Der Wasserhochbehälter Hasenberg ist der größte in Stuttgart. Auch er könnte 2042 der Stadt gehören. Foto: imago/Wilhelm Mierendorf

Im Gemeinderat zeichnet sich eine Mehrheit ab, dem Versorger eine Konzession für die nächsten 17 Jahre zu gewähren. Die Netze BW Wasser verzichtet dagegen auf Forderungen.

Die Stadt nimmt drei Jahre nach dem gescheiterten Kompromiss mit der EnBW-Tochter Netze BW Wasser GmbH zum Rückkauf des Wassernetzes im Jahr 2042 einen weiteren Anlauf zur Beendigung der Rechtsstreitigkeiten. Laut einer Pressemitteilung der CDU-Fraktion hat deren Vorsitzender, der Stadtrat Alexander Kotz, in den vergangenen Monaten „intensive und vertrauliche Gespräche mit zahlreichen Akteuren“ geführt, um zu einer ausgeglicheneren Vereinbarung als 2022 zu kommen.

 

Unter seiner Federführung hätten sich FDP, Freie Wähler und AfD auf die Annahme der Vereinbarung verständigt. Er will zudem die Grünen, die mit der CDU hinter den Kulissen den aktuellen Haushalt vorbereiten, für den Deal gewonnen haben. Das fand dem Vernehmen nach am Donnerstag in einer Sitzung der Fraktionsvorsitzenden laut Teilnehmern seine Bestätigung. Derzeit würde ein Eigentümer- und Betreiberwechsel für die Bürger keine Vorteile bringen, „sondern lediglich hohe Belastungen für die Stadt bedeuten“, so Kotz. Mit der Vereinbarung sei das Ende der jährlich verlängerten Konzession im Jahr 2042 „rechtlich eindeutig geregelt“. Vertreter der EnBW würdigten die „konstruktiven Gespräche“ und die „langfristige Partnerschaft“. Man sei froh, auch für die zuständigen Mitarbeiter Klarheit schaffen zu können.

Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) hatte im Rathaus über das bisher unbekannte Vorhaben informiert. Die Mehrheit dafür steht seiner Meinung nach. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Die Linke-Plus spricht allerdings von „Symbolpolitik“. Sie favorisiert – wie schon 2009 noch unter OB Wolfgang Schuster diskutiert – eine gemeinsame Wassergesellschaft und damit einen Einstieg in den Betrieb. Andernfalls würde auch 2042 das Know-how für eine Übernahme fehlen. Eine Investition gewährleiste auch eine gute Rendite.

Die Fraktionsgemeinschaft SPD und Volt im Stuttgarter Rathaus lehnt das Verhandlungsergebnis ab. Grund dafür seien die nach wie vor zu lange Laufzeit des Konzessionsvertrags sowie die fehlende Sicherheit über die Höhe des Kaufpreises, falls es nach 17 Jahren zu einem Kauf kommen sollte. „Die Fraktionsgemeinschaft kritisiert die überarbeitete Vergleichsvereinbarung als Vertagungsvereinbarung“, sagte die Fraktionsvorsitzende Jasmin Meergans.

Ziel der Fraktionsgemeinschaft sei es, „die kommunale Wasserversorgung wieder zu 100 Prozent in städtische Hand zu bekommen und damit dem Bürgerbegehren nachzukommen, dass der Gemeinderat sich zu eigen gemacht hat“. Eine Kaufverpflichtung fehle jedoch.

Am 1. Oktober soll der Verwaltungsausschuss diskutieren, am 9. Oktober der Gemeinderat entscheiden. Anfang kommenden Jahres könnte dann der Konzessionsvertrag in Kraft treten.

2022 gab es keine Mehrheit für den Rückkauf des Wassernetzes in Stuttgart

Der 2022 präsentierte Vorschlag war von der öko-sozialen Mehrheit als unzureichend bezeichnet und abgelehnt worden – selbst der Versorger bezeichnet die damaligen Kritikpunkte als „in weiten Teilen nachvollziehbar“. Die Ratsmehrheit befürchtete, bei veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen würde eine kommunale Trägerschaft erschwert. Sie sah zu wenig Mitspracherechte in der Netze BW Wasser und monierte eine fehlende explizite Regelung über eine Übertragung der Mitgliedschaften in den Zweckverbänden der Wasserversorgung. Und sie kritisierte, dass die Übertragung der Grundstücke, auf denen sich Anlagen wie Hochbehälter befinden, nicht geregelt gewesen sei.

Die lange Laufzeit von 20 Jahren des bereits 2013 ausgelaufenen Konzessionsvertrags war für die Ratsmehrheit damals inakzeptabel – nun heißt es anpreisend, es gehe um eine „geringere Laufzeit“ von 17 Jahren. Würden sich Gesetze, etwa auf EU-Ebene, ändern, würde die Netze BW Wasser zu „sofortigen Verkaufsverhandlungen“ verpflichtet. Von einer Pflicht zur Einigung ist nicht die Rede. Die Stadt soll drei statt nur zwei Aufsichtsratssitze im künftig neunköpfigen Aufsichtsrat des Unternehmens erhalten und mit der Übertragung eines Geschäftsanteils ohne Kapitaleinlage „umfassende Mitsprache- und Schutzrechte“. Und die Mitgliedschaften in den Zweckverbänden der Wasserversorgung würden auch übertragen. Wichtig ist CDU-Chef Kotz auch „die verbindliche Option des Erwerbs der Betriebsgrundstücke mit dem Wassernetz“.

Stadt Stuttgart wirbt für den Kompromiss mit der EnBW-Tochter

Zuletzt zuckten die Streitparteien im November 2024, als der Rechtsstreit vor dem Landgericht auf Ende Mai dieses Jahres vertagt worden war. Gespräche im Frühjahr hatten zu diesem Zeitpunkt offenbar schon „mit dem Ziel einer Einigung“ in die Anpassung des damaligen Vergleichsvorschlags gemündet.

Über die Wasserversorgung wird in Stuttgart seit langem diskutiert. Foto: imago/Bihlmayerfotografie

Die Verwaltung wirbt für die Einigung mit dem Hinweis, das Gericht könnte irgendwann einen Rückübertragungsanspruch des Wassernetzes verneinen. Der Vergleich stelle auch deshalb das letzte mögliche Mittel (Ultima Ratio) dar, weil man 2042 nicht einfach die Konzession für die Wasserversorgung meistbietend vergeben könne. Grund dafür: Im jetzigen Vertrag ist gar kein Ende definiert. Es brauche deshalb eine neue Regelung, in der zugesichert werde, dass in 17 Jahren die Stadt selbst fürs Wasser zuständig sei oder man die Konzession ausschreibe.

Kein Geld für einen Kauf des Wassernetzes vorhanden

Als Vorteil sieht OB Frank Nopper (CDU), dass angesichts der aktuellen desolaten Haushaltslage keine dreistellige Millionensumme für den Erwerb des Netzes aufgewendet werden müsste. Eine Rücklage wurde längst aufgelöst, im nächsten Sparhaushalt ist kein Geld für den Rückkauf vorgesehen. Finanzbürgermeister Fuhrmann weist darauf hin, dass ein Erwerb die ohnehin schon geringen Spielräume für Investitionen weiter einschränken würde. Einen aktuellen Kaufpreis und einen für 2042 nennt er nicht, man liege aber aktuell „mehrere hundert Millionen Euro auseinander“. Die Stadt hatte lange 160 Millionen Euro eingeplant, Ende 2020 nannte das Landgericht allerdings einen Betrag von 348 Millionen Euro. Die Netze BW hielt seinerzeit 480 Millionen Euro für angemessen – zu einem früheren Zeitpunkt wollte sie sogar 626 Millionen Euro.

Löschwasser wird künftig bezahlt

Im Rahmen des Vergleichs würde die Netze BW Wasser nun auch ihre Klage zur Vorratshaltung von Löschwasser zurücknehmen – ein Detailproblem, für das die Stadt allerdings 45 Millionen Euro für eine Nachzahlung zurückgelegt hat. Diese Rückstellung könnte aufgelöst werden. Künftig würde ein jährliches Entgelt für die Bereitstellung in Höhe von 1,5 Millionen Euro fällig.

Und letztlich würde mit der Einigung der teure Rechtsstreit beendet, was allenfalls die beauftragten Rechtskanzleien bedauern dürften. Das Landgericht selbst hatte an einer Entscheidung bisher kein großes Interesse gezeigt. Immer wurden die Streitparteien gebeten, sich außergerichtlich zu einigen.

Erfolgreiches Bürgerbegehren 2010 in Stuttgart

Der Gemeinderat hatte den Rückkauf des Trinkwassernetzes bereits 2010 als Reaktion auf das Bürgerbegehren „100 Wasser“ beschlossen, das mehr als 27.000 Bürger ermöglicht hatten. Konkret geht es (Stand 2022) um das komplette Netz, also 2500 Kilometer Leitungen, 44 Hochbehälter, 87 Trinkwasserkammern, 39 Pumpwerke, 16.949 Hydranten und 16.247 Schieber.

1997 fusionierten die kommunalen Technischen Werke Stuttgart (TWS) mit den Neckarwerken Esslingen zu den Neckarwerken Stuttgart (NWS). 2002 verkaufte die Stadt ihre NWS-Anteile dann an die EnBW, die zeitweise mit der Electricité de France (EdF) einen französischen Anteilseigner hatte. Die Einsicht, dass man Trinkwasser als grundlegende Ressource der kommunalen Daseinsvorsorge nicht privatisiert und gewinnorientierten Unternehmen anvertraut, reifte erst im Laufe der Jahre und infolge zahlreicher Skandale im In- und Ausland.