Der türkische Staatspräsident Erdogan ist am Donnerstagmittag in Deutschland gelandet. Foto: AFP

Es ist der heikelste Staatsbesuch seit langer Zeit. Der türkische Präsident pocht auf einen „Neustart“ der Beziehungen zu Deutschland. Aber Zugeständnisse dafür hat Erdogan wohl nicht mitgebracht.

Berlin - Mit harscher Kritik und der Forderung nach einer Abkehr von seinem autoritären Kurs ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu seinem umstrittenen Staatsbesuch in Deutschland empfangen worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dämpfte überzogene Erwartungen und sagte: „Dieser Besuch ist kein Ausdruck von Normalisierung. Davon sind wir weit entfernt. Aber er könnte ein Anfang sein.“

Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag) sagte Steinmeier weiter, notwendig seien sichtbare Schritte für mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. „Wir können und werden den Druck auf Medien, Justiz und Gewerkschaften nicht akzeptieren.“ Nur bei einer Verbesserung dieser Bedingungen könne sich die Türkei Hoffnung auf wieder engere Beziehungen zur EU machen.

Zum offiziellen Auftakt des Besuchs in Berlin empfängt Steinmeier den Gast aus Ankara an diesem Freitag mit militärischen Ehren. Später gibt es ein Mittagessen mit Kanzlerin Angela Merkel und abends ein Staatsbankett im Schloss Bellevue. Zahlreiche Oppositionspolitiker haben ihre Teilnahme an dem Bankett aus Protest gegen Erdogan abgesagt.

Erdoagn wirbt für Neustart der politischen Beziehungen

In Berlin sind mehrere Demonstrationen angekündigt, die sich vor allem gegen die Inhaftierung von Journalisten und Regimegegnern in der Türkei wenden. Am Samstag wir Erdogan in Köln eine Moschee eröffnen.

Die Maschine der türkischen Delegation landete am Donnerstag auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Vor seinem dreitägigen Besuch warb Erdogan für einen Neustart der politisch angespannten Beziehungen beider Länder auf Augenhöhe. „Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen“, schrieb er in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Erdogan traf am Donnerstag zunächst Berater und Vertreter türkischer Organisationen. Auch die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024, für die sich Deutschland und die Türkei beworben hatten, verfolgte Erdogan von Berlin aus. Deutschland setzte sich durch.

Sicherheitsstufe Eins in Berlin

Im Berliner Regierungsviertel gilt während des Besuchs Sicherheitsstufe 1. Schwer bewaffnete Polizisten patrouillierten zwischen Bundeskanzleramt, Reichstagsgebäude und dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor. Auf dem Dach des Adlon postierten sich vermummte Scharfschützen aus den Spezialeinheiten der Polizei. Insgesamt sollten während des Staatsbesuchs bis zu 4200 Polizisten im Einsatz sein, hieß es.

Im Bundestag gab es fraktionsübergreifend scharfe Kritik am Kurs Erdogans, dem ein Abbau der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei vorgeworfen wird. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff rief - ebenso wie andere Redner - zur Freilassung sämtlicher politischer Gefangenen auf: „Lassen Sie diese Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu!“

Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefreiheit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern.“ Özdemir verteidigte seine geplante Teilnahme an dem Staatsbankett für Erdogan. „Ich möchte gerade durch meine Teilnahme deutlich machen: Hier in der Bundesrepublik Deutschland gehört die Opposition dazu“, sagte der Abgeordnete. In der Türkei könne Erdogan die Opposition mundtot machen. „In Deutschland nicht, deshalb gehe ich da hin.“ FDP, Linke und die Grünen-Fraktionsspitze, aber auch die AfD wollen nicht an dem Bankett teilnehmen.

Forderung nach Reformen in der Türkei

Die Vizechefin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, wies Erdogans Ruf nach einem Neustart der Beziehungen zu Deutschland zurück. „Eine Normalisierung darf es nur geben, wenn die Verhältnisse in der Türkei sich normalisieren.“ Dagdelen kritisierte, mit dem Staatsbesuch rolle die Bundesregierung Erdogan den roten Teppich aus.

Auch Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft forderten Erdogan zu Reformen in der Türkei auf. Es komme darauf an, das Vertrauen von Unternehmen in den türkischen Markt zu stärken, damit die Firmen wieder vermehrt zu Investitionen ermutigt würden. „Dazu gehören ein hohes Maß an Rechtssicherheit sowie die Unabhängigkeit der Zentralbank“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Industrieverbandes BDI, des Deutschen Indiustrie- und Handelskammertags und des Bankenverbands.

Zwei FDP-Bundestagsabgeordnete stellten wegen einer für politische Spitzeldienste genutzten App der türkischen Polizei Strafanzeige beim Generalbundesanwalt. Es bestehe Verdacht auf Spionage, bestätigte das Büro des FDP-Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin. „Report Mainz“ hatte berichtet, dass in Deutschland lebende Kritiker Erdogans mithilfe der Smartphone-App „EGM“ der Zentralbehörde der türkischen Polizei denunziert werden können. Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Bijan Djir-Sarai forderte: „Die Bundesregierung muss sich schnellstens um die Aufklärung dieser Vorwürfe bemühen. Dazu muss sie unverzüglich den türkischen Botschafter in Deutschland einbestellen.“