Einen glanzvollen Auftritt hat in „Augen. Blicke. Impressionen“ Pierre Bonnards Bild „Die Familie Terrasse“ (um 1902) Foto: Staatsgalerie Stuttgart

Auch Juwelen brauchen mitunter eine neue Präsentation, um ihren Glanz in Gänze zu entfalten. Die Staatsgalerie Stuttgart hebt in ihrer neuen Schau einen besonderen Juwelenschatz: das hauseigene Impressionismus-Panorama. Doch die Ausstellung bietet mehr als pure Augenfreuden.

Stuttgart - Für Kunstwissenschaftler birgt die Beschäftigung mit dem Original das größte Glück. Christofer Conrad, in der Staatsgalerie Stuttgart für den Sammlungsbereich des 19. Jahrhunderts verantwortlich, erlebte im vergangenen September „gar noch eine Steigerung“. Im Depot der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie durfte er auf Entdeckungsreise gehen. Der Auftrag: Arbeiten auf Papier zu identifizieren, die im Dialog mit den bekannten Staatsgalerie-Gemälden wie Claude Monets „Felder im Frühling“ oder Camille Pissarros „Der Gärtner“ einen geschärften Blick auf die Zeit des französischen Impressionismus ermöglichen.

„Augen. Blicke. Impressionen.“ ist das Ergebnis betitelt – und das Glück des Kurators macht Conrad in der ihm eigenen Art von diesem Freitag an für die Besucher erlebbar. Im Erdgeschoss des Staatsgalerie-Altbaus ist ein Impressionismus-Panorama der besonderen Art zu sehen. Möglich und notwendig, weil im Obergeschoss die energetische Dachsanierung fortschreitet.

Zeichnungen, Pastelle und Radierungen brechen die Farbenglut

Die Juwelen der hauseigenen Sammlung glänzen auf tiefblauem Grund und in der Beleuchtung individuell fokussiert noch mal so schön. Umso mehr, als immer wieder Zeichnungen, Pastelle und Radierungen die Farbenglut brechen, das künstlerische Innehalten in der präzisen und gerade erst darin das Experiment forcierenden Lineatur die eigentliche Radikalität des Kunststurms nach 1870 deutlich machen. So lohnt allein ein kleines Blatt wie Paul Cézannes „Bords d’une rivière“ (Flussufer) von 1879 den Besuch der Ausstellung. Mit geringsten malerischen Mitteln erreicht Cézanne hier den ganzen Zauber der Farbspiegelung und führt doch in aller Konzentration die Unbedingtheit der Konzeption an sich vor.

Und wie begegnet man alten Bekannten? Etwa Camille Pissarros „Der Gärtner“ von 1899? Eine Einzelfigur in einer Sommerlandschaft ist zu sehen, souverän spielt Pissarro mit den Licht- und Farbakzenten des schon verblassten Impressionismus, konsequent aber auch entwickelt er seine Position als Figurenmaler weiter. Was Pissarros Bilder ausmacht, skizzierte Théodore Duret, Freund Edouard Manets: „Sie haben“, so schrieb Duret an Pissarro, „weder Sisleys Gefühl für das Dekorative noch Monets fantasievolles Auge. Sie haben dagegen etwas, was diese nicht haben, ein tiefes, inniges Gefühl für die Natur und eine kraftvolle Pinselführung, so dass ein Bild von Ihnen etwas absolut Endgültiges ist.“

Redon grenzt sich formal sichtbar ab

Dieses „Endgültige“ bestimmt in der dieser Ausstellung eigenen Gegenbewegung auch das Finale der Schau mit Radierungen von Odile Redon. Zu sehen sind die sieben Blätter der Mappe „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des Bösen) von 1890. Eines der Blätter zeigt eine männliche, halb aufgerichtete Figur, die aus einem Gefäß aufsteigt. Offensichtlich ist der Kontrast zwischen dem steifen, angespannten Körper und der ihn umgebenden Wirbelbewegung des Rauchs.

Redon greift mit diesen Blättern zugleich zurück und weit nach vorn. Und er grenzt sich formal sichtbar ab. Der Grund: Der Zeitgenosse von Monet, Manet, Renoir und Cézanne verkehrte weniger mit den Impressionisten als vielmehr im Kreis der großen Dichter und Schriftsteller seiner Zeit. Seine Blätter entstehen wenige Jahre nach Erscheinen von Baudelaires Roman „Les Fleurs du Mal“ – und sie initiieren ein bildnerisches Echo, das aus dem Mysteriösen bei Redon bis in die surrealen Welten des 20. Jahrhunderts führt.

Mit gutem Grund ergibt sich so aus „Augen. Blicke. Impressionen.“ eine überraschende, künstlerisch aber doch überzeugende Verbindung zu der aktuell in der Staatsgalerie zu sehenden großen Ausstellung zum Schaffen des Surrealismus-Vordenkers Giorgio de Chirico. Doch noch einen zweiten Bogen schlägt die Schau in die weiteren Räume der Staatsgalerie – zu den Werken von Henri Matisse im Obergeschoss des Stirlingbaus.

Unverhüllte Radikalität bestimmt Paul Cézannes „Stillleben mit Totenkopf und Leuchter“

Beflügelt wird die Auseinandersetzung über die Zeiten hinweg in der Schau selbst – etwa von Edouard Manets „Der Maler Monet in seinem Atelier“. 1874 entstanden, setzt Manet hier ganz auf das Verwirrspiel der Positionen von Betrachter und Betrachtetem. Malt Manet Monet, der Manet malt? Dies bleibt letztlich ungelöst, gibt der malerischen Offenheit Tiefe.

Und weit in die Moderne greift auch ein anderes Bild voraus. Unverhüllte formale Radikalität bestimmt ja Paul Cézannes „Stillleben mit Totenkopf und Leuchter“ (1900). 17 Jahre nach dem Tod Manets verschiebt dieses unvollendete Werk die Grenze für die Gültigkeit malerischer Setzung in noch ungeklärtes Terrain, verschärft den bildimmanenten Widerspruch zwischen Auflösung und dem Anspruch überzeitlicher Gültigkeit.

Schon 1881 aber gelingt Claude Monet eben solche Radikalität: Sein Bild „Das Meer bei Fécamp“ empfängt die Besucher von „Augen. Blicke. Impressionen“ zu Recht. Wasser und Felsen werden buchstäblich eins. Hier ist das Glück, mehr noch aber das Konzept eine Farbe.

Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr. Mehr: www.staatsgalerie.de