Nach den jüngsten Entscheidungen des Stuttgarter Oberbürgermeisters drohen der Erneuerung des Opernhauses weitere Jahre Verzug. Das bisherige Vorgehen in dieser Frage ist gescheitert. Was muss sich ändern?
Stuttgart - In der Stuttgarter Debatte über die Sanierung des Opernhauses herrscht hochgradige Konfusion. Seitdem Oberbürgermeister Fritz Kuhn im Alleingang die Prüfung der Ersatzspielstätte im Paketpostamt in der Ehmannstraße aus Kostengründen (116 Millionen Euro Umbaukosten!) gestoppt hat, weiß erst mal keiner, wie es weitergehen soll. Die Planung der Staatstheater-Zukunft hat Kuhn um mehrere Runden zurückgeworfen. Wie soll man die Sanierung vorantreiben, solange noch nicht mal feststeht, wo Musiktheater und Ballett für fünf Jahre ihr Ausweichquartier finden? Immerhin eines steht aber fest: So, wie die Verantwortlichen in Stadt und Land das Thema bisher behandelt haben, funktioniert es nicht. Was müsste sich in der Operndebatte darum ändern? Eine Fehler- und Lösungssuche in sieben Schritten. Erstens: Die Debatte kriecht im Schneckentempo. Es ist nun über fünf Jahre her, dass die Zeitung in Stuttgart erstmals über den bis dato politisch weit unterschätzten Umfang der nötigen Sanierungsaufgaben am Opernhaus berichtete. Seit vier Jahren werden all diese Fragen von Stadt und Land umfassend geprüft. Seit rund zwei Jahren wird über nötige Ersatzspielstätten für die Sanierungszeit nachgedacht, werden verschiedene Optionen geprüft. Das politische Ergebnis nach diesen fünf Jahren ist praktisch: null. OB Kuhn war bisher immer stolz, wie sorgfältig alle Details geprüft werden, Detail für Detail für Detail. Aber es fehlen offensichtlich die Fortschritte. Selbst Wagners vierteiliger „Ring“ wirkt dagegen kurzweilig.
Was folgt daraus? Bringt endlich Schwung in die Sache! Irgendeiner muss jetzt auf die Tube drücken – vermutlich der OB selbst. Oder er muss seinem Kulturbürgermeister freie Hand geben. Weniger wohlfeile warme Worte, mehr nüchterne Entscheidungen! Die Stagnation der Debatte schadet den Staatstheatern, verunsichert das Publikum und beschädigt das Ansehen der Stadt.
Zweitens: Stadt und Land agieren wie Konkurrenten. Sie teilen sich aber nun einmal die Verantwortung und die Kosten für die Stuttgarter Staatstheater paritätisch – das hätte übrigens auch für besagte 116 Millionen Euro gegolten. Man kann diese Besonderheit baden-württembergischer Kulturpolitik störend finden, ändern wird man sie so schnell nicht. Deswegen stellt man die andere Seite nicht einfach vor vollendete Tatsachen, wie Kuhn es just getan hat. Das Gegeneinander ist umso unverständlicher, als doch fast alle führenden Protagonisten sogar Mitglied der selben Partei sind: Ach ja, die Grünen . . .
Was folgt daraus? Versucht’s mal mit Zusammenarbeit statt mit Alleingängen. Zur Not muss das Ministerium eben doch mal energischer die Führung übernehmen.
Drittens: Keiner weiß so recht, wohin die Reise gehen soll. Die Frage, was genau sich die Stuttgarter eigentlich unter einem sanierten Opernhaus vorstellen dürfen, wie groß es ist, welche Aufgaben es haben wird, wie es sich dem Publikum künftig präsentiert, all das muss den meisten Bürgern weiterhin ein Rätsel bleiben. Sie haben kein Bild davon vor Augen; sie können es auch gar nicht haben, weil es ihnen die verantwortliche Politik nicht beschreibt. So lang es dieses Ziel als Bild nicht gibt, wird man aber auch kaum entscheiden können, welche Schritte auf dem Weg zum Ziel notwendig und angemessen sind.
Was folgt daraus? Man kann versuchen, sich durch den Dschungel der Möglichkeiten von Einzelfrage zu Einzelfrage zu schwingen wie Tarzan einst an seinen Lianen. Aus lauter Details wird aber noch kein Ganzes. Die Lage ist doch absurd: Seit fast zwei Jahren verhaken sich alle bei der Suche nach einer Ersatzspielstätte. Könnten uns Stadt und Land nicht mal langsam zur eigentlichen Frage führen, nämlich zum Opernhaus der Zukunft?
Viertens: Alles läuft nebeneinander her, obwohl es zusammenhängt. OB Kuhn hat in der Zwischenzeit einen ansehnlichen Katalog an kulturpolitischen Projekten für Stuttgart entwickelt. Neben der sanierten Oper sind dies ein Konzerthaus, ein Neubau für das Linden-Museum, ein Filmhaus, das Kunstgebäude, eine irgendwie neu gestaltete Kulturmeile. Klingt alles schön, aber es sind immer nur einzelne Puzzleteile, die politisch nicht zusammengesetzt werden. Glaubt das Rathaus wirklich, dass man all dies hübsch einzeln abarbeiten kann – das eine jetzt, das nächste später, das dritte vielleicht dann doch nie?
Was daraus folgt? Denkt zusammen, was zusammengehört! Wer zu Recht glaubt, dass Kultur nicht nur dem Image, sondern auch der Entwicklung einer Stadt dienen kann, muss doch Projekte verknüpfen, statt sie zu isolieren. Gute Stadtplanung ist Kultur, gute Kulturplanung dient der Stadt. So ist Stuttgart in den Jahren nach der Jahrtausendwende vorangekommen. Jetzt könnte man noch eine Schippe drauflegen.
Fünftens: Jene, die Debatten verknüpfen wollen, werden zu oft abgekanzelt. Eine Initiative wie der Verein Aufbruch Stuttgart mag für Politiker anstrengend sein. Aber es gibt keinen Grund, Bürger dafür zu schelten, dass sie eigene Ideen entwickeln und in die Debatte einbringen wollen; gerade, wenn in einer Stadt wie Stuttgart die Erfahrung lehrt, dass nur so wichtige Projekte angestoßen werden konnten.
Was daraus folgt? Alle wichtigen Entscheidungen werden auch künftig allein im Gemeinderat getroffen, wo denn sonst? Aber auf dem Weg dorthin wird die breite Debatte in der Öffentlichkeit gewürdigt, statt ihr per se Einseitigkeit oder pure Ruhmsucht zu unterstellen. So wie im Gegenzug keine Bürgerinitiative dieser Welt denken sollte, sie sei ein Ersatzparlament. Verantwortung trägt, wer vom Bürger gewählt ist – nicht, wer sich selbst für die bessere Wahl hält.
Sechstens: Kosten werden zu schwarzen Löchern der Debatte. Hui! Plötzlich ist jede vorherige Planung davon restlos verschluckt. Hundertsechzehn – Graf Zahl lässt gruseln. Keine Frage, auf keinem politischen Feld, auch nicht in der Kultur, dürfen Kosten aus dem Ruder laufen. Aber sie sind doch stets in Relation zur Aufgabe und zum Ziel zu betrachten. Es geht darum, für vermutlich fünf Jahre den Mitarbeitern der Staatstheater die nötigen Arbeitsmöglichkeiten und vor allem dieser Stadt hochklassige Oper und hochklassiges Ballett zu bieten. Wie teuer käme denn beispielsweise mit allen Folgekosten die radikale Alternative, nämlich die Zwangsschließung des alten Opernhauses durch den Brandschutz inklusive komplettem Spielausfall?
Was daraus folgt? Wenn die Ziele überzeugen und die Schritte dorthin gut bedacht und kalkuliert sind, bekommen Kosten einen Sinn. Kulturinvestitionen müssen sich rechtfertigen. Aber sie müssen sich keineswegs stärker rechtfertigen als andere öffentliche Aufgaben.
Siebtens: Allgemeine Ermattung greift um sich. Die Probleme bleiben bestehen, Lösungen werden erst präsentiert, dann wieder verworfen. Man vertagt sich von Sitzung zu Sitzung: neue Prüfaufträge. Man sagt das Wort Opernsanierung, und alle verdrehen nur noch die Augen.
Was daraus folgt? Setzen wir doch einmal diese Erkenntnis voraus: Die Kultur macht diese Stadt reicher, liefert ihren Bürgern Impulse, Reflexion und Selbstbewusstsein. Plant Kultur, plant die Stadt. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Wir switchen einfach um. Gestern war: Wiedervorlage. Nun folgt: Eilt! Bitte sofort vorlegen.