17 Verletzte und ein Millionenschaden: Zwei Stadtbahnen kollidierten am 23. Februar 2024 in Wangen. Foto: dpa

Der schwere Stadtbahnunfall im Februar 2024 in Wangen wird nun vor Gericht aufbereitet. Die Fahrerin leidet unter Schlafapnoe – war der Unfall vorhersehbar?

Hätte die Stadtbahnfahrerin an diesem Tag überhaupt fahren dürfen? Hätte der Arbeitgeber Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) seine Mitarbeiterin im Schichtdienst belassen dürfen? Diese Fragen stellten sich am Dienstag zum Auftakt des Prozesses am Stuttgarter Amtsgericht. Am 23. Februar 2024 soll eine damals 47-jährige Stadtbahnfahrerin in Wangen eingeschlafen und auf eine vor ihr stehende Stadtbahn aufgefahren sein. Es gab 17 Verletzte, darunter eine 26-jährige Frau, die bei der Kollision so unglücklich stürzte, dass sie von Rettungskräften reanimiert werden musste und mehrere Wochen lang im Koma lag. Sie sitzt nun mit erheblichen Behinderungen als Nebenklägerin im Gerichtssaal.

 

Die Anklage sieht eine eindeutige Ursache: Die Beschuldigte leide seit Jahren unter einer schweren Schlafapnoe, sei deshalb in Behandlung, hätte „ihre Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen“, so der Staatsanwalt. Er wirft der heute 48-Jährigen fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Gefährdung des Bahnverkehrs vor. Bei der Kollision war zudem ein Millionenschaden entstanden. Die Ermittlungsgruppe Tram der Stuttgarter Polizei hatte zuvor die Spuren zusammengetragen.

Die Angeklagte macht zu dem Ablauf keine Angaben. „Weil sie eben nichts dazu sagen kann“, erklärte ihr Verteidiger Sascha Wirth. Sie entschuldigte sich aber insbesondere bei der schwer verletzten jungen Frau, die körperliche Behinderungen davongetragen hat, und ihren Angehörigen. Außerdem machte die Beschuldigte Angaben zu ihrer schweren Krankheit, einer Schlafapnoe, die seit Jahren eine Diagnosetherapie erforderlich macht. Mit der Therapie sollen Atemaussetzer im Schlaf verhindert werden, die einen erholsamen Schlaf verhindern und zu Müdigkeit am Tag führen können.

Eigentlich hätte der Unfall nie passieren dürfen. Die Stadtbahnfahrerin war an jenem Freitag kurz vor 10 Uhr mit der Bahnlinie U9 an der Haltestelle Inselstraße losgefahren, um zur Haltestelle Wasenstraße zu gelangen. Vor ihr auf der Strecke befand sich eine Bahn der Linie U4 – und sie war laut Gutachten zehn Sekunden lang erkennbar, ehe es krachte. Der technische Sachverständige präsentierte die Uhrzeiten und Geschwindigkeiten. Drei Sekunden vor dem Aufprall sind noch 41 km/h zu erkennen, dann scheint eine Reaktion am Fahrhebel zu erfolgen – mit noch 25 km/h prallt die Stadtbahn auf den vorderen Zug. Dass die Fahrerin unter einer Schlafapnoe leidet, gilt für eine Rechtsmedizinerin als Ursache. Doch hätte sie den Unfall vorhersehen und gar verhindern können? Darum geht es zentral im Prozess bei Amtsrichter Gerhard Gauch. Ein Schlafmediziner hat die ärztlichen Diagnosen begutachtet – und stellt fest: In der Nacht vor dem Unfall am 23. Februar hatte die SSB-Mitarbeiterin nur etwas mehr als drei Stunden Schlaf. Die obligatorische Maske, die mindestens vier Stunden getragen werden soll, hatte sie erst um 1.30 Uhr aufgezogen. „Die Anwendungszeit war zu kurz“, sagte der Sachverständige. Warum so spät, da sie um 5 Uhr schon zum Dienst musste? „Ich weiß es nicht“, sagte die Angeklagte.

Das Gericht verlas den Bericht einer Lungenfachärztin an die Hausärztin der Beschuldigten, bei der sie am 15. Februar feststellt, dass die Patientin die Maske „nicht ausreichend benutzt“. Die Betroffene stellt fest, dass es wegen einer Allergie Probleme mit dem Atmen gegeben habe. Am Morgen des 23. Februar hätte sie beim Blick auf das Display des Diagnosegeräts erkennen können, dass ihre Fahrtauglichkeit nicht gewährleistet war, so die Anklage. Dazu hätte sie die Maske mindestens vier Stunden lang tragen müssen.

Für den Sachverständigen stellt sich in diesem Zusammenhang freilich noch eine andere Frage. „Als Schlafmediziner stört mich der Sachverhalt, dass der Arbeitgeber angesichts dieser Erkrankung die Mitarbeiterin noch für die Schichtarbeit eingesetzt hat“, sagt der Gutachter. Hier seien sicherlich Aufgaben im Tagesdienst angezeigt gewesen. Die Betroffene ist 2021 wegen dieser Diagnose in klinischer Behandlung gewesen.

Der Prozess wird am 16. Oktober fortgesetzt. Dabei will Amtsrichter Gauch die Verletzten des Zugunfalls hören. Allen voran die junge Frau, die, wie am Rande zu hören war, nur mühsam wieder zurück ins normale Leben findet. Nach der schweren Verletzung und einem langen Klinikaufenthalt musste sie das Sprechen und das Gehen erst wieder erlernen. Sie soll als Nebenklägerin gehört werden.