraktion NT 14 außerdem mit der Höhenentwicklung der geplanten Trasse, die sich als „hässliches Betonbauwerk“ entpuppe. Dies sei eine zusätzliche Barriere, denn auf dem Weg zu Schiene und Innenstadt, müsse man künftig diese Straße queren. Die Höhe der Trasse begründet die Verwaltung mit einem möglichen Jahrhunderthochwasser.

Nach den jetzigen Pläne wird ein barrierefreier Spinnereiplatz entstehen und der Weg zum geplanten S-Bahngleis soll über einen Aufzug und eine Freitreppe sowie eine Rampe erfolgen. Dem Bau dieser Rampe muss die Deutsche Bahn AG allerdings noch zustimmen. Wo jetzt noch die Plochinger Straße nach Osten schwenkt, ist ein Sport- und Spielgelände vorgesehen, während Richtung Alte Seegrasspinnerei der Saubach ans Tageslicht geholt werden und Sitzstufen am aufgeweiteten Uferbereich zum Verweilen einladen sollen.

Lage
Zur Nürtinger Bahnstadt gehören die Östliche Bahnstadt sowie Teilflächen der Westlichen Bahnstadt, namentlich der Zentrale Omnibusbahnhof und das Gelände Gleis 13, zu dem der Bahnhofsvorplatz und das ehemalige Güterbahnhofsarealzählen. Das Gebiet soll durch eine Neubebauung neu geordnet werden

Bedeutung
Das 8,5 Hektar große Areal ist Teil der regionsweiten Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA). Der Baubeginn soll frühestens Ende 2024, Anfang 2025 erfolgen. 33 Planungsbüros beteiligten sich 2017 am städtebaulichen Wettbewerb für die Bahnstadt Nürtingen.

Energie Auch energetisch soll das Gebiet innovativ werden, deshalb ist für den Wohnbau das Niveau eines KfW-40-Effizienzhauses als Mindestanforderung festgelegt worden. Untersucht wird, ob die neue Bahnstadt an das bestehende Wärmenetz angeschlossen werden kann und der Einsatz von Geothermie über ein Erdsondenfeld im Quartier möglich ist.