Elena Tzavara bei der Arbeit mit Sängern des Opernstudios Foto: Matthias Baus/Staatsoper

An diesem Samstag eröffnet die Staatsoper Stuttgart ihre neue „Junge Oper im Nord“ (Join) mit Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“: der Startschuss für eine bunte Vermittlungsoffensive.

Stuttgart - Noch ist der Ort kein Hotspot. Noch weisen keine Schilder auf das hin, was aus der vor gut zwei Jahrzehnten gegründeten Jungen Oper Stuttgart geworden ist und weiter werden soll. Noch wehen keine Fahnen über dem Gebäude, in dem seit 2010 die Oper und das Schauspiel proben. Den Eingang an der Seitenflanke des Probenzentrums Nord, gleich gegenüber dem Probenzentrum des Theaterhauses, könnte man glatt übersehen. Zu ihm muss man ein paar Treppen empor steigen – oder sich alternativ mit dem Aufzug befördern lassen. Oben angekommen, blickt man hinab auf etliche Hochbeete. Kinder umliegender Schulen haben schon Zwiebeln in die Erde gesetzt: Wachsen sollen hier Blumen, deren Farben zu den Stücken des Spielplans passen: Narzissen für „Gold“, Tulpen für „Rotkäppchen“. Jetzt sind die Kübel aber noch kahl. Und drinnen steht man in einem funktionalen Foyer: Kasse, Garderobe, Toiletten, in der Mitte viel Platz. Wenige Tage vor der Eröffnung ist alles noch ganz still. Bedächtig bemalt ein Mann den Garderobetresen mit schwarzer Farbe, Pinselstrich für Pinselstrich.

Dann kommt Elena Tzavara, ganz Vorfreude, ganz Begeisterung, ganz Schwung. Seit Anfang 2017 leitet sie die Institution, die junge Menschen für das Musiktheater begeistern will: mit neuen, für unterschiedliche Altersgruppen maßgeschneiderten Stücken und mit einem Bündel an Vermittlungsprojekten. Jetzt ist die Regisseurin und Kulturmanagerin umgezogen in Räume, die bisher das Schauspiel bewohnte. Die Junge Oper hat nicht nur einen eigenen Theatersaal bekommen, in dem sie spielen und proben kann, sondern auch einen längeren Namen: Junge Oper im Nord heißt sie nun, und am allerbesten daran ist das Kürzel. Join. Das englische Wort steht für: sich treffen, dabei sein, verbinden, eingreifen, mitmachen. „Wir sehen euch“, wirbt die Hauszeitung auf dem Deckblatt um ihr Zielpublikum, „als Teil eines künstlerischen Prozesses.“ „Wir fragen“, steht dort außerdem, „nicht nach eurer Identität oder eurer Herkunft, sondern interessieren uns für eure Haltung und eure Perspektive.“ Und „die Begriffe Künstler*in, Vermittler*in und Rezipient*in“ wolle man ohnehin „in Unordnung bringen“.

Eng arbeitet die Junge Oper jetzt mit der Dramaturgie, dem Opernstudio und dem Staatsorchester zusammen

Bei Elena Tzavara klingt das ein bisschen geerdeter. „Wir können“, sagt sie, „jetzt nachhaltiger arbeiten und längere Projekte anbieten.“ Das liegt daran, dass für das Kerngeschäft der Institution, die Vermittlungsarbeit, eine zusätzliche (zweite) Stelle geschaffen wurde. Es gründet aber auch in der neuen Raumsituation: Endlich kann in dem Saal geprobt werden, in dem die Aufführungen dann auch stattfinden, und zwar ohne dass zwischendurch immer wieder ab- und wieder aufgebaut werden muss. Außerdem bietet das Foyer zusätzlichen Platz. Direkte Auswirkungen hat überdies die stärkere Integration der Jungen Oper in den Staatsopern-Apparat – nicht nur wegen der Workshops, mit denen von hier aus auch Produktionen im Opernhaus begleitet werden, sondern auch wegen der künftig selbstverständlichen Zusammenarbeit mit dem Staatsorchester, den Operndramaturgen und mit dem Opernstudio. „Dieses Haus ist ein Rohdiamant“, schwärmt Elena Tzavara. „Hier herrscht jetzt ein Campus-Charakter“: So fasst Christoph Sökler, der Leiter des Vermittlungsbereichs, die neue Situation zusammen. „Durchlässigkeit“, betont er, präge das neue Join, auch im Verhältnis zu den anderen Kunstsparten – so wird zum Beispiel im Mai ein Tänzer von Gauthier Dance Georges Aperghis‘ „Rotkäppchen“ inszenieren.

Partizipation ist eines der Worte, die Elena Tzavara gerne gebraucht. Teilhabe. Join ist kein Institut für pädagogisch wertvolle musiktheatralische Frontal-Präsentation von Kunstwerken, die zur leichteren Verdaulichkeit auf altersgerechte Happen reduziert werden. Nein, hier gilt die Devise: Heranzoomen statt Kleinschrumpfen. Möglich macht das auch die neue Bühne, die bis zu 120 Zuschauern einen sehr direkten, nahen, ja fast intimen Kontakt zu den Sängern möglich macht - und das, sagt Elena Tzavara, sei „das A und O“, wenn man Respekt vor einer Kunst wecken wolle, die nicht nur schön ist, sondern auch viel Arbeit macht. Das sei jetzt so toll, sagt die Leiterin lachend, dass einem, zurückgekehrt ins große Opernhaus, dort durchaus die Frage kommen könne, warum die Kunst dort so schrecklich weit weg sei von den eigenen Augen und Ohren.

Nähe entsteht außerdem durch Mitmachen und Mitdenken – und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern für alle Menschen. Insofern steht der Begriff jung im Join nicht zuvorderst für das Alter der Besucher, sondern für eine Lebenseinstellung. Die maximal mögliche Partizipation soll mit einem Bürgerchor erreicht werden, der im März bei der Uraufführung von Leo Dicks „Antigone-Tribunal“ auftreten wird: als aktive, politisch bewusste Gruppe an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft.

Im „Schauspieldirektor“ gibt es Theater über Theater

Das Angebot reicht von szenischen Neuproduktionen mitsamt Vermittlungspaketen für Schüler und Familien, einem Preview-Club, themenbezogenen Projektentwicklungen für Schulklassen, der Annäherung an bestimmte Opern durch Mitwirken im Chor („Singend durch den Spielplan“), einer separaten Kindereinführung während des ersten Programmteils in ausgewählten Staatsorchester-Konzerten bis hin zu Sitzkissenkonzerten für die ganz Kleinen, Lehrer-Fortbildungen und Probenbesuchen vor Premieren im Großen Haus in der „gläsernen Opernwerkstatt“.

Den Auftakt macht an diesem Samstag die Premiere von Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“, die Neuadaption einer Inszenierung, die Elena Tzavara 2017 für die Salzburger Festspiele geschaffen hat, und die erste Produktion des Opernstudios im Join. Dessen Sänger, sagt Elena Tzavara, seien bei den Proben sehr zusammengewachsen – auch weil das hier gebotene Theater im Theater einfordere, dass jeder seine Rolle selbst kreiert. Auch die elf Musiker des Staatsorchesters und der Dirigent Thomas Guggeis spielen ein wenig sich selbst. In das kurze Stück werden sechs zusätzliche Mozart-Nummern – Arien und Ensembles – eingestreut. Als große Komödien-Vorbilder nennt Elena Tzavara Billy Wilder und die Marx Brothers, und lustig soll’s in ihrer Inszenierung auch werden. Unbedingt. Nicht nur, weil die Junge Oper am neuen Ort noch viel weniger als bisher „nur ein Wurmfortsatz des Opernhauses“ ist, sondern „weil man in der Oper auch lachen können muss“.

Premiere am Samstag, 1. Dezember, 19 Uhr im Join (Spielstätte Nord)