Katharina Grosse: ohne Titel, 2013, Acryl auf Leinwand Foto: Katharina Grosse / VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Staatsgalerie Stuttgart, Leihgabe der Freunde der Staatsgalerie

Nach dem glänzenden Erfolg ihrer großen Schlemmer-Schau nimmt die Staatsgalerie mit der nachfolgenden Sonderausstellung erneut ein ehrgeiziges Ziel in Angriff. Unter der Rubrik „Künstlerräume“ präsentiert sie dreizehn zeitgenössische künstlerische Positionen.

Stuttgart - Eine Aufgabe allein reicht nicht für die Schau „Künstlerräume“. So „fungiert die Ausstellung als Auftakt eines offenen Diskurses über die zukünftige Rolle und die anstehenden Aufgaben eines Kunstmuseums der Gegenwart“. So formuliert es ein Faltblatt zu der von Ina Conzen betreuten Präsentation, die auf eigene Bestände der Sammlung zurückgreift und so eine anstehende Dachsanierung im Altbau, der die Kunst nach 1960 im Weg stünde, als Chance nutzt. Die bot jetzt die günstige Gelegenheit, auch lange nicht mehr gezeigte Arbeiten aus dem Depot zu holen oder – wie etwa einen erst 2013 erworbenen Werkkomplex von Katharina Grosse – Schätze öffentlich zu machen, die man noch gar nicht gesehen hat. Jeder „Position“ der dreizehn beteiligten Künstler und Künstlerinnen ist in der Stirling-Halle, im angrenzenden Borst-Raum und in der Rotunde ein eigenes „Kompartiment“, also ein eigener Bereich reserviert. Schon das läuft auf ein Statement zur Rolle des Museums hinaus.

Freilich wären die teilweise riesigen Formate wie das vier Meter hohe und über fünf Meter breite Gemälde von Katharina Grosse, Oskar-Schlemmer-Preisträgerin von 2014, anders im bescheiden dimensionierten Stirling-Raum kaum unterzubringen. Ein dialogisch konzipiertes Nebeneinander von dreizehn dermaßen individuellen Kunst-Positionen geriete wohl auch leicht zum Tumult. So aber, im je eigenen Revier unterwegs, artikuliert die „mediale Vielseitigkeit“ von Zeichnungen, Druckgrafik, Malerei, Fotografie, Skulpturen und Installationen ein jeweils unverwechselbares Idiom, auf das der Besucher sich der Reihe nach einlassen kann. Aus der Stimmenvielfalt klug zu werden ist dann offenbar seine ureigene Aufgabe. Ganz nebenbei veranschaulichen die „Künstlerräume“ die nachhaltige Sammlungspolitik des Hauses. Mit dem Ankauf eines Frühwerks von Georg Baselitz, „Ein Grüner zerrissen“ von 1967, hat man das einstige „Enfant terrible“ der Kunstszene schon ernst genommen, als das seine Bildwelt noch gar nicht kopfstehen ließ.

Mit Baselitz’ aufrechtem, aber zerrissenem „Grünen“ und mit seinem 1988, also geraume Zeit nach dem „Bildersturz“ entstandenen „Malerbild“ beginnt der Parcours. Folgt man ihm von dieser Mitte aus im Uhrzeigersinn, sieht man sich mit der „entfesselten“ Farbe des monumentalen Grosse-Gemäldes konfrontiert, das auch als Landschaft durchginge. Der im nächsten Abteil zentral aufgehängte „Rote Arm“ von Pia Stadtbäumer beschwört die gängige Praxis im Schlachthaus herauf. Was Wunder, dass „Fünf Köpfe“ da mit offenen Mündern staunen.

Körperbezogen und grell begegnet einem anschließend „Welcome“ (1985), die bunt schimmernde Neonarbeit von Bruce Naumann. Die einander die Hände schüttelnden und sich verbeugenden Profilfiguren strafen ihr vermeintlich höfliches Verhalten Lügen. „Enttäuschung über die Conditio humana“ stünde Pate bei seinem Schaffen, bekannte der Amerikaner einmal.

Wenig Vertrauen flößt schwachen Gemütern gleich danach „Jungle“ ein, Jeff Koons’ 2005 gemaltes vier Meter breites Ölbild von „Hulk“. Freilich entpuppt sich die grüne Wutgrimasse, die der verstrahlte Nuklearprofessor als Comic-Figur zu ziehen pflegt, als hohl und aufgeblasen. Das Monster ist zwischen freundlich blickenden Seepferdchen genau wie diese ein Gummitier. „Der Heilige Johannes der Täufer“ (1989) ist dahingegen, von Pinguin und Schwein begleitet und vom selben Künstler erdacht, aus Porzellan. Mithin ein ironisch gebrochenes Hosianna auf religiösen Kitsch. Auf massenhaft hergestellte Devotionalien spielt auch Katharina Fritschs „Warengestell mit Madonnen“ (1987–1989) an, das mit dicht geschlossenen gelben Figurenreihen das Geschäft mit dem Himmel auf die Schippe nimmt.

Erst recht nicht ernst nimmt Rosemarie Trockel, was Klischeevorstellungen den Frauen und der Kunst zuschreiben. Mit klassischen gusseisernen Herdplatten, die auf makellos weißer Viereckfläche verteilt puristische Ästhetik vergegenwärtigen, bekommen beide ihr Fett weg, die Frauen am Herd wie auch die Kunst als männliche Domäne. Strickwerk mit unübersehbaren Maschen lässt daran keinen Zweifel. Den Frauen bietet Ina Conzen überhaupt ungewöhnlich viel Raum. Die Stuttgarter Bildhauerin Ingrid Hartlieb, die der Staatsgalerie mit einer Schenkung jüngste Sammlungszugänge bescherte, darf im Hugo-Borst-Raum zwanzig Künstlerbücher zeigen, in denen sie von 1978 bis 2013 Ideen festhielt. Zeichnungen kämen Ideen am nächsten, sagt sie. Karin Sander hat im Treppenaufgang der Rotunde eine Wand so geglättet, dass sich der Raum darin spiegelt. Ob der diskrete Eingriff an die Redewendung erinnern will, nach der man empört die (glatte) Wand hochgehen möchte, steht dahin.

Ähnlich reduziert wirkt der Künstlerraum von Dan Flavin. Zwei horizontal befestigte Neonröhren von unterschiedlicher Länge in blassem Rosa und Erdbeerrot tauchen ihre Umgebung in schmeichelhaftes Licht, setzen beim Betrachter allerdings eine dafür empfängliche Disposition voraus. So wenig sich Anselm Kiefers kapitale „Heroische Sinnbilder“ mit der minimalistischen Lichtkunst des Amerikaners vergleichen lassen, so sehr benötigt auch „Der Rhein“ des Deutschen, als Beispiel für seine geschichtsträchtige und mit Mythen gesättigte Thematik, Verständnis beim Rezipienten.

Beim fast drei Meter großen Strichmännchen von A.R. Penck, „Standart“ überschrieben und 1971 gemalt, ist das unproblematisch. Der Kerl steht mitten im Bild auf der Grenze, im Osten (rechts) die Mauer hinter sich, im Westen (links) eine Welt runder Flecke, die leichter in Bewegung geraten und Freiheit versprechen. Die „Ordnungshüter“ von Neo Rauch sind viel später, erst 2008 entstanden und illustrieren auf der dicht besiedelten Fläche, dass sie ihre liebe Not haben mit diesem Job und dabei nicht zimperlich ans Werk gehen. An zentraler Stelle sitzt ein Gefangener, mit dem man nicht tauschen möchte. Um seinen Bauch hat er einen Sprengstoffgürtel geschnallt.

„Künstlerräume“: bis zum 27. September. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Do 10 bis 20 Uhr. Weitere Informationen unter: www.staatsgalerie.de